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Nils Freytag: Mehrfachbesprechung: Wolfram Siemann: Metternich. Stratege und Visionär. Eine Biografie, München: C.H.Beck 2016. Einführung, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 9 [15.09.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
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Mehrfachbesprechung: Wolfram Siemann: Metternich. Stratege und Visionär. Eine Biografie, München: C.H.Beck 2016

Einführung

Von Nils Freytag

Wie kaum ein anderer drückte der österreichische Staatskanzler Metternich (1773-1859) der europäischen Geschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts seinen Stempel auf. Wie selbstverständlich sprechen Historiker für die Jahrzehnte zwischen Wiener Kongress und den Revolutionen 1848/49 daher auch von der »Ära Metternich«. Mit Blick auf die reaktionären, restaurativen und antimodernen Tendenzen machten nicht wenige Zeitgenossen ein »Metternichsches System« aus, sahen in dem österreichischen Staatskanzler gleichsam die Verkörperung alles Rückwärtsgewandten. Diese bis in die jüngste Geschichtswissenschaft hineinreichenden Sichtweisen stellt Wolfram Siemann in seiner im Februar dieses Jahres erschienenen Metternich-Biografie auf den Prüfstand.

Die publizistische Resonanz auf das Buch ist insgesamt überwältigend positiv ausgefallen. In allen führenden Tages- und Wochenzeitungen, in Funk und Fernsehen wurde es nahezu durchweg gelobt: "Meisterwerk" (NZZ) oder "setzt Maßstäbe" (FAZ) sind nur zwei Beispiele, wiederholt ist die Rede von einem neuen Standardwerk zur Person wie Epoche. In der ZEIT vom 18. Februar 2016 bezog Alexander Cammann das Lebensbild auf das aktuelle politische Tagesgeschäft und wünschte sich, "dass Angela Merkel im heutigen europäischen Konzert die sagenhafte Ausdauer und strategische Kunst Metternichs" besäße; die Überschrift empfahl das Buch der Kanzlerin gar zur Lektüre. [1]

In nun schon guter sehepunkte-Tradition soll das FORUM der Septemberausgabe dieser wichtigen Neuerscheinung mit mehreren Besprechungen gewidmet sein. Den publizistischen Stimmen werden damit ausgewogene fachwissenschaftliche Urteile zur Seite gestellt. Auch wenn ich als langjähriger Mitarbeiter von Wolfram Siemann natürlich befangen bin und mich zurückhalten muss, will ich Sie einleitend auf zwei Aspekte hinweisen. Alle vier Rezensenten und die Rezensentin heben die fundamental neue Quellengrundlage hervor, auf der die Lebensbeschreibung des österreichischen Staatskanzlers beruht. Das gilt für das umfangreiche Metternichsche Familienarchiv und den persönlichen Nachlass des Staatskanzlers (beide im Nationalarchiv Prag) ebenso wie für die reichhaltigen Archivalienfunde im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien. Gleichsam nur nebenbei wird in den Besprechungen dagegen erwähnt, wie vorzüglich und verständlich das Buch geschrieben ist. Das ist leider keine Selbstverständlichkeit (mehr) im Wissenschaftsbetrieb. Daher möchte ich es ausdrücklich betonen. Denn so kann es auch der interessierte Laie mit Gewinn zur Hand nehmen und lesen, zumal die Quellenzitate die Biografie sehr anschaulich machen.

Wir konnten für diese Mehrfachbesprechung fünf ausgewiesene Fachleute zur Geschichte des 19. Jahrhunderts gewinnen, die das bald 1000-seitige Buch dankenswerter neben dem laufenden Semesterbetrieb aufmerksam und kritisch gelesen haben. Sie sollen hier mit ihren Forschungsschwerpunkten in alphabetischer Reihenfolge kurz vorgestellt werden:

Franz J. Bauer ist Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und einer der besten Kenner der Geschichte des langen 19. Jahrhunderts. Davon zeugen zahlreiche Publikationen zur Epoche, neben einer konzisen, wiederholt neuaufgelegten Gesamtdarstellung stehen Untersuchungen zum deutschen Bürgertum, zur italienischen Geschichte und nicht zuletzt zur Monumentalsymbolik und politischen Architektur in den europäischen Nationalstaaten.

Werner Drobesch ist als außerordentlicher Professor an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt ein ausgewiesener Experte der (früh)neuzeitlichen Geschichte der Habsburgermonarchie mit ausgeprägt sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Interessen. Hervorgetreten ist er etwa mit Arbeiten zum Vereins- und Verbandswesen im Kärnten des frühen 20. Jahrhunderts sowie zu den österreichischen Agrarreformen im Vormärz. Letzteres ist gerade auch hinsichtlich des in Wolfram Siemanns »opus magnum« erstmals akzentuierten "Ökonomen" Metternich zu unterstreichen.

Michael Rowe lehrt als Senior Lecturer Neuere und Neueste Europäische Geschichte am King's College London. Sein Augenmerk gilt in der Forschung der Epoche der Französischen Revolution und der Napoleonischen Ära, der in der Metternich-Biografie viel Raum gewährt wird. Ebenso widmet Rowe sich Staatsbildungsprozessen und Nationalitätenfragen im 19. Jahrhundert. Besonders ist auf seine lesenswerte Studie über das Rheinland in dieser Übergangsepoche (1780-1830) aufmerksam zu machen, eben jener Region, der Metternich entstammte und der er sich Zeit seines Lebens verbunden fühlte.

Thomas Stamm-Kuhlmann ist Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Geschichte der Neuesten Zeit an der Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald. Er hat sich intensiv mit der (preußischen) Geschichte des langen 19. Jahrhunderts auseinandergesetzt. Zu denken ist insbesondere an seine grundlegende Biografie über Friedrich Wilhelm III. oder die von ihm edierten und eingeleiteten Tagebücher und autobiographische Aufzeichnungen des preußischen Staatskanzlers Karl August von Hardenberg; beides wichtige Zeitgenossen und Wegbegleiter Metternichs. Seine Expertise greift aber weit über die preußische Geschichte hinaus, im vorliegenden Zusammenhang ist besonders bemerkenswert, dass er schon 1999 in einem lesenswerten Aufsatz den Motiven für eine Rehabilitation Metternichs im 20. Jahrhundert nachspürte.

Last but not least stammt eine Besprechung aus der Feder von Barbara Wolbring, die seit einigen Jahren - unterbrochen von verschiedenen Lehrstuhlvertretungen - als Privatdozentin für Neuere und Neueste am Historischen Seminar der Goethe-Universität Frankfurt am Main lehrt. Geforscht und publiziert hat sie zuletzt zum Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zuvor aber vor allem auch zu kultur-, wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Themen des langen 19. Jahrhunderts. Beachtung verdient in jedem Fall ihre Studie zu Krupp und der Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert.

Verbunden war die Wahl der Rezensenten und der Rezensentin mit der Hoffnung, unterschiedliche »Sehepunkte« auf das Buch zu gewinnen. Inwieweit dies gelungen ist, bleibt wie immer Ihrer Lektüre überlassen.


Anmerkung:

[1] DIE ZEIT Nr. 9/2016, 18. Februar 2016, URL: http://www.zeit.de/2016/09/fuerst-von-metternich-politisches-buch-wolfram-siemann [13.09.2016]

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