Ulrich Höhns: Zwischen Avantgarde und Salon. Cäsar Pinnau 1906 - 1988. Architektur aus Hamburg für die Mächtigen der Welt (= Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs; Bd. 31), München / Hamburg: Dölling und Galitz 2015, 270 S., 420 Farbabb., ISBN 978-3-86218-052-3, EUR 49,90
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Cäsar Pinnau (1906-1988) war einer der meist beschäftigten und auch international erfolgreichen deutschen Architekten der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Der in Hamburg geborene und der Stadt zeitlebens verbundene Pinnau stand lange im Bann seines Rufes: Im Dritten Reich erwarb er sich Bekanntheit durch seine Arbeit für Heinrich Himmler, für den er das Konferenzzimmer in dessen Dienstvilla in Berlin-Dahlem entwarf; reputiert wurde er aber vor allem als Gestalter der Innenausstattung der Neuen Reichskanzlei. Albert Speer betraute den freien Architekten Pinnau, der seit 15. Juni 1938 NSDAP-Mitglied Nr. 5.852.437 war, mit großen Aufträgen für die Neugestaltung Berlins. Nach 1945 setzte er seine Karriere nahezu ohne Unterbrechung fort; als Mitglied des von Speer bereits zu Kriegszeiten eingerichteten Wiederaufbaustabes bombengeschädigter Städte gehörte er zu den Schützlingen, die vom Frontdienst verschont blieben und unbehelligt ihre Karriere in Friedenszeiten vorbereiten konnten. Den 1942 lediglich temporär verliehenen Professoren-Titel nutzte Pinnau auch nach dem Krieg weiter. Pinnau avancierte nun zum Architekten des alten und des neuen Geldes, baute Villen für das Hamburger Großbürgertum, Yachten für Aristoteles Onassis und Stavros Niarchos, einen Palast für den Emir von Kuwait, vor allem aber Fabriken, Brauereien und Privatvillen für die Familie Oetker, für die er einschließlich ihrer Schiffsflotte gleichsam zum Haus-Architekten avancierte.
Die öffentliche Aufmerksamkeit blieb verhalten. Vielen jungen Architektenkollegen missfiel seine NS-Vergangenheit ebenso wie der klassisch orientierte Stil seiner Villen. Als Pinnau 1988 starb, war er noch voller Tatendrang, sein Werk wurde aber öffentlich kaum diskutiert. Seine Witwe achtete darauf, dass über ihren Mann nur harmonisierende Oberflächlichkeiten erschienen. Schon 1982 hatte sie gemeinsam mit Joachim Fest, dessen Haus in Kronberg Pinnau auf Empfehlung von Albert Speer entworfen hatte, eine historisch unkritische Lobschrift herausgegeben, die sie 1993 durch eigene Memoiren noch einmal zu festigen suchte.
Ruth Pinnau starb 2010 und hinterließ den Werknachlass, der nun dem Architekturhistoriker Ulrich Höhns zur Verfügung stand. Das jüngere Interesse an Pinnau geht einher mit dem Wandel deutscher Vergangenheitsaufarbeitung. Die Angehörigen der Funktionseliten werden seit gut zwei Jahrzehnten wesentlich differenzierter analysiert als in den Jahren ihres Wirkens. Höhns hat vor diesem Hintergrund ein Buch konzipiert, das einen ambivalenten Eindruck hinterlässt. Seine Werkschau zu Pinnau, in der er den Nachlass auswertet, ist in vieler Hinsicht gelungen, die Einordnung des Werkes und vor allem der Persönlichkeit Pinnaus in die politisch-gesellschaftliche Entwicklung vom Dritten Reich zur Bundesrepublik bleibt aber eher vage. Höhns hält sich an Architekturbeschreibungen und Stilanalysen, die zweifellos einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen fachlichen Einordnung liefern. Die ideologische Bedeutung der Architektur und ihre Rolle im Nationalsozialismus, wie sie auch am Beispiel Pinnaus analysierbar wäre, sind dagegen kaum sichtbar gemacht.
Der Einwand, dass ein Werknachlass kaum dasjenige Material hergibt, das für eine persönliche und politische Analyse von Pinnau notwendig wäre, griffe zu kurz. Aus dem Werk spricht Denken und Geschichtsauffassung, sein späteres Beschweigen und Verharmlosen ist durchaus typisch und wäre einzuordnen. Pinnau war Teil einer Architektengeneration, die Rassenpolitik in Stein kreieren sollte und mittat. Wenn Höhns zur Frage der Größe jener Repräsentationsbauten, die Pinnau für die Berliner Nord-Süd-Achse entwarf, dessen These unterstützt, dass die Pläne keineswegs gigantoman oder maßstablos gewesen seien, bleiben sowohl die ideologischen wie die praktischen Weiterungen außen vor. Die ideologischen, weil die Bauten einen klaren Charakter im "Rassenkampf der Völker" repräsentieren sollten; die praktischen, weil damit die willkürliche Zerstörung gewachsener Stadtviertel ebenso einherging wie die forcierte Verfolgungspolitik. Man möchte nicht nur feinfühlige Beschreibungen der detaillierten Architektursprache lesen, sondern würde gern mehr zum analytischen Kontext und den Folgen für die betroffenen Berliner erfahren.
Wenn Höhns meint, dass Pinnau dem Regime "bis zu dessen Ende politisch indifferent" gegenübergestanden habe (80) und dies mit Brief-Aussagen an seine erste Frau zwischen 1940 und 1945 belegen möchte, würde man auch hier gern mehr aus anderen Quellen erfahren. So schreibt Pinnau am 20. Juli 1942, dass er eine Dienststelle mit hundert Angestellten führe und für die Organisation Todt "den gesamten Osten" verantworte (96). Der Ostkrieg hatte klare Ziele: Nationalsozialistische Lebensraumeroberung und die Unterwerfung anderer Völker. Wer hier plante, war kaum "politisch indifferent", sondern Mithandelnder der Neugestaltungsmaschinerie auf Kosten fremder Menschen. Als Kriegslogistiker waren die Männer der Organisation Todt Teil des Vernichtungskrieges, sicherten die Versorgungswege und halfen bei der sogenannten Partisanenbekämpfung. Ein Blick in die zeitgenössischen Berichte liefert Beispiele, die sich auch für Pinnau analysieren lassen.
Wie viele andere Architekten profitierte Pinnau davon, dass nach dem Krieg Speer als Hauptkriegsverbrecher über viele Jahre die Aufmerksamkeit auch zur Architektur des Nationalsozialismus auf sich zog. Seine ehemaligen Günstlinge konnten in diesem Schatten rasch wieder Karriere machen. Pinnau zählte denn auch über die Jahre zu Speers Unterstützern in Spandau.
Höhns Beschreibungen sind immer wieder getragen von einer wenig distanzierten Bewunderung, in der die politische Rolle der Architektur im Nationalsozialismus zu wenig beachtet erscheint. Überhaupt bleibt die Dimension der historiographischen Debatten über die Architektur des Nationalsozialismus, von Werner Durth bis Wolfgang Schäche, von Jörn Düwel bis Niels Gutschow, recht undeutlich. Höhns hält sich eng an einschlägige Publikationen zu Speer und Pinnau, deren Umfeld zu analysieren hilfreich wäre. Das wird besonders deutlich in den Abschnitten zu Leon Krier, in dessen Elogen auf Speer und Pinnau der Versuch mitschwingt, NS-Architektur aus ihrer ideologischen Rolle zu lösen, ihre Symbolik für den Rassenstaat zu ignorieren und ihre Aufgabe und Wirkung zu verharmlosen. Kriers apologetische Lesarten sind von der historischen Forschung ebenso zurückgewiesen worden wie von Kritikern innerhalb des Architekturdiskurses.
So entsteht in der Summe vor allem der Eindruck, dass eine wichtige Werkschau reichlich isoliert erscheint gegenüber der historischen Welt von dessen Entstehung. So sehr die Werkschau gelungen ist: Die Bedeutung Pinnaus als Repräsentant spezifischer Struktur- und Wandlungsprozesse in der Verbindung von Werk, Person und Gesellschaft zu analysieren bleibt ein Desiderat.
Magnus Brechtken