Jürgen Petersohn: Reichsrecht versus Kirchenrecht. Kaiser Friedrich III. im Ringen mit Papst Sixtus IV. um die Strafgewalt über den Basler Konzilspronuntiator Andreas Jamometić 1482-1484 (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii; 35), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, 339 S., ISBN 978-3-412-22375-5, EUR 39,90
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Es kann gefährlich sein, in interessanten Zeiten zu leben. 50 Jahre früher, in ebenfalls interessanten Zeiten, hätte Andreas Jamometić, Erzbischof von Krajina, als engagierter Streiter für den Konziliarismus wohl auf eine glanzvolle Karriere auf dem Basler Konzil hoffen dürfen. In weniger turbulenten Zeitläuften hätte seine realitätsverweigernde Beharrlichkeit ihn vielleicht zum komischen Vogel qualifiziert, seltsam aber ungefährlich. Doch Andreas Jamometić hatte das Pech, mit seinem erratischen Konzilsbegehren, seinem immensen politischen Gestaltungswillen und seiner ideologischen Unbeirrbarkeit in einer Zeit aufzutreten, die mit seinen Überzeugungen nichts mehr anfangen wollte, seine Ideen für problematisch hielt und dabei ganz andere, drängendere Krisen zu bewältigen hatte: Andreas Jamometić, Dominikanermönch und langjähriger Gesandter von Kaiser Friedrich III. an der päpstlichen Kurie, einsamer Pronuntiator eines weiteren Allgemeinen Konzils am Rhein, erhängte sich im Jahre 1484 nach mehrjähriger Haft aus Verzweiflung in seiner Zelle im Kerker von Basel.
Jürgen Petersohn, der seit vielen Jahren über den Basler Konzilsversuch von 1482 forscht und publiziert, legt mit seiner Studie "Reichsrecht versus Kirchenrecht" nun eine minutiöse Schilderung des unübersichtlichen Tauziehens zwischen Kaiser Friedrich III., Papst Sixtus VI. und der Stadt Basel vor, in deren Zentrum zweifelsohne Andreas Jamometić mit seinem unpassenden Konzilsaufruf steht, die ihren Fokus aber auf das politische und juristische Ringen zwischen Kaiser und Papst legt; denn der kroatische Prälat mag Auslöser dieser diplomatischen Krise gewesen sein - als Akteur in diesem Fall kann man ihn kaum bezeichnen. Der Autor, ausgewiesener Kenner der Papst-Kaiser-Beziehungen im Hochmittelalter, analysiert den Streit um die juristische Zuständigkeit im Fall Jamometić vor der Folie der typisch mittelalterlichen Papst-Kaiser-Konflikte und interpretiert den tragischen Fall des Kroaten als letztes großes Kräftemessen der beiden Universalgewalten, als Endpunkt einer langen, das Zeitalter prägenden Tradition. Die vorliegende, aus vornehmlich unpublizierten Quellen gearbeitete Monographie bietet neben einer kenntnisreichen, mit spürbarer Begeisterung für die Sache und subtilem Humor verfassten Studie eine zuverlässige Edition der wichtigsten Dokumente zur Jamometić-Krise. Die Darstellung folgt chronologisch dem Gang der Ereignisse, referiert zum Teil in ausführlichster Weise die Einlassungen der Konfliktbeteiligten und gibt einen tiefen Einblick in die Kommunikationsgepflogenheiten und -bedingungen zwischen dem Kaiser, dem Papst und den Kardinälen sowie der Stadt Basel im ausgehenden 15. Jahrhundert. Der durch die Überlieferungssituation häufig mögliche Vergleich mit den Entwürfen verschafft zudem einen Eindruck von der diplomatischen und sprachlichen Feinarbeit, die der tatsächlichen Expedition eines herrscherlichen Schreibens vorausgingen.
Unmittelbar nachdem Jamometić im Jahre 1482 in Basel so eigenmächtig wie isoliert zur Versammlung eines Allgemeinen Konzils aufgerufen hatte, folgte unmissverständlich die Reaktion der beiden Universalgewalten, welche an einer derartigen Veranstaltung keinerlei Interesse hatten: Der Papst schickte Legaten ins Reich, um aufgrund seiner oberstrichterlichen Kompetenz den Häretiker und Schismatiker festnehmen zu lassen, der Kaiser befahl die Inhaftierung des Prälaten in Basel, da dieser sich des crimen laesae maiestatis schuldig gemacht habe. Die politisch brandgefährliche Problemstellung war damit definiert: Sowohl der Kaiser wie der Papst pochten auf ihre Jurisdiktionsgewalt in diesem Fall, während die Stadt Basel, in der Jamometić sich aufhielt, in eine geradezu ausweglose Zwangslage zwischen den beiden Mächten geriet, zumal die Basler zunächst - durchaus eigennützig motivierte - Sympathien für die Abhaltung einer weiteren großen Kirchenversammlung in ihrer Stadt gezeigt hatten. Das nun folgende, zweijährige diplomatische Tauziehen gründete in der Konkurrenz zweier unvereinbarer Herrschaftskonzeptionen: Während der Papst sich auf die hochmittelalterliche kirchenrechtliche Tradition der "ubiquitären Papsthoheit" (51) berief, vertrat der Kaiser reichsrechtlich den "Vorrang der weltlichen Hoheitsbefugnis" (44). Die von Jakob Burckhardt als Burleske charakterisierte Episode um Jamometić wird in dieser Lesart zur aussichtslosen, mit zeitgenössischen juristischen Mitteln nicht lösbaren Kollision zweier Rechtssysteme und zweier Herrschaftskonzeptionen - mit fatalem Ausgang.
Einen besonderen Akzent legt Petersohn in seinen Ausführungen auf die persönliche Dimension im Ringen zwischen Sixtus VI. und Friedrich III., das sogar dann weiterging, als mit dem päpstlichen Angebot eines Verzichts auf die Auslieferung des unglücklichen Konzilspronuntiators die mit "fanatischer Verbissenheit" verfolgte Angelegenheit (99) politisch eigentlich hätte beigelegt werden können. Anders als die bekannten Papst-Kaiser-Konflikte des Hochmittelalters fand dieser Streit weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, wurde stattdessen nur innerhalb des Kreises der unmittelbar Betroffenen geführt und in keiner Weise propagandistisch ausgenutzt. Entsprechend waren auch die übrigen diplomatischen und politischen Beziehungen zwischen Kaiser und Papst von der Jamometić-Episode nicht betroffen, was für eine Differenzierung und Rationalisierung der diplomatischen Beziehungen im Spätmittelalter einerseits, andererseits aber auch für das unmittelbar persönliche Interesse der Beteiligten an der Auseinandersetzung spricht. Petersohn verlässt die Bühne der öffentlichen politischen Beziehungen zwischen den beiden Vertretern der höchsten Mächte in der Christenheit und stellt die Frage nach dem oft diskutierten Charakter und der angeblich mangelnden Eignung des gerne als "Erzschlafmütze" diffamierten Friedrich III. für sein Amt. Er charakterisiert den Fall als höchst emotionalen Streit, in dem zumal Friedrich III. sich persönlich äußert und scharfe Worte für das Verhalten seines Gegenspielers findet: neglecti semper atque derisi fuimus schreibt er am 6. Juli 1484 in einem langen, zwischen Wut und Larmoyanz oszillierenden Brief an den Papst, den Petersohn als "erschütterndes Ego-Dokument" (95) bewertet. Er kommt zu dem Schluss, dass der Kaiser zwar "ein Kaiser ohne Charisma" (113) gewesen sei, dass er aber nichtsdestoweniger sein Reich mit Übersicht und Besonnenheit zu führen in der Lage war, was mit genereller Tatenlosigkeit nicht verwechselt werden dürfe. Zudem, und dies zeigt die Jamometić-Krise sehr deutlich, war er "bei der Behauptung seiner Herrscherrechte" wie in Sachen der "Würde des Reiches" (114) zu Härte und zu Hartnäckigkeit, wie auch zu einer überaus beeindruckenden und ganz und gar unschläfrigen Emotionalität sehr wohl fähig.
Dem Werk ist mit seinen vielen interessanten Beobachtungen, welche hier nur ansatzweise referiert werden konnten, eine zahlreiche Leserschaft zu wünschen, die die hier erstmals publizierten Texte nutzen und mit weiteren und auch weitreichenderen Fragen etwa zur spätmittelalterlichen Diplomatie- und Mentalitätsgeschichte konfrontieren sollte. Zudem, auch das verdient hervorgehoben zu werden, macht die Lektüre aufgrund der sorgfältigen und stilistisch souveränen Präsentation der Erkenntnisse ganz gattungsuntypisch schlicht und einfach Spaß. Die - der Rezensentin durchaus sympathische - Verwendung der alten Rechtschreibung wie auch das Alter der aufgerufenen Links legen freilich eine längere Entstehungsgeschichte des Werkes nahe.
Die Monographie wird durch ein Quellen- und Literaturverzeichnis ergänzt und durch Register der Orte und Personen sowie der Sachen erschlossen. Eine den Inhalt jeweils kurz paraphrasierende Übersicht der Quellenbeilagen erleichtert die Orientierung in den Texten und verschafft zudem Übersicht im bisweilen mäandrierenden diplomatischen Gang der Ereignisse um den Konzilsaufruf von 1482.
Kerstin Hitzbleck