Felix Hinz (Hg.): Kreuzzüge des Mittelalters und der Neuzeit. Realhistorie - Geschichtskultur - Didaktik (= Historische Europa-Studien - Geschichte in Erfahrung, Gegenwart und Zukunft; Bd. 15), Hildesheim: Olms 2015, 389 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-487-15267-7, EUR 58,00
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Felix Hinz: Mythos Kreuzzüge. Selbst-und Fremdbilder in historischen Romanen (1786-2012), Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2014
Felix Hinz: Historische Mythen im Geschichtsunterricht. Theorie und Zugriffe für die Praxis, Frankfurt/M.: Wochenschau-Verlag 2023
Roland Bernhard / Susanne Grindel / Felix Hinz u.a. (Hgg.): Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern. Von Marathon bis zum Élysée-Vertrag, Göttingen: V&R unipress 2017
Der von Felix Hinz herausgegebene Sammelband geht im Wesentlichen auf ein Symposium in Hildesheim 2011 zurück, doch ist an den Beiträgen bis zur Veröffentlichung weitergearbeitet worden.
Andreas Rüther eröffnet die zwölf Beiträge mit einem guten Überblick über "Die mittelalterlichen Kreuzzüge in der westlichen Geschichtsschreibung seit Runciman". Mit Jonathan Phillips ist einer der heute einschlägigen Autoren im Band vertreten: Im Gegensatz zu verbreiteter wissenschaftlicher Meinung weist er nach, dass die Erinnerung an Saladin und die Kreuzzüge im Nahen Osten vom 15. bis zum 19. Jahrhundert immer präsent war. Der moderne Kreuzzugsaufgriff ist deshalb nicht bloß eine Wiederentdeckung nach der Konfrontation mit dem europäischen Imperialismus.
Der Begriff "Kreuzzüge" bezeichnete traditionell die Orientkreuzzüge und im weiteren Sinn alle kirchlich befürworteten Kriege gegen Heiden, Ketzer und so weiter, sodass man womöglich noch heutige humanitäre Interventionen als Transformationen verstehen könnte. [1] Im rezensierten Band wird mit einem weiten Kreuzzugsbegriff gearbeitet. Insofern wird mehrfach nach Transformationen des "Kreuzzugsgeistes" gefragt, der um einer Mission willen (unter anderem Michael Broers über Frankreich: "Zivilisation", Jenny Mahlandt über die USA: "Freiheit") über Leichen geht. Der Preis für die weite Interpretation lässt sich gut an den beiden Aufsätzen zur aktuellen US-amerikanischen Außenpolitik zeigen. Sowohl Mazhar Ahmad al-Zoby als auch Jenny Mahlandt arbeiten sich daran ab, ob diese mit dem Begriff von George W. Bush nur kurz nach dem 11. September verwendeten Begriff "Crusade" interpretiert werden kann. Die Problematik wird noch einmal im gut abschließenden Beitrag von Andreas Körber "Die Kreuzzüge - ein ergiebiges Thema für (interkulturelles) Geschichtslernen" aufgegriffen. Dennoch sorgt die Grundentscheidung für einen weiten Kreuzzugsbegriff dafür, dass "Realhistorie" und "Geschichtskultur" einerseits und schulische "Didaktik" andererseits etwas nebeneinander stehen, weil in den Lehrplänen und Schulbüchern und somit in der Schule eben doch primär die Orientkreuzzüge in den Blick genommen werden.
Mazhar Ahmad al-Zoby gesteht in "Die USA in der arabischen Welt - Moderne Kreuzzüge?" nur eingangs zu, dass die historischen Orientzüge und die aktuellen US-amerikanischen Kriegszüge deutlich zu unterscheiden sind: "Während die vier Eckpfeiler der mittelalterlichen Kreuzzüge ('Heiliger Krieg', 'Pilgerwesen', Texte des Alten Testaments und die Theologie des Neuen Testaments) keine wesentliche Rolle für die jüngsten amerikanischen Interventionen im muslimischen Mittleren Osten spielen, ist es die zentrale Ideologie der Kreuzzüge, die die bestimmte Art von Kriegsführung definiert und rechtfertigt, um die es mir geht. Der wesentliche Bestandteil dieser Kreuzzugsideologie ist die Fähigkeit, eine konsolidierte Vision moralischer Überlegenheit zu erzeugen" (89). Insofern sind die USA eben doch auf einem Kreuzzug. Für al-Zoby werden die ab den Neunzigerjahren angestellten Überlegungen über einen unvermeidlichen Zusammenprall der Kulturen als antiislamisches außenpolitisches und militärisches Programm durchgezogen. Die Mobilisierung zur Gewaltbereitschaft aus Überlegenheitsdünkel speise sich aus verschiedenen Quellen, aber besonders auch aus dem christlichen Fundamentalismus. [2]
Auch Jenny Mahlandt nimmt auf religiöse Prägungen der US-Politik, Selbst- und Feindbilder, die Interpretation der künftigen Weltpolitik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und religiöse Rhetorik Bezug, aber ganz anders. So zieht sie für die Interpretation der religiösen Komponenten nicht den US-amerikanischen protestantischen Fundamentalismus heran, sondern die US-amerikanische Zivilreligion. Und so ist der Denkhorizont der Akteure für sie auch nicht von einer Geschichtsdeutung des US-Fundamentalismus bestimmt, sondern eher vom Bezug auf US-amerikanische Ur-Mythen etwa von der Mission Freiheit: "Die Kreuzzugsidee der USA ist in ihrem Kern also eine nationale, die in ihrem historischen Gründungsmythos wurzelt. Obwohl diese Elemente [Beziehungen] zur mittelalterlichen Kreuzzugsidee aufweist, haben die USA hier etwas Eigenes geschaffen, das erst noch auf den Begriff gebracht werden muss, da die Bezeichnung 'Neue Kreuzzüge' noch keine befriedigende Bezeichnung darstellt" (159).
Während man al-Zobys Beitrag eher als pointierte Stellungnahme zur Weltpolitik aus arabischer Perspektive lesen wird, ermöglicht Taef el-Azhari in "Die Prägung zukünftiger Generationen durch das Bild der Kreuzzüge in der arabischen Kultur und Medienlandschaft" interessante Einblicke in das aktuelle Bild der Kreuzzüge in arabischen Medien. [3] Der europäische Schulbuchvergleich von Michele Barricelli ist ein gewisses Pendant zum Eingangsartikel, insofern länderspezifische "Imprägnierungen" (253) erkennbar werden.
Schulnahe und ertragreich sind die vier didaktischen Beiträge von Michele Barricelli, Björn Oncken, Sven Töde und Andreas Körber. Insbesondere auch Körbers Zitatensammlung kann zu einem anregenden Oberstufenunterricht über die Kreuzzüge beitragen.
Abgeschlossen wird der Band mit Übersichten von Filmen und Romanen, die in einem Kreuzzugssetting spielen. Zu letzteren hat Felix Hinz über die im Band vorgelegte aktualisierte Zusammenfassung "Die Orientkreuzzüge in deutschsprachigen Romanen" hinaus 2014 seine Habilitationsschrift veröffentlicht. [4]
Abgesehen von Neuauflagen bewährter Werke sind in den letzten Jahren viele neue Darstellungen zu den Kreuzzügen einschlägig geworden. Dabei wird wieder vieles debattiert, das lange als selbstverständliches Wissen galt, und zudem die Neurezeption der Kreuzzüge in der Kolonial- und Nachkolonialzeit aufgegriffen. Es ist deshalb verdienstvoll, wenn das neu bearbeitete Feld auch didaktisch noch einmal neu vermessen wird. Das rezensierte Buch ist dazu ein Beitrag.
Anmerkungen:
[1] Jonathan Riley-Smith: Die Kreuzzüge, Darmstadt 2015, 12.
[2] Mit Blick auf nötige Präzisierungen und Differenzierungen etwa von evangelikal und fundamentalistisch sei auf das Buch Erich Geldbach: Protestantischer Fundamentalismus in den USA und in Deutschland, Münster 2001 verwiesen, das von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen empfohlen wird.
[3] Mit Blick auf die Prägung zukünftiger Generationen muss für den deutschsprachigen Diskurs auf das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Nürnberg-Rostocker Projekt "Die Darstellung des Christentums in Schulbüchern islamisch geprägter Länder" verwiesen werden, in dessen Bänden auch die Kreuzzüge angesprochen werden: Johannes Lähnemann / Klaus Hock (Hgg.): Die Darstellung des Christentums in Schulbüchern islamisch geprägter Länder; Band 1: Wolfram Reiss: Ägypten und Palästina, Schenefeld b. Hamburg 2005; Band 2: Patrick Bartsch: Türkei und Iran, Schenefeld b. Hamburg 2005; Band 3: Jonathan Kriener / Wolfram Reiss: Libanon und Jordanien, Berlin 2012.
[4] Felix Hinz: Mythos Kreuzzüge. Selbst- und Fremdbilder in historischen Romanen 1786-2012, Schwalbach/Ts. 2014.
Hansjörg Biener