Rezension über:

Alexandre Maral: François Girardon (1628-1715). Le sculpteur de Louis XIV, Paris: arthena 2015, 583 S., ca. 800 Abb., ISBN 978-2-903239-55-8, EUR 140,00
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Rezension von:
Elisabeth Burk
Institut für Kunstgeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Kristina Deutsch
Empfohlene Zitierweise:
Elisabeth Burk: Rezension von: Alexandre Maral: François Girardon (1628-1715). Le sculpteur de Louis XIV, Paris: arthena 2015, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 4 [15.04.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/04/29031.html


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Alexandre Maral: François Girardon (1628-1715)

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Mit dem anlässlich des 300. Todestags von François Girardon veröffentlichten Werk liegt erstmals eine umfassende Monografie zum künstlerischen Schaffen dieses wichtigen Bildhauers Ludwigs XIV. vor. Bereits Umfang und Gewicht des Buches - es handelt sich um eine sehr großformatige Publikation mit hervorragendem Abbildungsmaterial und umfangreichem Katalog- und Quellenanhang - demonstrieren die Bedeutung dieses von Alexandre Maral, dem Generalkonservator der Châteaux de Versailles et de Trianon, durchgeführten Unternehmens. Im Gegensatz zu den Malern wurde den Bildhauern der Regierungszeit Ludwigs XIV. bislang relativ wenig Aufmerksamkeit zu teil, und Girardon stehe seit je her zu Unrecht, so Maral, im Schatten seines Zeitgenossen Pierre Puget (1620-94), den bereits der Comte de Caylus (Anne-Claude-Philippe, Comte de Caylus, 1692-1765) präferierte (13, 15). Dem Forschungsdesiderat begegnet Marals Monografie, wobei die vielen, überwiegend farbigen Abbildungen dazu beitragen sollen, die zum Teil nur schwer zugänglichen Werke einem breiteren Publikum bekannt zu machen (15).

Das Buch vermittelt die vielseitigen und zahlreichen Projekte Girardons, seinen künstlerischen Werdegang und sein Vermächtnis in einer quellen- und kenntnisreichen Studie, die zu Anfang chronologisch aufgebaut ist, im Anschluss aber die einzelnen Abschnitte des künstlerischen Schaffens thematisch in Wirkungsstätten und Genres untergliedert. Deutliche Akzente setzt Maral bei den markantesten Schöpfungen. So wird zu Beginn des Buches der Aufstieg Girardons zum königlichen Bildhauer anhand der ersten Arbeiten in Paris nachvollzogen und die "carrière sans faille" (45), beginnend mit der Aufnahme in die Académie royale, über Reisen und Missionen im königlichen Auftrag bis hin zu seinem Beitrag zur 'ordre français' nachgezeichnet. Weitere Unterkapitel sind den Schülern und Mitarbeitern Girardons, Entwürfen des Künstlers für Goldschmiedearbeiten und seinem Logement und Atelier im Louvre gewidmet.

Im Anschluss folgt die eingehende Analyse der von Girardon geschaffenen Kunstwerke und seiner unterschiedlichen Aufgaben als 'sculpteur du roi'. Wenig überraschend nehmen seine Arbeiten in Versailles mit zwei Hauptkapiteln den längsten Teil der Publikation ein. Daran anschließend werden die Bildnisse des Königs untersucht, unter denen das für die Place Vendôme bestimmte Reiterstandbild Ludwigs XIV. besondere Beachtung findet. Von Girardon geschaffene Porträtbüsten und Porträtmedaillons, die Arbeiten am Invalidendom, religiöse Skulpturen und schließlich die von und für ihn geschaffenen Grabmonumente sind Gegenstand der übrigen Kapitel. Während die Studien zu Versailles, dem Reiterstandbild Ludwigs XIV., dem Invalidendom und den Grabmälern sehr ausführlich ausfallen, werden die Porträts und religiösen Skulpturen verhältnismäßig kursorisch abgehandelt.

Auf Grundlage zahlreicher Archivalien und veröffentlichter wie unveröffentlichter Quellen vollzieht Maral die einzelnen Schritte der Werkgenese nach, geht auf die künstlerischen Zusammenarbeiten ein und zeichnet das Schicksal der geistigen wie physischen Schöpfungen Girardons bis ins 21. Jahrhundert nach. Die zeitgenössische Rezeption der Werke in Beschreibungen und künstlerischen Nachbildungen sowie die Stellungnahme zu früheren und aktuellen konservatorischen Maßnahmen sind dem Autor ein besonderes Anliegen. Eine Fülle von Quellenzitaten lässt den Leser chronologisch an der Entstehung der Werke teilhaben. Dass die Anmerkungen nicht als Fuß-, sondern als Endnoten formatiert wurden, ist dabei ungünstig. Leserfreundlich hingegen sind die in Klammern gesetzten Seitenverweise auf bereits zuvor im Text angesprochene oder noch zu erwähnende Werke und Begebenheiten.

Dem umfangreichen Text von Maral ist eine Studie von Françoise de la Moureyre beigefügt, die ein Licht auf Girardon als Sammler wirft und damit den zweiten wichtigen Aspekt seines Wirkens und Vermächtnisses vermittelt. Untersucht werden der Aufbau und die zeitgenössische Rezeption seiner Sammlung, ihre Präsentation in der von Girardon eigens in Auftrag gegebenen Publikation "Gallerie de Girardon" und ihre Zerstreuung nach dem Tod des Künstlers. Kapitelweise werden die Kunstwerke der Sammlung von der Verfasserin besprochen und in Werke Girardons, antike Skulpturen, Terrakottaplastiken von François Du Quesnoy, moderne Bronzen und antikisierende Büsten unterteilt.

Die erstaunliche Anzahl von Werken Du Quesnoys im Besitz Girardons begründet de la Moureyre mit dem großen Interesse, das er diesem Künstler Zeit seines Lebens entgegenbrachte (428). Auffällig ist, dass Girardon zahlreiche Terrakotten von Künstlern erwarb, die für den König arbeiteten oder mit denen er engen Kontakt pflegte (416). Einige dieser Plastiken dienten ihm als Modelle für Bronzeabgüsse (ebd.), sodass sie nicht nur reine Sammelobjekte waren, sondern in seinen künstlerischen Schaffensprozess integriert wurden. Da das Interesse der Autorin der Zusammenstellung und Identifizierung der Werke in der Sammlung Girardons gilt, wird die bemerkenswerte Wertschätzung, die der Bildhauer offenbar für seine Zeitgenossen und deren Werke empfand, nicht vertieft. Diese Fragestellung weiterzuverfolgen, könnte eine außerordentliche Bereicherung für die kunstwissenschaftliche Forschung darstellen und entspräche der von Maral gewünschten Wiedererweckung des Interesses an der Auseinandersetzung mit bildhauerischen Schöpfungen.

De la Moureyre schließt in ihrer Studie an die verdienstreichen Ergebnisse François Souchals [1] an und kann diese um zahlreiche neue Erkenntnisse und die Identifizierung weiterer ehemals dem Bestand Girardons zugehöriger Stücke in heutigen Sammlungen ergänzen. Zehn Hauptwerke aus Girardons 'Gallerie' werden abschließend mit eigenen Kapiteln gewürdigt. Zu begrüßen ist der vorangestellte Abdruck der in Kupferstichen publizierten Sammlung. Leider reichen einige der Abbildungen über zwei Seiten, was die Betrachtung der Stichmitte unmöglich macht. Hier hätten sich Falttafeln oder einseitige, querformatige Abbildungen als die nutzungsfreundlichere Wahl erwiesen.

Zu beachten ist der dem Werk beigefügte Katalog, der erstmals alle Girardon zuzuschreibenden, von ihm bearbeiteten oder auf Grundlage seiner Vorlagen entstandenen Werke zusammenführt und die neuesten Erkenntnisse der Autoren berücksichtigt (464-513). Unterteilt ist er in Skulpturen, Skizzen und vorbereitende Modelle, von Girardon ergänzte antike Skulpturen, Bronzeskulpturen, die nach Modellen des Bildhauers geschaffen wurden, und ephemere Werke. Die Aufteilung und der chronologische Aufbau des mit kleinformatigen Abbildungen versehenen Katalogs bieten eine hervorragende Nachschlagemöglichkeit. Eine Chronologie, die wörtliche Wiedergabe der im 18. Jahrhundert zu Girardon verfassten biografischen Notizen und der vollständige, von François Souchal und Françoise de la Moureyre kommentierte Abdruck des 1715 nach dem Tode des Künstlers verfassten Inventars samt der 1719 erfolgten Aufteilung des Erbes sind wertvolle Ergänzungen, die den Anspruch einer richtungsweisenden Publikation zu Girardon unterstreichen.

Mit der umfangreichen Monografie gelingt es Alexandre Maral, François Girardon die ihm gebührende Würdigung als "unbestreitbar größtem Bildhauer" ("sans conteste le plus grand sculpteur" <262>) in der Regierungszeit Ludwigs XIV. zukommen zu lassen. Die beigefügte Studie zur "Gallerie de Girardon" ist im Rahmen dieses Werks eine unverzichtbare Ergänzung für die von den Autoren intendierte Wertschätzung des künstlerischen Vermächtnisses Girardons. Der Band wird zweifellos die Grundlage für jede weitere Auseinandersetzung mit dem Künstler darstellen.


Anmerkung:

[1] François Souchal: "La collection du sculpteur Girardon d'après son inventaire après décès", in: Gazette des beaux-arts 82 (1973), 1-98.

Elisabeth Burk