Agostino Paravicini Bagliani: Parfums et odeurs au Moyen Âge. Science, usage, symboles (= Micrologus Library; 67), Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2015, XVI + 466 S., ISBN 978-88-8450-597-2, EUR 75,00
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Der von Agostino Paravicini Bagliani herausgegebene Band stellt die Ergebnisse einer Tagung vor, die 2012 in Louvain / Leuven stattfand. Er enthält achtzehn Texte, eine Einleitung des Herausgebers und drei Register (Personen und Orte, Stichworte und Handschriften). Das Buch ist nicht in Sektionen eingeteilt oder thematisch gegliedert. Die angesprochenen Themen sind sehr vielfältig und beziehen sich auf die verschiedensten Lebensbereiche, in denen Parfums und Gerüche eine Rolle spielten. Der chronologische Rahmen reicht von der Antike bis in die Frühe Neuzeit, der geographische umfasst vor allem Europa und Byzanz, einschließlich der Beziehungen dieser Gebiete zu Nordafrika, zum arabischen Raum und zu Asien. Diese Regionen waren besonders wichtige Lieferanten für Gewürze und Duftstoffe, von ihnen gingen aber auch bedeutende kulturelle Einflüsse aus.
In seiner Einleitung betont Agostino Paravicini Bagliani, ebenso wie mehrere andere Autoren des Buches, die Notwendigkeit einer interdisziplinären Behandlung der Thematik. Anhand seiner prägnanten Vorstellung der einzelnen Beiträge gelangt er zu dem Ergebnis, innerhalb der langen Geschichte der Parfums und Gerüche habe es neben sehr unterschiedlichen kulturellen, sozialen, philosophischen und religiösen Aspekten und Anwendungen auch eine bemerkenswerte Kontinuität gegeben. Die Frage nach kultur- und epochenübergreifenden Kontinuitätslinien stellt sich vor allem in den Artikeln, die sich mit der religiösen und rituellen Bedeutung und Verwendung von Parfums und Gerüchen beschäftigen. So widmen sich mehrere Autoren der Rolle von Düften, Gerüchen, Gewürzen und Kräutern in der Bibel und ihrer Auslegung. Dabei reicht das Themenspektrum vom "Parfum Gottes" (Béatrice Caseau), über die Darstellung der Himmelfahrt Marias in der Malerei (Anita Macauda, zum Gemälde "L'Assomption de la Vierge" von Nicolas Poussin, 1630-1632) bis hin zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bibelauslegung (Francesco Santi in einem sehr lesenswerten Beitrag zur mittelalterlichen lateinischen Exegese des Hohen Liedes; Iolanda Ventura zur Auslegung von Exodus 30 durch Autoren der Frühen Neuzeit). Eng damit verbunden ist die Frage des besonderen Duftes, der nach Darstellung mittelalterlicher Zeitgenossen von Heiligenreliquien ausging. Der Abt Thiofrid von Echternach widmete diesem Thema um 1100 seinen Traktat Flores epythaphii sanctorum, der Gegenstand der Ausführungen von Martin Roch ist. In diesem Fall kam lokalen Traditionen in Echternach und der Vita des heiligen Willibrord, eines angelsächsischen Mönches und Gründers der Abtei (Ende 7. Jahrhundert), eine besondere Bedeutung zu.
Bei der Einbalsamierung von Verstorbenen, als Grabbeigaben oder Grabschmuck hatten Parfums, aromatische Kräuter und Blumen seit der Antike eine besondere Funktion, die, für unterschiedliche Epochen, ebenfalls von mehreren Autoren diskutiert wird (beispielsweise von Rémi Corbineau und Patrice Georges-Zimmermann für Mittelalter und Frühe Neuzeit). Blumen und ihre Verwendung als Grabschmuck wurden im antiken Rom im Zusammenhang mit dem Kreislauf des Lebens in Form von Epitaphen und Gedichten auch literarisch behandelt. Die römischen Feiern der Rosaria zum Totengedenken verwiesen explizit auf Rosen (Francesca Romana Nocchi). Dieselben Substanzen, die zur Einbalsamierung eingesetzt wurden, fanden teilweise auch in der Medizin, bei der Herstellung von Giften (Franck Collard) und in der Küche (Bruno Laurioux) Anwendung.
Gerüche und Düfte, aber auch Gestank, spielten im Alltagsleben mittelalterlicher französischer Städte und in der Literatur ebenfalls eine Rolle. Wie Jean-Pierre Leguay zeigt, bemühten sich Städte in Form von Ordonnances und des Erlasses von Sanktionen immer wieder um eine Verbesserung der Straßenreinigung und Hygiene, auch unter dem Gesichtspunkt des Vorgehens gegen Ansteckungsgefahr und Seuchen wie der Pest. In manchen Fabliaux haben Gerüche eine wichtige Funktion für die Handlung. Es handelt sich hier allerdings meistens um negative Gerüche wie Körperausdünstungen und Exkremente. Sie verstärken die Drastik der Schilderungen. Die Autoren setzten sie auch zur abwertenden Charakterisierung des einfachen Volkes im Gegensatz zur Elite ein (Anne Cobby). Baudouin Van den Abeele ergänzt den Blick auf die Literatur durch seine Studie zur Wahrnehmung des Geruchsinnes von Tieren (Geier und andere Greifvögel, Hunde) und der Entwicklung der Darstellung ihrer besonderen Fähigkeiten, unter anderem in Schriften zur Jagd, der Bibel und ihrer Auslegung. Wie der sorgfältig recherchierte und interessante Aufsatz von Martine Ostorero zeigt, brachte man in Mittelalter und Früher Neuzeit, im Gegensatz zum besonderen Duft Marias und der Heiligen, Gestank, Schwefelgeruch und Exkremente mit Ritualen des Hexensabbats und der Teufelsanbetung in Verbindung. Die Auswertung von Traktaten und Gerichtsakten, vor allem aus dem Raum von Lyon und der heutigen französischsprachigen Schweiz belegt, dass man dabei versuchte, im Zuge von Hexen- und Ketzerverfolgungen abgelegte Geständnisse als Beweis der Realität der Sinneswahrnehmungen oder der Dämonen und des Teufels selbst anzuführen. Marina Montesano beschäftigt sich, unter anderem anhand der Beispiele von De occulta philosophia von Agrippa von Nettersheim, dem antiken Griechenland und der Bibel, ebenfalls mit der Darstellung des Geruchs von magischen Praktiken und Opfern. Franck Collard kommt anhand seines kenntnisreichen und interessanten Beitrags und der Auswertung von Traktaten und sogenannten Giftschriften zu dem Ergebnis, in schriftlichen Äußerungen zum Giftmord hätten Gerüche als Waffe eine vergleichsweise geringe Beachtung gefunden. Einen diesbezüglichen Höhepunkt beschreibt er vor allem für das 16. Jahrhundert und Italien.
In einer Reihe der in diesem Band versammelten Texte werden Probleme hinsichtlich der Terminologie von Parfums und Gerüchen angesprochen, die sich auch aus der leichten Flüchtigkeit der Duftstoffe ergeben. Die Untersuchung lexikographischer Aspekte durch Frankwalt Möhren und die theoretische Behandlung dieser Phänomene und von Sinneswahrnehmungen als "esse materiale" oder "esse intentionale", beispielsweise in Aristoteleskommentaren des 13. Jahrhunderts (Pietro Bassiano Rossi), und "odeurs et vapeurs du vin" als Gegenstand von Mythos und Philosophie (François Quiviger) stellen insofern eine sehr sinnvolle Ergänzung dar. Der Frage nach der Identifizierung konkreter Pflanzen, Substanzen und Gewürze, die zur Herstellung von Parfums gebraucht wurden, widmen sich Bruno Laurioux (der auch mittelalterliche Kochbücher vorstellt und Brücken zur Zusammensetzung und zum Geruch heutiger Parfums schlägt) und, in Form von Herbarien zu in der Bibel erwähnten Pflanzen, auch der umfangreiche Beitrag von Iolanda Ventura. Ein Einzelbeispiel für den Erfolg eines bestimmten Parfums an Höfen des Mittelalters und der Renaissance steuert Virginie Mézan-Muxart mit ihren Überlegungen zu dem aus einem Sekret der Zibetkatze gewonnen Duft bei.
Insgesamt gesehen bietet der Band ein vielfältiges und kulturgeschichtlich interessantes, detailreiches Bild des Gebrauchs von Düften und Gerüchen, das sehr aufschlussreiche Einblicke in ihre historische Bedeutung und sich wandelnde Wahrnehmung in den verschiedensten Lebensbereichen vermittelt. Damit ist es seinem interdisziplinären Anliegen entsprechend auch für Leser aus nichthistorischen Fächern von großem Interesse.
Gisela Naegle