Heike Behrend / Tobias Wendl (eds.): 9/11 and its Remediations in Popular Culture and Arts in Africa, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2015, 142 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-3-643-90627-4, EUR 29,90
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Eine Collage aus Zeitungsbildern, George W. Bush, Feuerbälle, die Twin Towers, Osama bin Laden: Das Cover des Bands scheint 2017 unzeitgemäß oder überlagert von den Pressebildern voller Trump, Syrien, Nordkorea. Unter der Collage in großen Lettern, weiß auf rot: 9/11. Auch dieses Kürzel wirkt, in all seiner Alarmhaftigkeit, wie nicht mehr ganz von heute, gefolgt vom Rest des Titels, remediations in popular culture and arts in Africa, in mehrfachen Verschachtelungen, selbst Remediationen; es geht um ein politisches katastrophisches Ereignis, um dessen Darstellung in Popkultur und Kunst, und das alles bezogen auf Nordnigeria und Kenia. Warum sollten wir den Band von Heike Behrend und Tobias Wendl jetzt in die Hand nehmen?
Der Begriff der "Intermedialität" ist fast aussagelos geworden, wo es kaum noch Bilder gibt, die sich nicht mindestens einer intermedialen Passage verdanken. Aber in den Beispielen dieses Bandes wird die Übersetzungsarbeit, werden die Koppelungen und Umcodierungen von Materialien nochmals hochgradig anschaulich und damit auch die anhaltende Unbestimmbarkeit jeglicher medialer Bedeutungen. Und das gilt nicht nur für Ethnologen und Ethnologinnen oder Leute aus den Africa Studies, für die eine medienreflexive Betrachtung der "afrikanischen" Reaktionen auf Ereignisse im globalen Norden ohnehin von Interesse ist. Es gilt ebenso für alle, die mit der transmedialen und transnationalen Zirkulation von Bildern arbeiten oder sich für das interessieren, was in der Geschichtswissenschaft als entangled history zum Paradigma von Kolonial- und Globalgeschichte geworden ist.
Zwei der renommiertesten deutschen Professoren und Professorinnen für die Kunstgeschichten und Visuellen Kulturen Afrikas, Tobias Wendl von der Freien Universität Berlin und die emeritierte Ethnologin Heike Behrend, ehemals Universität zu Köln, haben nach Konferenzen in Mombasa und Köln zwei nigerianische und einen kenianischen Kommunikationswissenschaftler eingeladen, über das 'Thema 9/11' in drei spezifischen Feldern zu berichten. Wie Behrend in ihrer Einleitung ausführt, wurde die Perspektive afrikanischer Medien / Kulturen auf den Anschlag am 11. September 2001 deshalb nicht beachtet, weil die anti-amerikanischen Anteile dieser Reaktionen inklusive einer Freude über den Angriff auf die USA wie im muslimisch geprägten Nordnigeria schwer 'gewürdigt' werden können, aber auch wegen den komplexen und nicht einfach entzifferbaren medialen Zitationsverhältnissen, in denen die Bilder zirkulieren. Behrend beschreibt die Umarbeitungen des westlichen Medienbilds bin Ladens in lokale afrikanische Bildtraditionen, seine Neukombination in magische oder Helden-Ikonografien. Auf zahlreichen Bildseiten zeigt sie Bilder der Fan-Shirts mit dem Konterfei bin Ladens, verschiedene Serien von Aufklebern in Herzfom mit Prophetengeste des religiösen Führers, mit Blumen, mit Saddam Hussein, mit Panzern.
Für einige Videos galten Zensurmaßnahmen, wie Abdalla Uba Adamu schreibt. Die nichtmuslimische Komödie "Osama bin-La" etwa zeigte 2002 bin Laden als Betrüger. In Sorge vor Aufständen ließ die nigerianische Regierung das Video verbieten. In kurzer Folge erschienen 2002 und 2003 zwei muslimische Hausa-Produktionen zum Anschlag und dem Golfkrieg, die Comedy-Videos Ibro Usama und Ibro Saddam, während in den USA Ausstrahlungen thematisch verwandter Filme und Serien gestoppt wurden. "George Bosho" erklärt darin nicht den "war on terror", sondern den "war on insolence". Adamu resümiert: Im parodistischen Stil wurden globale Dinge verhandelt, die durch Satellitenfernsehen wie CNN und Al Jazeera gespeist waren. Die Fangemeinde der nigerianischen Stars war bereits mit den Videobotschaften bin Ladens vertraut und las die Zitationen auf ihre Weise.
Nicht nur in möglichen Rezeptionen, sondern auch in Bildproduktionen sieht man unerwartete Zitationsweisen. Gedruckte Poster, die den Anschlag feierten, wurden 2001/2002 in Nordnigeria in Tausenderauflagen verkauft. Nura Ibrahim untersucht dieses bei uns unbekannte Genre aus Internetbildern von Saddam Hussein und George W. Bush, Schlagzeilen, Fotomontagen, Heldenbildern, metaphorischen Bildern, Sprichwörtern und nützlichen Teilen wie einem Kalender. In der Tradition der islamischen Plakatkunst werden Poster heute in Nigeria auf Straßenmärkten verkauft und wiederum in öffentlichen Plätzen, Straßen, Gebäuden aufgehängt. Der genauen Analyse zweier ausgewählter Poster über den "war on terror", einer Bildercollage zu Saddam Hussein (als Familienvater, Soldat, Angeklagter, Gehenkter) und zu Osama bin Laden folgen Ganzbilderseiten mit Postern.
Der kenianische Medienwissenschaftler Duncan Omanga stellt eine vielsagende Auswahl an "editorial cartoons" zusammen, die gerade in der meinungsführenden Funktion von Leitartikeln das Publikum mit dem Witz die Bedeutung(en) selbst produzieren lassen. Diese Offenlegung der eigenen ideologischen Arbeit wird beschrieben als eine "comic intervention", die Herrschaftsverhältnisse kritisieren oder selbst Feindbilder konstruieren könne (85). Auch innerhalb dieser Cartoons tauchen intermedial zirkulierende Bilder und Symbole auf (der Sensenmann als westliche Todesfigur in 'muslimischer' Verschleierung etc.). Die Erklärung der verschiedenen Bildtraditionen, die damit zusammenkommen, ist erhellend.
Heike Behrend fügt der Zirkulation der Bilder eine weitere Dimension hinzu, indem sie einen Re-Import in den Norden verfolgt. An einem Hafenabschnitt in Mombasa / Kenia, der "Likoni" genannt wird, haben sich mobile Kioske als Fotostudios versammelt, die vor allem für die afrikanischen Migrationsarbeiter oder afrikanische Touristen Porträtfotos vor selbstbemalten bunten Hintergründen anbieten, die populäre Ereignisse aufgreifen. Die brennenden Türme konnten aus Zensurgründen allerdings nur außerhalb Kenias, im österreichischen Kunstraum des Steirischen Herbstes in Graz 2001, verwendet werden. Dort bildeten sich lange Schlangen: Die Besucher des Festivals für zeitgenössische Kunst wollten sich mit handgemalten, brennenden Twin Towers vor blauem Himmel fotografieren lassen. Ist das affirmative Moment des Bilds im intellektuell-ironischen Wissen um die Verschachtelung der Bildmigration aufgehoben, konterkariert oder wiederum affirmiert? Behrend sieht in dieser Praxis die Möglichkeit "to participate in 9/11 as a spectacle for touristic and/or artistic consumption" (107), eine Aneignung und mediale Bearbeitung eigener Ängste; gleichzeitig verlängere diese Praxis die Kommodifizierung im Kunstraum und eine Exotisierung derjenigen Perspektiven, die aus der globalen Bilderproduktion weitgehend ausgeschlossen sind.
Eine letzte Erweiterung, Verkomplizierung und gleichzeitig Erhellung der vielschichtigen Bildproduktions- und austauschebenen nimmt Tobias Wendl mit einer Vielzahl diasporischer Arbeiten vor. Die Zusammenstellung und die Lesarten der Werke startet mit Beobachtungen der New Yorker Kunstszene und ihrer Bearbeitung des Ereignisses - sie habe keine ikonischen Elemente geprägt wie kurz darauf mit den Bildern aus Abu Ghraib. Aktuelle Forschungsprojekte des Autors untersuchen affektive Bildpolitiken in neuen digitalen Medien. Wendl erörtert hier noch einmal grundsätzlicher den Status von Kunst und Populärkultur und ihren Hierarchisierungen, von Mainstream, Widerstand und Konsum.
Die drei ausgewählten Medien bzw. Genres sind für die meisten europäischen Augen halbverständlich, knüpfen sie doch an vertraute Formate an, aber gleichzeitig funktionieren sie anders, werden in andere Bildtraditionen eingefügt, verändern ihre Bedeutung. Es werden neue Narrative erfunden oder vielfältige Lesarten ermöglicht, die nachzuvollziehen es ein solches Buch braucht. Nach Trumps ersten Bomben auf Afghanistan und Syrien im April 2017 erscheint es fast sinnlos, auf die Perspektive derer hinzuweisen, die diese Bomben selbst fallen sehen. Aber sicher werden Videos, Cartoons und Poster von Tromp statt Boshe nicht lange auf sich warten lassen.
Ulrike Bergermann