Mark A. Fraschka: Franz Pfeffer von Salomon. Hitlers vergessener Oberster SA-Führer, Göttingen: Wallstein 2016, 556 S., ISBN 978-3-8353-1909-7, EUR 39,90
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Biographien haben Konjunktur. Der vermeintliche Makel der wissenschaftlich unfruchtbaren Geschichtsschreibung über große Männer haftet ihnen schon lange nicht mehr an. Mark A. Fraschka hat sich in seiner 2014 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg eingereichten Dissertation nun des Werdegangs eines Mannes angenommen, dessen Leben sich "fast permanent im 'toten Winkel' der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts bewegte" (12). Die Rede ist von Franz Pfeffer von Salomon (1888-1968), oder, wie der Betreffende sich selbst lieber nannte: Franz von Pfeffer.
Über Pfeffer ist wenig bekannt. In der Historiographie führte der Freikorpsoffizier der Revolution von 1918/19, zeitweilige Gauleiter von Westfalen (1924-1926) und spätere Oberste SA-Führer (Osaf, 1926-1930) bislang ein Schattendasein. Licht in das Dunkel dieser Biographie zu bringen, ihr neue Facetten hinzuzufügen und aufzuzeigen, welche überindividuellen Schlussfolgerungen sich aus ihr ziehen lassen, ist das große Verdienst der vorliegenden Studie.
Nicht weniger als 16, über die ganze Bundesrepublik verstreute Archive hat der Autor aufgesucht, um Pfeffers Lebensweg so lückenlos wie möglich zu rekonstruieren. Ausgewertet wurden daneben auch die einschlägigen Editionen und Memoiren sowie zahlreiche zeitgenössische Periodika. Hinzu kommen diverse schriftliche Auskünfte, die Fraschka bei Angehörigen und Bekannten Pfeffers, wie etwa dessen Sohn Ferdinand (Jahrgang 1929) oder Hilde von Maibom (Jahrgang 1923), einer Freundin der Familie, einholte.
Der Ertrag kann sich sehen lassen. Fraschkas Studie ist so quellennah gearbeitet, wie dies in Anbetracht der zum Teil horrenden Überlieferungsverluste wohl überhaupt nur möglich ist. Wenn wichtige Kapitel, wie etwa die zu Pfeffers Militärzeit im Kaiserreich und im Ersten Weltkrieg, dennoch fast ausschließlich aus der Literatur erschlossen werden müssen, darf der Leser getrost davon ausgehen, dass an diesen Stellen kein anderes Vorgehen möglich war.
Das Buch selbst gliedert sich in zehn überwiegend chronologisch aneinandergereihte Kapitel, in denen Pfeffers gesamtes Leben, von den Anfängen als Sohn einer wohlhabenden, in der Rheinprovinz ansässigen katholischen Adelsfamilie, über die mehr oder minder bekannten Stationen als Freikorpsführer, Gauleiter und Oberster SA-Führer, bis hin zu seinen langen Ausläufern als umtriebiger, aber weitgehend glück- und bedeutungsloser Politaktivist im "Dritten Reich" und im geteilten Deutschland nachgezeichnet wird.
Pfeffers Freikorps- und SA-Zeit bilden den Schwerpunkt der Studie. Das ist nur berechtigt. So anregend das Ausleuchten von Pfeffers zeitweiligen Tätigkeiten als "Beauftragter des Führers in Kirchenangelegenheiten" (1934/35), halboffizieller Unterhändler in den deutsch-amerikanischen "Mixed Claims Relations" (1936/37) oder national-neutralistischer Agitator in Diensten Ostberlins (1955) auch sein mag, so wenig opportun wäre es gewesen, ihnen denselben Stellenwert wie den Höhepunkten der Pfefferschen Karriere einzuräumen.
Fraschka präsentiert seinen Protagonisten als einen Mann, der sich sein ganzes Leben lang der Einordnung in feste Schubladen verweigerte. Der aus behüteten Verhältnissen stammende Pfeffer besaß Organisationstalent, Tatkraft und Führungsqualitäten, bestach im Privaten durch Warmherzigkeit, Optimismus und Humor, erschreckte aber auch durch selbstherrliches Einzelgängertum, weltanschaulichen Radikalismus und rücksichtslose Gewaltbereitschaft.
Die Novemberrevolution war für den kaisertreuen Berufsoffizier ein Trauma. Politisch heimatlos geworden, entschloss er sich, den Kampf gegen die verhasste Republik aufzunehmen. Sein Mittel der Wahl war Gewalt: Noch im unmittelbaren Umfeld der Umwälzung machte sich Pfeffer als Gründer und Führer eines nach ihm benannten Freikorps einen Namen und landete nach diversen Stationen, während derer er erkennen musste, dass die Republik allein auf bewaffnetem Weg nicht zu beseitigen sein würde, um 1923/24 schließlich in der NSDAP. Auch dort machte Pfeffer rasch Karriere. Die junge Partei profitierte von der pragmatischen Entschlossenheit des erfahrenen Soldaten, der alles daransetzte, sie zur Schaltzentrale der zersplitterten deutschen Rechten auszubauen. Als einer der ersten führenden norddeutschen Nationalsozialisten erklärte er Anfang 1925, den alleinigen Führungsanspruch Hitlers vorbehaltlos anerkennen zu wollen. Die Berufung zum Obersten SA-Führer mit der Aufgabe, die zerrüttete Sturmabteilung zu reorganisieren, erschien im Sommer 1926 damit nur folgerichtig.
Fraschkas Studie bietet viele neue und aufschlussreiche Einblicke in die Frühgeschichte der NSDAP und ihres paramilitärischen Arms. Hervorzuheben ist vor allem die Detailfreude, mit der am Beispiel Pfeffers den mannigfaltigen personellen, organisatorischen und ideologischen Verbindungslinien zwischen den rechtsradikal-antirevolutionären Kreisen der Jahre von 1918 bis 1923 und Hitlers aufstrebender NS-Bewegung nachgespürt wird. Eindrücklich legt der Autor aber auch dar, wie all die Fähigkeiten, die in der frühen "Kampfzeit" den raschen Aufstieg seines Protagonisten begünstigten, nur wenig später zu dessen tiefem Fall führten. Über die Frage nach der Stellung der SA innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung kam es 1930 zum Zerwürfnis mit Hitler. Im politischen Geschäft konnte der ehemalige Oberste SA-Führer danach nicht mehr reüssieren. Zwar blieb er Mitglied der NSDAP, scheiterte aber daran, sich in der Partei eine Hausmacht aufzubauen. Bei der Erledigung der delikaten Aufträge, die er nach 1934 von den Granden des neuen Regimes erhielt, ließ er das notwendige Fingerspitzengefühl vermissen. Spätestens 1937 befand sich Pfeffer endgültig auf dem Abstellgleis. Ihren Tiefpunkt erreichte seine Karriere, als er, der als Vertrauter des "Stellvertreters des Führers" Rudolf Heß galt, nach dessen Englandflug 1941 vorübergehend inhaftiert und schließlich aus der Partei ausgeschlossen wurde.
Der einzige nennenswerte Versuch, nach dem Zweiten Weltkrieg auf die öffentliche Bühne zurückzukehren, war ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt: Anfang 1955 suchte der in der Bundesrepublik lebende Pfeffer Anschluss an einen von der DDR protegierten Kreis ehemaliger Wehrmacht- und SS-Offiziere um Generalfeldmarschall Friedrich Paulus, der für ein blockfreies Deutschland und gegen Adenauers Politik der Westbindung trommelte. Enttäuscht vom persönlichen Auftreten Paulus', der keinerlei Bereitschaft zeigte, in der Frage der Freilassung der in der Sowjetunion festgehaltenen deutschen Kriegsgefangenen klar Position zu beziehen, kündigte Pfeffer schon nach wenigen Wochen sein propagandistisches Engagement wieder auf. Zunehmenden Gefallen fand der ehemalige Oberste SA-Führer hingegen an der Rolle als Zeitzeuge. Gerne stand er Historikern Rede und Antwort, um der Nachwelt auf diese Weise eine apologetische Sicht der jüngeren Vergangenheit zu vermitteln. Ein irgendwie geartetes Umdenken war auch beim alternden Pfeffer nicht festzustellen. Bis zu seinem Tod blieb er überzeugter Nationalsozialist.
An Fraschkas Studie gibt es nur wenig zu bemängeln. Zwei Anmerkungen seien dennoch erlaubt. Die erste ist formaler Natur: Nicht nur eilige Leser hätten sich über ein Personenregister gefreut. Das dichte Beziehungsgeflecht, in dem Pfeffer sich Zeit seines Lebens bewegte, wäre damit schneller und leichter zu erschließen.
Die zweite Anmerkung betrifft den vom Autor oft bemühten Begriff des "Freikorps". Aufbauend auf den Darstellungen Hagen Schulzes [1] und Hannsjoachim W. Kochs [2] geht Fraschka von der Existenz einer antirepublikanischen "Freikorpsbewegung" aus, die sich im unmittelbaren Umfeld der Novemberrevolution konstituierte und über diverse Zwischenstationen schließlich zur Schrittmacherin der Nationalsozialisten mutierte. Prinzipiell ist daran wenig auszusetzen. Die Gründe, die für einen entsprechenden Konnex sprechen, hat Fraschka am Beispiel Pfeffers selbst überzeugend dargelegt. Problematisch wird der von ihm gebrauchte Freikorpsbegriff aber dort, wo er verabsolutiert wird. Die Konstruktion von vier Freikorpsführertypen, deren überwölbende Gemeinsamkeit in der mindestens zeitweisen Verknüpfung ihrer Lebenswege mit der NS-Bewegung besteht (504), ist beispielsweise deutlich zu eindimensional geraten - nicht erfasst werden die zahlreichen Freikorpsoffiziere, die ab 1919 in Reichswehr oder Polizei übernommen wurden, ohne sich jemals politisch zu betätigen.
Den grundlegend positiven Eindruck können diese beiden Einwände allerdings nicht schmälern: Mark A. Fraschka hat eine spannende, akribisch recherchierte, gut zu lesende und im besten Sinne erkenntniserweiternde Studie vorgelegt. Mehr kann man sich kaum wünschen.
Anmerkungen:
[1] Hagen Schulze: Freikorps und Republik. 1918-1922, Boppard am Rhein 1969.
[2] Hannsjoachim W. Koch: Der deutsche Bürgerkrieg. Eine Geschichte der deutschen und österreichischen Freikorps, Dresden 2002.
Peter Keller