Michael Düring / Krzysztof Trybuś (Hgg.): Polen und Deutsche in Europa / Polacy i Niemcy w Europie. Beiträge zur internationalen Konferenz, 25. und 26. Oktober, Kiel / Tom podsumowujący konferencję międzynarodową, 25 i 26 października 2012, Kilonia (= Schriften des Zentrums für Osteuropa-Studien (ZOS) der Universität Kiel; Bd. 6), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2014, ISBN 978-3-631-65435-4, EUR 49,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Elisabeth Piller: Selling Weimar. German Public Diplomacy and the United States, 1918-1933, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020
Patryk Babiracki: Soviet Soft Power in Poland. Culture and the Making of Stalin's New Empire, 1943-1957, Chapel Hill, NC / London: University of North Carolina Press 2015
Heidi Eisenhut / Anett Lütteken / Carsten Zelle (Hgg.): Europa in der Schweiz. Grenzüberschreitender Kulturaustausch im 18. Jahrhundert, Göttingen: Wallstein 2013
Heta Aali / Anna-Leena Perämäki / Cathleen Sarti (eds.): Memory Boxes. An Experimental Approach to Cultural Transfer in History, 1500-2000, Bielefeld: transcript 2014
Daniel Logemann: Das polnische Fenster. Deutsch-polnische Kontakte im staatssozialistischen Alltag Leipzigs 1972-1989, München: Oldenbourg 2012
Diese Sammlung verschriftlichter Konferenzbeiträge kann sich gute Chancen auf eine Auszeichnung für den einfallslosesten Buchtitel des Jahres ausrechnen. Ihr Titel ist nicht nur äußerst beliebig, sondern stellt sich auch in eine lange Reihe von Publikationen mit zum Verwechseln ähnlichen Titeln (ein deutsches Buch von 2004 und ein polnisches von 2000 sind sogar exakt gleich benannt). Allerdings macht ein Blick in die ersten Beiträge die Wahl etwas plausibler: Der Name des Buches ist gleichzeitig die Bezeichnung eines gemeinsamen Studiengangs, der soeben an den Universitäten Kiel und Posen (Poznań) ins Leben gerufen wurde. Leser des Sammelbandes werden also Zeugen einer Geburt - sowohl mit Berichten direkt aus dem universitären Kreißsaal als auch mit den ersten Lebenszeichen des Neugeborenen in Form von Forschungsberichten und -kostproben der enthaltenen Fachgebiete.
Die Beiträge sind entweder in deutscher oder polnischer Sprache abgedruckt. Wer nur einer der beiden Sprachen oder lediglich des Englischen mächtig ist, kann (mit Ausnahme der beiden Vorworte) auf vorangestellte kurze Zusammenfassungen zurückgreifen. Wer hingegen mehr über die Verfasser der Texte erfahren will, geht leer aus - es gibt keine Biogramme, die veranschaulichen würden, ob der jeweilige Beitrag von einem etablierten Vertreter des Faches, einem Doktoranden oder gar einem begabten Studierenden stammt. Lediglich die jeweiligen Arbeitsorte der Verfasser sind angegeben.
Auch wenn das Inhaltsverzeichnis uns eine inhaltliche Sortierung unverständlicherweise vorenthält, ist das Buch doch klar strukturiert - nach zwei einleitenden Beiträgen der Herausgeber (32 Seiten) folgt ein Einzeltext unter der Rubrik "Einführendes" (14 Seiten). Den Hauptkorpus bilden Beiträge aus den Abschnitten "Historisch-Politisch-Soziologisches" (vier Beiträge auf 56 Seiten), "Linguistisches" (vier Beiträge auf 68 Seiten), "Literarisches" (neun Beiträge auf 124 Seiten) sowie "Varia" (zwei Beiträge auf 39 Seiten). Diese Zahlenkolonnen bestätigen den Anfangsverdacht, dass der literaturwissenschaftliche Forschungsschwerpunkt der beiden Herausgeber sich in einem Übergewicht der Beiträge aus ihrem Fachgebiet niederschlägt. Somit wird die im Titel versprochene Bandbreite an Themen nur bedingt eingelöst, zumal die Beiträge im Bereich "Linguistik" gerne die Grenze zur Onomastik, Literaturwissenschaft und Pädagogik überschreiten (derlei methodische Grenzübertritte sind in den literaturwissenschaftlichen Beiträgen erheblich seltener).
Der Bereich "Varia", auf den letzten Seiten versteckt, erweckt wiederum den Eindruck eines Katzentischs für Themen, welche sich sonst nirgendwo sinnvoll einordnen ließen - dabei hätten sich gerade hier Forschungsfelder im deutsch-polnischen Berührungsgebiet ansprechen lassen, die noch völlig brachliegen. Von den beiden dort gruppierten Texten, die ebenso gut im historischen Abschnitt hätten landen können, bewegt sich vor allem einer weitgehend in wissenschaftlichem Neuland - ein Abriss von Diethelm Blecking über deutsch-polnische Sportgeschichte. Schon ein Blick in die Fußnoten mit zahlreichen Selbstzitaten des Autors lässt vermuten, dass die Quellenlage in diesem Bereich noch sehr dünn ist. Dies wird in Bleckings Artikel dadurch bestätigt, dass die deutsch-polnischen Verschmelzungs- und Reibungspunkte im Sport vom vergleichsweise gut dokumentierten Fußball so stark dominiert werden, dass bei der Beschreibung eines Länderspiels schon gar nicht mehr erwähnt wird, in welcher Sportart dieses ausgetragen wurde (319).
Dieser Text lässt jedoch erahnen, dass noch einige weiße Flecken im insgesamt schon intensiv bearbeiteten Feld der deutsch-polnischen Beziehungen zu füllen sind, um das Thema "Deutsche und Polen" wirklich breit und umfassend darzustellen. Es bleibt also zu hoffen, dass bei den nächsten Lebenszeichen eines Magister-Studiengangs über "deutsch-polnische interkulturelle Beziehungen" (33) auch Forschungen beispielsweise zu Mode, Wirtschaft, Subkulturen oder Videospielen den Bereich "Varia" füllen.
Die Bereiche mit den "klassischen" Disziplinen enthalten weitgehend konventionelle Forschungsberichte, die lediglich durch den deutsch-polnischen roten Faden (in Form von Berührung, Austausch und gegenseitiger Rezeption) zusammengehalten werden - von ortsspezifischen Studien zum Beispiel über die Universität Posen (Helmut W. Schaller) oder die dortige Buchreihe Posener Deutsche Bibliothek (Hubert Orłowski) über terminologische Betrachtungen zu den Begriffen "Osteuropa" und "Ostmitteleuropa" (Ludwig Steindorff), die Vorstellung empirischer Untersuchungsergebnisse zur Rolle interkultureller Literatur im Fremdsprachenunterricht (Marta Janachowska-Budych), Studien zur Zweisprachigkeit (Norbert Nübler über Deutschland, Anna Zielińska über die Woiwodschaft Lebus), deutsche Nachnamen in Posen (Irena Sarnowska-Giefing), die Vorstellung von Autoren, Werken und ihrer Rezeption (Maciej Junkiert über Kazimierz Brodziński, Jerzy Kałążny über Artur Becker, Emilia Kledzik über Reiseberichte deutscher Autoren, Arkadiusz Kalin über Andrzej Stasiuk), die vergleichende Analyse historischer Fiktionen (Czesław Karolak) bis hin zur ausufernd peniblen Aufstellung polnischer Linguisten an deutschen Hochschulen (Tadeusz Lewaszkiewicz).
Diese und einige weitere Beiträge unterscheiden sich inhaltlich, stilistisch und fachlich so stark, dass außer der Redaktion, den Herausgeber und einigen Rezensenten kaum jemand das ganze Buch durchlesen wird. Vielmehr dürfte der eine oder andere Beitrag lediglich für ein mit dem jeweiligen Thema befasstes (bisweilen vermutlich sehr kleines) Fachpublikum relevant oder sogar wesentlich sein. Deshalb seien an dieser Stelle zwei Artikel hervorgehoben, welche nicht nur bislang unbekannte oder vergessene Phänomene beschreiben, sondern auch so flüssig und anschaulich geschrieben sind, dass auch ein Laie ohne Vorkenntnisse sie mit Gewinn lesen wird. Zum einen ist das bei Małgorzata Czabańska-Rosada der Fall, die uns (auf Deutsch) mit Gerd Fischer von Mollard empathisch einen von der Literaturwissenschaft marginalisierten Heimatdichter vorstellt. Katarzyna Kuczyńska-Koschany hat wiederum (auf Polnisch) einen verschollenen semi-literarischen Schatz gehoben - Józef Jakubowskis Schilderung einer Polarexpedition.
In Bezug auf das wissenschaftliche Vorgehen sind grundsätzliche Unterschiede zwischen Texten deutscher und polnischer Provenienz nicht festzustellen, wenn man von einer leichten Tendenz zum Datensammeln und gelegentlichen Überfrachten in einigen Beiträgen aus Polen absieht. In dieser Hinsicht trägt der schon lange existierende wissenschaftliche Austausch (nicht nur) zwischen den Forschungszentren in Schleswig-Holstein und Großpolen durchaus Früchte. Äußerst positiv fällt hierbei auf, dass einige polnische Wissenschaftler/innen ihre Untersuchungsergebnisse wie selbstverständlich auf Deutsch publizieren.
Der größere Schwierigkeitsgrad der Zweisprachigkeit bringt allerdings auch höhere Ansprüche an das Lektorat mit sich. Anders ist nicht zu erklären, dass vor allem in Texten aus Posen und Grünberg (Zielona Góra) immer wieder kleine Fehler übersehen wurden - dort tauchen Fehler in Zitaten auf und werden Quellen unkorrekt angegeben (210), wird aus Dariusz Muszer ein "Dawid Muszer" (260), werden Dinge offensichtlich unabsichtlich wiederholt (261, 264) und Abkürzungen wie "et als." erfunden (290, 321).
Aber das sind Kinderkrankheiten eines Projekts, das zum Zeitpunkt der Publikation erst in den Startlöchern stand. Der Bildungs- und Forschungskooperation in Kiel und Posen seien zahlreiche und originelle Ergebnisse gewünscht - und dem Leser in ihren nächsten Publikationen jede Menge frisches Blut, auch von studentischen Autor/inn/en.
Rainer Mende