Annika B. Kuhn (ed.): Social Status and Prestige in the Graeco-Roman World, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2015, 342 S., ISBN 978-3-515-11090-7, EUR 56,00
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Mit den Begriffen "Sozialer Status" und "Prestige" werden in dem vorliegenden Sammelband zwei zentrale Analysekategorien bei der Beschäftigung mit antiken Gesellschaften in Verbindung zueinander gebracht. Insbesondere werden in den exzellenten Einzeluntersuchungen die Dissonanzen zwischen den beiden Kategorien in den Blick genommen.
Kritik muss allerdings an der Wahl des Titels geübt werden; denn der Band beschäftigt sich ausschließlich mit der Prinzipatszeit und in geringerem Maße mit der Spätantike. Beiträge zu den griechischen Gesellschaften der Klassik und Archaik fehlen vollständig, Anmerkungen zur hellenistischen Zeit oder zur römischen Republik finden sich nur an wenigen Stellen. Das verleiht dem Band aber immerhin eine gewisse innere Kohärenz.
Umso beklagenswerter ist daher das Fehlen einer thematischen Einleitung, die sich auf theoretischer Ebene näher mit den gewählten Oberbegriffen (und dem ebenfalls immer wieder auftauchenden Rangbegriff) hätte auseinandersetzen und ein Gesamtbild der doch sehr heterogenen Studien bieten können. So bleiben die meisten Beiträge doch etwas unverbunden und das Verständnis der "Status" und "Prestige" doch recht unterschiedlich.
Nichtsdestoweniger ist die Qualität der einzelnen Beiträge sehr hoch. Das Auseinanderklaffen von Status und Prestige wird dabei auf unterschiedlichen Feldern untersucht. So untersucht Annika Kuhn im ersten Beitrag (9-28) den Diskurs um Status und Prestige bei Plinius, Juvenal und Martial, die ein hohes Maß an Sensitivität für die Dynamiken und Diskrepanzen im sozialen System ihrer Zeit zeigen. Auf Statusdissonanzen innerhalb des "ordo equester" geht auch John Bodel in seinem Beitrag ein (29-44), während sich Matthäus Heil (45-62) und Ségolène Demougin (63-85) mit der spontanen Genese und zunehmenden Verfestigung von Rangtiteln beschäftigen.
Daneben setzten sich mehrere Beiträge mit Statusfragen in lokalen Gesellschaften auseinander (Henrik Mouritsen, Andrew Wallace-Hadrill, Werner Eck, Onno van Nijf und Anna Heller). Ausgehend vor allem von epigraphischen Quellen kommen alle Autoren zu dem Ergebnis, dass die lokalen Gesellschaften nicht nur nach klaren rechtlichen Kriterien strukturiert waren und die Darstellung von Status und Prestige keineswegs einheitlich, sondern von verschiedenen Faktoren abhängig waren. So wirft Henrik Mouritsen (87-113) die Frage nach einer "middling class" in der pompejanischen Gesellschaft auf und Andrew Wallace-Hadrill (115-151) betont ausgehend vom Album von Herculanum, dass eine binäre Einteilung der römischen Bürger in Freigeborene und Freigelassene zu kurz greift und man von einer großen Anzahl "incerti" ausgehen muss. Zudem müsse man auch von einer in sich differenzierten Elite und einem weiteren Kreis von Familien ausgehen, aus denen sich die Dekurionen und Bouleuten rekrutierten. So sei es auch etwa nur für niedere Amtsträger von Interesse, ihren Status als Bouleuten darzustellen, wie Anna Heller herausarbeitet (247-267). Ehrenstatuen waren nichtsdestoweniger ein wichtiges Kommunikationsmedium für die gesamte politische Gemeinschaft und fungierten als "civic mirrors" (243; Onno van Nijf: 232-245). Grabmäler leisteten diese Funktion nur teilweise, wie Werner Eck betont (165-187): Zwar überragten Monumente der Elitenmitglieder die Gräber einfacher Bürger, allerdings lässt sich etwa im römischen Köln relative Gleichheit der Repräsentation der eigentlich sehr differenzierten Elite feststellen und einigen Gräbern fehlt sogar jegliche Monumentalität. Wie sehr ohnehin die Darstellung von Status von aktuellen Moden abhängig zwar, zeigt zudem Werner Tietz (153-164) in seiner Studie zu Fischteichen in der späten Republik und frühen Kaiserzeit.
Weitere Beiträge beschäftigen sich mit dem Kaiser selbst. Martin Zimmermann spricht über die grundlegende Paradoxie des kaiserlichen Status, der sich gegenüber den Senatoren trotz seiner Überlegenheit als einer der ihren zeigen musste, und bietet dabei vielerlei Ansatzpunkte für weiterführende Einzeluntersuchungen (189-203). In einer Spezialstudie zu Kaiser Claudius bespricht Annika Kuhn Prestige als machtpolitische Ressource des Kaisers (205-232). So habe Claudius, der ja selbst zu Beginn seiner Regierungszeit ein regelrechtes "Prestige-Defizit" (206) besaß, Statussymbole gezielt als politisches Mittel eingesetzt, um sich selbst Akzeptanz zu verschaffen.
Mit den Veränderungen der Darstellung von Status beschäftigen sich die Beiträge von Caillan Davenport zur Repräsentation von Senatoren (269-289) und von Boudewijn Sirks zu Status und Rang im Codex Theodosianus (291-302), die beide betonen, dass insbesondere der senatorische Status und seine Artikulation von besonderer Bedeutung blieben. Anknüpfungen an die Beiträge von Matthäus Heil und Ségolène Demougin zur Genese und Verstetigung der Rangtitel in der Kaiserzeit wären hier sicher sinnvoll gewesen und hätten zur Präzisierung der Ergebnisse beigetragen.
Christliches Prestigedenken wird nur in den letzten beiden Beiträgen diskutiert. Ulrike Ehmig (303-314) und Rudolf Haensch (315-339) zeigen hier anhand des Gebrauchs der Demutsformel "servus dei" und "doûlos theoû" die unterschiedlichen Entwicklungen in West und Ost. Hier vermisst man wieder eine thematische Einführung, in der die Herausbildung einer christlichen Status- und Prestige-Ordnung in gesamtgesellschaftliche Entwicklungen hätte eingebunden werden können - so bleiben diese beiden, nichtsdestoweniger äußerst lesenswerten Beiträge etwas isoliert vom Rest.
So fällt der Gesamteindruck des Bands zwiespältig aus. Die Einzelstudien regen alle zu weiteren Forschungen an und bieten einen Eindruck von der Komplexität der Phänomene "Status" und "Prestige" in der Kaiserzeit. Sie zeigen, dass Status nicht einfach ein unveränderlicher Besitz war, sondern dynamisch geformt wurde. Das Fehlen einer Einführung und von Indices sowie der daraus resultierende unterschiedliche Rückgriff der Beiträger auf die beiden Oberbegriffe des Sammelbandes erschweren eine Synthese der Ergebnisse aber unnötig.
Lennart Gilhaus