Wolfgang Buchberger / Christoph Kühberger / Christoph Stuhlberger (Hgg.): Nutzung digitaler Medien im Geschichtsunterricht (= Österreichische Beiträge zur Geschichtsdidaktik. Geschichte - Sozialkunde - Politische Bildung; Bd. 9), Innsbruck: StudienVerlag 2015, 279 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-7065-5428-2, EUR 29,90
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Zum Thema "Nutzung digitaler Medien im Geschichtsunterricht" fand im Mai 2013 an der Pädagogischen Hochschule Salzburg eine internationale Tagung statt. Der gleichnamige Band zur Tagung liegt nun vor und wurde von Wolfgang Buchberger, Christoph Kühberger und Christoph Stuhlberger herausgegeben. Das geschichtsdidaktische Herausgeberteam hat sich mit dem Sammelband zum Ziel gesetzt, "das vielfältige Prisma der geschichtsdidaktischen Beschäftigung mit digitalen Medien auf theoretischer und pragmatischer Ebene vor[zu]führen" (11). Die sechzehn Beiträge lassen sich dabei der geschichtsdidaktischen Trias Empirie, Theorie und Pragmatik zuordnen, wobei empirische Befunde im engeren Sinne nur am Rande vorgestellt werden. Dem Titel des Bandes angemessen, dominiert insgesamt eine praxisnahe Perspektive.
Zum Bereich der Empirie muss der Beitrag von Johannes Maurek gezählt werden, der in drei aufeinanderfolgenden Jahren Studierende in Hinblick auf die Selbsteinschätzung ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten in digitalen Kompetenzen befragt hat. Die stichhaltige vergleichende Trendstudie zeigt dabei auf, dass Studierende keinesfalls mit einer "nahezu voll entwickelten Medienkompetenz ihre Studienkarriere antreten" (31). Dass von einer verstärkten Mediennutzungskompetenz ausgegangen werden kann, zeigt die Studie deutlich. Die Kompetenzbereiche der Medienkunde, Mediengestaltung und Medienkritik sind bei den Studierenden hingegen "stark unterrepräsentiert" (34). Die daraus abzuleitenden Konsequenzen für die hochschulische Lehrerbildung und damit zu erhoffende Impulse für den Geschichtsunterricht bleiben leider weitestgehend ungenannt.
Theoretische Überlegungen und empirische Begründungen für seinen zu Recht erhobenen Appell, dass die sich in digitalen Räumen manifestierenden Geschichtskulturen für historische Lernprozesse intensiver genutzt werden müssen, werden von Christoph Kühberger überzeugend vorgebracht. Geliefert werden dabei auch praktische Impulse für den Geschichtsunterricht, wie der Einsatz von "Diskussionsforen, wie sie von den bekannten Lernplattformen (black-board, moodle etc.) angeboten werden" (45). Ebenfalls zahlreiche gelungene Beispiele für den Einsatz von digitalen Plattformen im Geschichtsunterricht liefern Hans Utz und Christoph Pallaske. Sie zeigen theoretisch fundiert und sehr praxisnah, dass sich eben auch die Web 2.0-Angebote, die nicht mit einer pädagogischen oder didaktischen Intention erstellt worden sind, für den Einsatz in offenen Lehr-/Lernformen eignen, "wie Etherpads, Wikis oder Blogs" (77). Dennoch hätte bei den letztgenannten Beiträgen die Einbindung von Social-Web-Plattformen im Geschichtsunterricht stärker betont werden müssen, da sich doch gerade hier die digitalen Erinnerungskulturen des 21. Jahrhunderts manifestieren [1] und ein erheblicher lebensweltlicher Bezug besteht. [2]
Entgegen der Ankündigung im Titel des Bandes, beschäftigen sich zwei Beiträge mit der Hochschullehre. Theoretisch sehr fundiert und methodisch sehr differenziert stellt Ulf Kerber seine Erfahrungen bei der Umsetzung der WebQuest-Methode vor, die er mit Studierenden in eigenen WebQuest-Seminaren in der Hochschullehre gesammelt hat. Zudem wird auf eine ganze Reihe von WebQuests verwiesen, die im Geschichtsunterricht eingesetzt werden können. Zu bedenken ist dabei sicherlich, dass Erfahrungen aus der Hochschullehre nur schwer in den schulischen Unterricht übertragbar sind. Gleiches muss für das Best Practice Beispiel von Florian Kerschbaumer und Tobias Winnerling gesagt werden, die über ihre ernüchternden Erfahrungen mit Studierenden aus einem Projektseminar "Spielend lernen? Wie konstruiert man ein historisches Computerspiel?" (101) berichten.
Eine Perspektive aus der Praxis des Geschichtsunterrichts nehmen Daniel Bernsen, Matthias Schickel, Saskia Handro und Christian Kohler in ihren Beiträgen ein. Sehr überzeugend berichtet Bernsen von seinen Erfahrungen mit Geocaching im Geschichtsunterricht. Leider nehmen seine Überlegungen zu Chancen und Grenzen im Schuleinsatz kaum Bezug zum geschichtsdidaktischen und medienpädagogischen Diskurs zum kompetenzorientierten, mobilen historischen Lernen. [3] Im Gegensatz dazu situieren Saskia Handro und Christian Kohler ihre Vorstellung des Lernpotenzials der auf DVD erhältlichen multimedialen Lernumgebung 'Fernsehen macht Geschichte' in der Debatte um Chancen und Herausforderungen des digitalen Geschichtslernens. Ein Best Practice Beispiel im allerbesten Sinne liefert Matthias Schickel, der über das E-Learning-Projekt 'Reading together' berichtet. In blended learning Einheiten haben sich hier Schülerinnen und Schüler in einem deutsch-israelischen Austausch mit der Shoah und den verschiedenen nationalen Erinnerungskulturen auseinandergesetzt.
Da digitales Lernen im 21. Jahrhundert sicher nicht mit dem Medium DVD stattfinden wird, liegt ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt des Bandes zu Recht auf dem digitalen Schulbuch und dessen Einsatz im Geschichtsunterricht. Markus Bernhardt und Christian Bunnenberg verweisen am Beispiel einer digitalen Schulbuchdoppelseite theoriegesättigt und praxisnah auf Chancen und Potenziale, während Astrid Schwabe eine stichhaltige Untersuchung und eine schlüssige didaktische Analyse digitaler Zusatzmaterialien aktueller Schulbücher bietet. Dabei fordert sie zum einen von der Fachdidaktik Demut statt "Beckmesserei" (170) und liefert zum anderen plausible konzeptionelle Vorschläge, wie die Forderung, dass "digitale Lernobjekte [...] keine Unterrichtsassistenten oder Materialsammlungen für Lehrkräfte, sondern explizit schülerzentriert sein" (172) müssen. Mit dem digitalen Schulbuch 'mBook' stellen Waltraut Schreiber, Florian Sochatzy und Marcus Ventzke eine konsequente Umsetzung der kompetenzorientierten Didaktik des Modells des Forschungsprojektes zur Förderung und Entwicklung von reflektiertem Geschichtsbewusstsein (FUER) in einem Lernmedium vor. Leider bleibt es bei einer ausschließlich normativen Präsentation der didaktischen Konzeption.
Einen einleuchtenden Appell tragen Christina Brüning und Alina Bothe vor und machen sich dafür stark, dass "Lehrende eine fundierte und erfahrungsgesättigte, theoretische und praktische Ausbildung im Umgang mit digitalen Quellen" (225) benötigen, die in der universitären Ausbildung momentan weder für Historikerinnen und Historiker noch für Geschichtslehrkräfte angeboten wird. Leider stellt Brigitte Halbmayr die Konzeption und Umsetzung der Internetseite 'Österreicherinnen im KZ Ravensbrück' vor, ohne Impulse für den konkreten Einsatz im Geschichtsunterricht zu liefern.
Das letzte Wort im Band hat Wolfgang Hasberg, der insgesamt zu mehr Zurückhaltung beim Einsatz digitaler Medien für historische Lernprozesse rät, bevor ausreichend empirische Untersuchungen zum tatsächlichen Potenzial vorhanden seien. Denn erst dann könne man "wissenschaftlich verlässliche Aussagen zum (intentionalen) Einsatz digitaler Medien im Geschichtsunterricht treffen" (269).
Dem selbst gesteckten Ziel, die Nutzung digitaler Medien im Geschichtsunterricht auf theoretischer und pragmatischer Ebene vorzuführen, kann der Band insgesamt überzeugend gerecht werden. Wolfgang Buchberger, Christoph Kühberger und Christoph Stuhlberger schaffen hier in großen Teilen sehr schlüssig den Spagat zwischen fundierten theoretischen geschichtsdidaktischen Grundlegungen und praxisnahen Konzepten und Erfahrungsberichten aus der schulischen Geschichtsvermittlung.
Anmerkungen:
[1] Hannes Burkhardt: Digitale Erinnerungskulturen im Social Web. Personen des "Dritten Reichs" auf Facebook am Beispiel von Claus Stauffenberg, Sophie Scholl und Erwin Rommel, in: Gerhard Henke-Bockschatz (Hg.): Neue geschichtsdidaktische Forschungen. Aktuelle Projekte, Göttingen 2016, S. 163-188.
[2] Peter Behrens / Thomas Rathgeb: JIM 2016. Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland, Stuttgart 2016.
[3] Unter anderem Marko Demantowsky / Christoph Pallaske (Hgg.): Geschichte lernen im digitalen Wandel, Berlin / München u.a. 2014; Christoph Pallaske (Hg.): Medien machen Geschichte. Neue Anforderungen an den geschichtsdidaktischen Medienbegriff im digitalen Wandel, Berlin 2015; Themenschwerpunkt Mobile Learning: Zeitschrift für E-learning, Lernkultur und Bildungstechnologie 2 (2007). Heft 4; Themenschwerpunkt Mobiles Lernen: COMPUTER + UNTERRICHT (2015). Heft 97.
Hannes Burkhardt