Kinga Pozniak: Nowa Huta. Generations of Change in a Model Socialist Town, Pittsburgh, PA: University of Pittsburgh Press 2014, X + 227 S., ISBN 978-0-8229-6318-9, USD 27,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Der Arbeiterstadtteil Krakau-Nowa Huta, 1949 als Modellstadt des Sozialismus und Standort eines Eisenhüttenkombinats gebaut, stand als Untersuchungsraum schon oft im Zentrum des Forschungsinteresses, unter dem Blickwinkel sowohl der sozialistischen Architektur als auch der sozialen und politischen Geschichte. Die Anthropologin Kinga Pozniak untersucht in ihrer Studie diesen Ort hingegen unter dem Aspekt der Erinnerung an den Sozialismus. Am Beispiel Nowa Hutas geht sie der Frage nach, wie an die sozialistische Vergangenheit im Kontext der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen in der Gegenwart erinnert wird. In Anknüpfung an anthropologische Ansätze, die mittels des Gedächtnisses die Beziehung zwischen strukturellen Prozessen und sozialen Erfahrungen in der Zeit großer politischer Umwälzungen erklären wollen, nutzt Pozniak Erinnerung und soziale Erfahrung als Informationsquellen für die Erforschung der historischen Veränderungen um 1989 und macht so mit ihrer Studie einen neuen und ambitionierten Ansatz für die Osteuropaforschung nutzbar.
Nowa Huta eignet sich hervorragend als Untersuchungsraum für die Erforschung der Wechselbeziehung zwischen der Erinnerung, dem Raum und der Identität. Im kollektiven Gedächtnis wird der Ort stets mit dem Sozialismus in Verbindung gesetzt: Nowa Huta gilt nicht nur als Modellstadt des Sozialismus, sondern auch als ein Ort der Widerstände gegen das Regime. In diesem Sinne feierte die Stadt 2009 sowohl den 20. Jahrestag des Niederganges des kommunistischen Regimes auf nationaler Ebene als auch auf lokaler Ebene das 60. Jubiläum der eigenen Entstehung. Demnach drängt sich die Frage auf, wie sich an diesem konkreten Ort die Erinnerung einzelner Personen und diverser Institutionen dem "nationalen" und "lokalen" Gedächtnis anpasste und sich manifestierte.
Anhand eigener Interviews und öffentlicher Debatten analysiert Pozniak die Reminiszenz in diversen Kategorien: Sie beobachtet die Auseinandersetzung mit der sozialistischen Vergangenheit in der urbanen Landschaft, etwa anhand der Diskussionen über Straßennamen und Denkmale (Kapitel 1). Zudem nimmt sie die Arbeiter des Eisenhüttenkombinats in den Blick (Kapitel 2) und analysiert außerdem die Erinnerungspolitik der Museen (Kapitel 3). Anschließend wendet sie sich dem generationellen Aspekt zu und befragt sowohl die ersten Stadtbewohner und gleichzeitig Stadterbauer als auch die nachfolgende Generation, die oft "Solidarność-Generation" genannt wird (Kapitel 4), sowie die jüngsten Stadtbewohner, die den Kommunismus selbst nicht erlebt haben (Kapitel 5).
Die Wahrnehmung der Stadt ist seit jeher von ständigem Wechsel geprägt. Gebaut als Stadt der Zukunft, die ihren Bewohnern neue Perspektiven eröffnen sollte, wurde Nowa Huta nach dem Tauwetter 1956 und der daraus resultierenden Kritik gegenüber dem Stalinismus als stadtplanerisch und architektonisch unmodern bewertet. Während Krakau als Stadt der Tradition, der Kultur und des Bürgertums galt, wurde Nowa Huta mit Bauern, Arbeitern und Kommunisten in Verbindung gesetzt und demnach als primitiv und marginal abgestempelt (36). Wenn auch diese Bewertung nie an Gültigkeit verlor, so galt die Stadt in den 1980er-Jahren doch trotzdem durch die dort aktive Solidarność-Bewegung und zahlreiche Streiks im Stahlwerk als ein Ort des Widerstands. Nach 1989 wurde die Erinnerung an Widerstand und Repression von den neuen politischen Eliten, die vorwiegend zur Solidarność-Generation gehörten, intensiv gepflegt und somit an die nationale Erinnerungskultur angeschlossen. Demnach versuchte man den oppositionellen Ursprung in Nowa Huta bereits in den Sechzigerjahren nachzuweisen, als die Bewohner sich aus religiösen Gründen für den Bau einer Kirche im sogenannten "Kampf um das Kreuz" einsetzten. Man versuchte vor dem Hintergrund neuer ökonomischer Prinzipien, dem (verglichen mit Krakau) immer noch schlechten Ruf der Stadt durch Revitalisierungsprojekte und Investitionen in den Bau von Supermärkten und Erholungsparks entgegenzuwirken, die Nowa Huta von einer Arbeiterstadt zu einer Stadt des Konsums umstrukturieren sollten.
Diese öffentlichen "Bilder der Stadt" konfrontiert Pozniak mit persönlichen Ansichten aus Interviews. Deren Analyse zeigt, dass die öffentlich funktionalisierten Erinnerungen sich zumindest teilweise in den persönlichen wiederfinden lassen, wenn auch generationsspezifische Unterschiede berücksichtigt werden sollten. Die älteste Generation, die heute um die 80 Jahre alt ist und die Stadt selbst aufgebaut hat, empfand Nowa Huta früher vor allem als eine Stadt vieler Möglichkeiten. Zugewandert aus armen ländlichen Gegenden, die von hoher Arbeitslosigkeit betroffen waren, fanden sie in der Stadt, wenn auch unter sehr prekären Umständen, nicht nur Arbeit und Wohnraum, sondern auch den Zugang zu medizinischer Versorgung, Kultur und Bildung. Diese Generation beurteilt Nowa Huta in Bezug auf die Vergangenheit oft positiv, gerade im Bereich des kulturellen Lebens und der Möglichkeiten, die ihrer Sicht nach nicht mehr vorhanden sind: Die Stadt biete den Bewohnern heute keine nennenswerten beruflichen Aufstiegschancen und auch kein herausragendes kulturelles Angebot mehr. Der Widerstand und die Repression tauchen in diesen Erinnerungen meist in Bezug auf die damaligen Sorgen um die eigenen Kinder auf, die an den Protesten teilnahmen.
Diese nachfolgende "Solidarność-Generation", heute zwischen 50 und 60 Jahre alt, wurde nach 1956 gleich mit dem schlechten Ruf der Stadt konfrontiert und durch den Mangel, die politischen Proteste und die Repression geprägt. Somit schließt sich diese Generation in Nowa Huta der auf nationaler Ebene gepflegten Erinnerungskultur hinsichtlich Opposition, Repression und Widerstand an. Angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse finden aber viele ihrer Vertreter in der Vergangenheit auch positive Aspekte, die in der öffentlichen Debatte nicht auftauchen: Sie unterstreichen vor allem, dass gegenwärtig, anders als früher, keine nationalen Interessen, sondern ausschließlich die westlicher Investoren vertreten würden. Gerade in Hinblick auf das Eisenhüttenwerk, in dem mehrere Generationen arbeiteten, und auf den Privatisierungsprozess nach 1989 loben sie zwar Modernisierung, Management und Sicherheit heutzutage, kritisieren aber Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven, mit denen sich die jüngsten Bewohner auseinandersetzen müssen.
Durch die Analyse der Erinnerungen nach Generationen gelingt es der Autorin plausibel zu zeigen, dass die Erinnerung jeder Generation durch politische Ereignisse beeinflusst wurde, danach jedoch bezüglich der gegenwärtigen persönlichen Situation selektiv genutzt wird. Zudem befinde man sich in Bezug auf die nationale Erinnerungsversion "irgendwo dazwischen" (141): nicht als Befürworter und auch nicht als aktiver Gegner des Systems. Stellt die nationale Erinnerungskultur eine Art Legitimierung des Systems durch die 1989 entstandene neue politische Elite, die aus der Solidarność-Generation stammte, dar, wird mit der persönlichen Erinnerung eher die eigene gegenwärtige Situation beurteilt und eine Legitimation dafür gesucht, wieso man als Verlierer oder aber Gewinner des neuen Systems dasteht. Demgegenüber besteht gerade bei den jüngeren Bewohnern der Stadt, die den Sozialismus nicht mehr erlebt haben, kein Bezug mehr zur Vergangenheit und oft auch kein Interesse daran. Sie bilden sich ihre Meinung über den Sozialismus aus unterschiedlichen Quellen und beziehen diese höchstens auf die eigene Identität, die sie an diesem Ort zu entwickeln versuchen. Gerade der Ansatz eines Generationenwechsels in der Erinnerung ist eine wichtige Komponente in Pozniaks Darstellung und zeigt hervorragend, wie die Erinnerung durch persönliche Konstellationen und Erfolge oder Misserfolge konstituiert wird. Offen bleibt nur, inwieweit die Zugehörigkeit zu den vergangenen politischen Strukturen die Erinnerung positiv oder negativ beeinflusst. In diesem Sinne liefert die Autorin zumindest einen Hinweis darauf, dass die Mitgliedschaft in der Partei, die mit enormen Privilegien verbunden war, die Beurteilung der Vergangenheit positiv beeinflusst.
Insgesamt ist diese Studie ein wichtiger Beitrag zum Verständnis von Erinnerung im Kontext politischer Umwälzungen und postindustrieller Veränderungen in einer Stadt nicht nur in Polen, sondern allgemein in Osteuropa. In diesem Sinne kann das Phänomen der Ostalgie nicht unbedingt als Verherrlichung des kommunistischen Systems, sondern vielmehr als eine Enttäuschung über die politischen Veränderungen und wirtschaftlichen Umstrukturierungen in der Gegenwart verstanden werden (152). Die Erinnerung an die Vergangenheit hat insofern wenig mit dem vergangenen System zu tun, sondern die Unzufriedenheit mit dem heutigen System hat die Erinnerung an den Sozialismus wesentlich beeinflusst. Dies betrifft vor allem die ältere Generation, die sich - anders als die Jüngeren - in dem neoliberalen System nicht eingelebt hat. Die positiven Erinnerungen werden meist von denen vertreten, die sich selbst als Verlierer des neuen Systems empfinden.
Anna Pelka