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Mainhardt Graf von Nayhauß: Chronist der Macht. Autobiographie, München: Siedler 2014, 544 S., ISBN 978-3-8275-0012-0, EUR 24,99
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Rezension von:
Erik Lommatzsch
Leipzig
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Erik Lommatzsch: Rezension von: Mainhardt Graf von Nayhauß: Chronist der Macht. Autobiographie, München: Siedler 2014, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 2 [15.02.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/02/27080.html


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Mainhardt Graf von Nayhauß: Chronist der Macht

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Die Kolumne "Bonn vertraulich" erfreute den Leser der "Bild am Sonntag" erstmals im September 1971. Seit Januar 1981 erschien sie in der "Bild", aus gegebenem Anlass wurde sie in "Berlin vertraulich" umbenannt, zuletzt gab es "Meine Top 10 der Woche". Nach eigener Aussage erreichte Mainhardt Graf von Nayhauß mit verschiedenen Publikationsforen zeitweise wöchentlich bis zu 10 Millionen Leser (518). Die "Bild" dürfte seine Bekanntheit bei weitem am meisten gefördert haben. Bis 2010 war Nayhauß dieser Zeitung verbunden. Chefredakteur Kai Diekmann war dann der Meinung, dass 84 ein gutes Alter sei, um jüngeren Kräften Platz zu machen. Den Rauswurf hat der - unermüdlich weiter publizierende - Graf nicht verwunden. In seiner Autobiographie zitiert er den "Bild"-kritischen Beitrag zu dieser "Entlassung", aus der Feder von Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung" (507f.) und beklagt sich über ausgebliebene Dankesworte von Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner.

Man staunt auch über andere Empfindlichkeiten eines Boulevard-Journalisten, der nicht immer pfleglich mit der Privatsphäre anderer umgegangen ist. Erwähnung findet etwa der Umstand, dass Nayhauß über einen Anwalt eine Entschuldigung zweier Autoren erwirkte, die fälschlich behauptet hatten, die moderne Datentechnik sei ihm fremd. Henri Nannen ist gemeint, wenn Nayhauß zu dem Schluss kommt, "dass Journalisten nicht frei von Eitelkeiten sind" (209). Auf den Autor trifft dies jedoch ebenso zu - und weit mehr als in einer derart euphemistischen Formulierung. Ihn betreffendes Lob, sei es von Journalistenkollegen, sei es von Politikern, wird ausführlich dokumentiert. Werbung für eigene Werke, etwa seine Bücher, kommt nicht zu kurz.

Abgesehen von derartigen Hypotheken und einem auch für eine Autobiographie mitunter etwas zu groß geschriebenem "Ich", hat Nayhauß mit "Chronist der Macht" ein gut lesbares, kurzweiliges Buch über seinen Weg und eine Reihe zeit- und pressehistorischer Facetten der Bonner und der Berliner Republik vorgelegt. Seit Ende der 1940er Jahre ist er als Journalist tätig und stellt durch seine vielfältigen beruflich bedingten Aktionen, Erlebnisse und Kontakte selbst ein Stück deutscher Geschichte dar. Bundespräsident Christian Wulff zitiert er mit den Worten: "Das war Graf Nayhauß. In seiner 'Bild'-Kolumne genannt zu werden, ist das Größte." (396). Es handelt sich um eine Aussage, die einerseits den Einfluss des Journalisten unterstreicht und andererseits eines der vielen Defizite des zwischen 2010 und 2012 amtierenden Staatsoberhaupts in seinem Amtsverständnis offenbart.

Nayhauß wurde 1926 in Berlin geboren. Von dem 1933 durch die Nationalsozialisten ermordeten Vater erfährt man gleich zu Beginn. Auf die Familiengeschichte - fränkischer "Uradel" (35) - ist der Autor sichtlich stolz. Der Vater, Stanislaus Graf von Nayhauß, hatte einen abenteuerlichen Werdegang. Eine während des Ersten Weltkrieges auf eigene Faust unternommene Agentenjagd - Motive und Verhalten sind schwer nachvollziehbar - endete mit seiner Verurteilung wegen Landesverrats. Als Redner verdiente er später Geld, auch für die NSDAP trat er auf. Diese lehnte ihn schließlich ab. Er verfasste eine Broschüre über strafrechtliche Verfehlungen von Parteifunktionären, was wohl letztlich die Ursache für seine Ermordung war. Der spätere "Bild"-Kolumnist ist arg bemüht, den widersprüchlichen Weg des Vaters, auf dessen auch durch einen "Stolperstein" gewürdigtes Andenken er im letzten Kapitel zurückkommt, verständlich zu beschreiben.

Nayhauß erlebte den Krieg nach dem Notabitur als junger Soldat bei Arnheim und im Elsass. Dass er Angehöriger der Waffen-SS war, bereitete ihm zwar später keine Schwierigkeiten, machte ihm aber sichtlich zu schaffen. Er kommt mehrfach mit einem spürbaren Rechtfertigungs- und Erklärungsbedürfnis darauf zurück. Nach dem Krieg arbeitete er in Berlin für die Amerikaner, bis er wegen Diebstahls seine Stellung verlor. Er volontierte bei einem Wirtschaftsnachrichtenblatt, fand eine Stellung beim schwedischen Generalkonsul und betätigte sich journalistisch beim RIAS. Für den "Spiegel" und beim "Stern" schrieb er Reportagen. Er posiert gern als "Landesverräter" - ein Vorwurf, den Bundesinnenminister Gerhard Schröder wegen Nayhauß' Recherchen und Veröffentlichungen über den Verfassungsschutz erhob. So machte Nayhauß etwa den Fall Boris Cebotarev publik. Dieser war mit seiner Frau aus der Tschechoslowakei gekommen und hatte um politisches Asyl gebeten. Die Amerikaner versuchten - letztlich erfolglos - mit Hilfe des Verfassungsschutzes, die Cebotarevs gegen ihren Willen zwecks Spionage zurückzubringen. Da Franz Josef Strauß Schröders Konkurrent war, war er zugleich ein "Freund" Nayhauß'; der Verteidigungsminister versorgte den Journalisten großzügig mit Informationen. Auch über die Persönlichkeiten von Gerd Bucerius und Henri Nannen erfährt man so einiges. Für drei Jahre klinkte sich Nayhauß dann aus, er bereiste Europa und Amerika. Ob seine Hämorriden-Behandlung in Nevada für jeden Leser von Interesse ist, sei dahingestellt.

Nach Deutschland zurückgekehrt, war er sofort wieder gefragt: zunächst bei der "Quick", dann bei "Jasmin". Andere Titel kamen hinzu, schließlich die "Bild". Den Wehrbeauftragten Hellmuth Heye gewann er dafür, seine Sorgen um den Zustand der Bundeswehr mittels einer Serie in "Quick" zu schildern. Nayhauß lässt deutlich werden, dass Vizeadmiral Heye zwar keine Zweifel an seinem Anliegen, wohl aber an Stil und Art der Veröffentlichung befielen. Das Ganze hatte letztlich 1964 Heyes Rücktritt zur Folge. Die "Quick" kannte allerdings keine Gnade, das einmal begonnene Projekt wurde ohne Rücksicht auf Heye "durchgezogen". In einem anderen Fall, hier räumt Nayhauß auch eigene Versäumnisse und Gewissensbisse ein, hatte ein Anrufer seinen Selbstmord angekündigt, sollte ein inkriminierender Artikel erscheinen. Beides wurde in die Tat umgesetzt. Eine umfangreiche Recherche, die Nayhauß ausführlich schildert, war die Reise nach Haiti mit einem äußerst seltenen Interview mit François Duvalier ("Papa Doc"). Das Ergebnis druckte "Quick", trotz erteilten Auftrags, im Dezember 1966 schließlich doch nicht. Die Begründung lautete: "Neger im Winter wollen wir nicht" (259).

Einen großen Teil von "Chronist der Macht" bilden Porträts von Persönlichkeiten, oft sind es Politiker. Privates, Charakterzüge, Ansichten, die "Homestory" stehen hier im Vordergrund. Einige der Texte dürften aus früheren Veröffentlichungen Nayhauß' stammen bzw. wurden erkennbar nicht erst für die Autobiographie verfasst. Mit dem schwerkranken, 1972 verstorbenen CSU-Politiker Karl Theodor zu Guttenberg sprach er auf dessen Besitz. Den ganz anders gearteten, aber ähnlich prinzipienfesten Bundespräsidenten Gustav Heinemann besuchte er. 1970 posierte Hannelore Kohl nach Aufforderung durch Nayhauß mit ihrer Pistole - die Folge waren ein doppelseitiges Foto in "Jasmin" und wütende Reaktionen des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten. Kohl hat er später noch oft gesehen und, wie andere Kanzler, auf Reisen begleitet. Nayhauß erinnert sich auch, wie Helmut Schmidt 1976 den etwas unsicheren Kohl bei einem Besuch genussvoll demütigte. Mit Willy Brandt, den er aus dem Nachkriegs-Berlin kannte, verdarb es sich Nayhauß endgültig, als er eine Geschichte über Ehestreitigkeiten zwar als unhaltbares Gerücht bezeichnete, sie aber dennoch veröffentlichte. Louis Ferdinand, Enkel des letzten deutschen Kaisers, spekulierte, weit vor 1990, über den Wunsch der Deutschen, in einem geeinigten Land auch wieder einen Monarchen zu haben. In einer Umfrage, wen man sich als Bundespräsidenten wünsche, lag er immerhin vorn. Hans-Dietrich Genscher, mit dem Nayhauß morgens um sechs Uhr ein Interview führte, erschien ihm als "Hansdampf in allen Gassen", mit der "Fähigkeit, es sich mit keinem zu verderben und immer gut gelaunt zu sein". (359f.) Kanzler Schmidt suchte Nayhauß am Brahmsee auf, über den sagenhaft reichen Johannes von Thurn und Taxis erfährt man, dass ihm Dünkel zuwider war.

Erlebt und beschrieben hat Nayhauß Ereignisse, die als Wendepunkte in die Geschichte eingegangen sind. In Warschau war er mit Kohl, als die Mauer fiel. Als einer der ganz wenigen Journalisten war er im Juli 1990 im Kaukasus dabei - als Gorbatschow der deutschen Einheit im Sinne des Kanzlers seinen Segen erteilte. Der Autor ist bekennender Berlin-Patriot, Kohl wird kritisiert, weil er sich erst spät für den Hauptstadtwechsel klar positionierte. Und nein, die Klobrille in Kohls Kanzlerjet hat Nayhauß wirklich nie vermessen. Auch das muss noch einmal gesagt werden - in einem hier abgedruckten Interview (486-488) mit der "taz" (!), anlässlich seines Ausscheidens bei "Bild". Veränderungen im Berufsleben werden am Ende erwähnt, beispielsweise die Tatsache, dass Journalisten immer weniger direkten Zugang zu Politikern und Großereignissen bekommen, etwa beim G-8-Gipfel 2007. Zudem seien Bilder bzw. das Fernsehen immer gefragter, die Printberichterstattung sei zurückgedrängt worden.

Nayhauß schmückt sich, seiner Tätigkeit entsprechend, mit vielen Prominenten, an erster Stelle steht die Politik. Mangel an "Namedropping" wäre dem Buch gegenüber ein ungerechtfertigter Vorwurf. Der Graf weiß zu unterhalten und zu porträtieren, Äußerlichkeiten spielen eine nicht unerhebliche Rolle. Dass die Autobiographie des vorwiegend als Boulevard-Journalist tätigen Nayhauß auch ein gehöriges Maß an "Boulevard" enthält, war zu erwarten. Für einen Autor, der alle Bundeskanzler erlebt hat, der sich rühmt, als Kolumnist lange Jahre "Kanzler-Watcher" (350) gewesen zu sein, verbleibt die Schilderung jedoch enttäuschend oft im anekdotisch-atmosphärisch-illustrativen Bereich. Erkenntnisanstoßend oder gar -fördernd ist sie für den Zeithistoriker kaum. Andererseits: Bekanntlich wird die Welt lieber unterhalten als unterrichtet - bezüglich dieser Maxime ist Nayhauß ein Meister.

Erik Lommatzsch