Walter Koring / Mikael Horstmann (Bearb.): Revolution! Das Jahr 1848. Das Tagebuch des David Adolph Zunz, Frankfurt/M.: Henrich 2016, 140 S., 18 Abb., ISBN 978-3-943407-52-5, EUR 14,95
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Die anzuzeigende schmale Publikation gibt nur wenige Auskünfte über ihre Entstehung und Absichten: Über den Verfasser des Tagebuchs und dessen Überlieferungsgeschichte - es wurde in der Familie Zunz aufbewahrt und befindet sich heute als Dauerleihgabe im Jüdischen Museum Frankfurt - finden sich lediglich auf der Rückseite des Buchumschlags rudimentäre Informationen. Die Einleitung kommt mit 26 Zeilen aus, in denen die allgemeine Stimmung im Jahr 1848 in der Stadt Frankfurt am Main und die Lage der jüdischen Bevölkerung skizziert werden. Ähnlich knapp ist die Annotation des Textes gehalten; sie beschränkt sich auf elementare Informationen zu den im Text erwähnten Örtlichkeiten und Personen. An sechs Stellen wird der Text von farblich abgesetzten erläuternden Überleitungen unterbrochen, die über die Verkehrsstruktur der Stadt, die Neugestaltung des Kaisersaals im Römer, die städtische Verfassung, die Frankfurter Feuerwehr, die Wahlrechtsbeschlüsse des Vorparlaments sowie die Bedeutung des Waffenstillstands von Malmö in Zusammenhang mit den Frankfurter Septemberunruhen unterrichten, an deren Vorabend die Tagebuchaufzeichnungen abbrechen.
Der üppig gesetzte Quellentext selbst bietet nur ein kurzes Lesevergnügen, denn das am 13. Juli 1847, dem Tag, an dem David Adolph Zunz als Lehrling in das Comptoir seines Onkels eintrat, begonnene Tagebuch bietet pro Monat zumeist nur ein oder zwei Einträge; am dichtesten ist die Überlieferung für den März 1848, in dem Zunz achtmal seine Beobachtungen festhielt. Seine Arbeitserfahrungen - er war offenkundig hauptsächlich mit Schreib- und Botendiensten befasst - hielt Zunz nicht für bemerkenswert, denn seine Texte handeln fast ausschließlich von Beobachtungen, die er in seiner Freizeit machte. In den Monaten vor Ausbruch der Revolution, die ungefähr ein Drittel des Tagebuchs ausmachen, waren dies Ausflüge in die Umgebung Frankfurts, Familienfeste, aber auch öffentliche Attraktionen wie die städtische Konstitutionsfeier oder der Auftritt eines englischen Ballonfahrers, der die gesamte Stadt in Atem gehalten zu haben scheint. Die Märzrevolution, die in Frankfurt weniger wegen innerstädtischer Konflikte als vielmehr wegen überschwappender Unruhen aus dem benachbarten Kurfürstentum Hessen ihre Brisanz gewann, beobachtete der 17-jährige Lehrling mit großer Aufmerksamkeit, aber auch mit einem gewissen Unbehagen: "Im Allgemeinen war diese Woche die Gesinnung gegen die Juden nicht sehr günstig, besonders unter den unteren Schichten", notierte Zunz am 11. März, der ansonsten die Tageskonflikte aber nicht in erster Linie als Angehöriger einer religiösen Minderheit, sondern als politisch bewusster junger Mann wahrnahm.
Dass die Märzrevolution auf den grundsätzlichen Gegensatz von Republik oder Fortbestand der monarchischen Ordnungen und weniger auf die Frage hinauslief, wie letztere modernisiert werden könnten, scheint für Zunz rasch klar gewesen zu sein, wenngleich seine eigene politische Stellung in den Tagebucheinträgen nicht immer präzise zu fassen ist. Den Zusammentritt des Vorparlaments am 30. März begrüßte auch Zunz, der indes in dem allgemeinen Freudentaumel zurückhaltend blieb: "Dazu berechtigen uns die Aussichten auf die Zukunft freilich nicht. Die Papiere fallen immer mehr und mehr. Die Nachrichten aus Schleswig-Holstein und Mailand lassen einen Krieg befürchten. In Deutschland spricht man hier und da von einer Republik. Eine Anarchie wäre unter den jetzigen Umständen nicht unmöglich und wird von vielen befürchtet". Die Abstimmungsniederlage der Radikalen im Vorparlament registrierte Zunz eher beiläufig, und die Nachricht vom Scheitern des Heckerzuges kommentierte er am 25. April so, wie dies im Lager der Gemäßigten weithin getan wurde: Man könne "mit Recht behaupten, dass durch dieselben den Monarchen das beste Mittel zur Reaktion in die Hand gegeben wird". In den folgenden Wochen scheint bei Zunz jedoch die Sympathie für die Demokraten ein Stückchen gewachsen zu sein. Der Zusammentritt der Nationalversammlung am 18. Mai, deren erste Sitzung "wenig Beifall" hatte, war ihm nur wenige Zeilen wert, während die Offenbacher Generalversammlung der Arbeiter und der Frankfurter Demokratenkongress im Juni im Tagebuch größere Aufmerksamkeit fanden. Recht ausführlich beschrieb Zunz in einem Eintrag vom 12. Juli den Einzug Erzherzog Johanns als Reichsverweser in Frankfurt. In dieser Beschreibung wird nun eine deutliche Distanz zu dem gemäßigten Mainstream sichtbar: Zunz monierte die Festregie, die das Publikum unnötigerweise stundenlang auf den verspätet eintreffenden Reichsverweser habe warten lassen, und kommentierte auch den abschließenden Fackelzug kritisch: "Gesprochen ward dabei wenig, wohl aber mehrere patriotische Lieder gesungen, die er mit einer lakonischen Rede beantwortete. Dass mehrere der beim Fackelzug ausgebrachten Vivat nicht ihm, sondern Hecker galten, das scheint er nicht bemerkt zu haben".
Diesem Eintrag folgen noch drei kürzere und ein längerer vom 17. September, in dem Zunz die gespannte Atmosphäre in der Stadt am Vortag der Barrikadenkämpfe schildert, die vielfach zurecht als eine Wendemarke nicht nur in der Geschichte der Nationalversammlung, sondern der deutschen Revolution insgesamt gewürdigt worden sind. Darüber zu klagen, dass die Aufzeichnungen an diesem Punkt abbrechen, wäre müßig; dennoch stellt sich angesichts des fragmentarischen Charakters des Tagesbuchs die Frage, ob der Aufwand einer Edition gerechtfertigt war und, wenn ja, ob man diese nicht mit größerer Sorgfalt hätte vornehmen können, um denjenigen Leserinnen und Lesern, die mit der Geschichte der Revolution von 1848 nicht bereits gut vertraut sind, die Erschließung des Textes zu erleichtern.
Frank Engehausen