Rebecca Rist: Popes and Jews, 1095-1291, Oxford: Oxford University Press 2016, XXVIII + 323 S., ISBN 978-0-19-871798-0, GBP 65,00
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Der zahlenmäßige Anteil von Juden an der mittelalterlichen "europäischen" Bevölkerung war zwar eher gering, und das Judentum stand infolgedessen nicht im Zentrum päpstlicher Politik, nichts desto trotz meint die Verfasserin der vorliegenden Monografie, eine Analyse dieser Politik sei deshalb lohnend, um ein Bild vom Einfluss des Heiligen Stuhles auf das Werden des mittelalterlichen "Europa" zu gewinnen. Rists Untersuchungszeitraum umfasst die Jahre 1095 bis 1291. Als Begründung für die Wahl dieser chronologischen Eckpunkte hält sie fest: "Overall, my aim is to determine whether papal statements, fortified by canon law, theology, and the teachings of the Church fathers, were unified by a common fear that through the contact of Christians with Jews and Judaism, Christianity itself would be weakened and endangered. In this context papal authorization of crusades is especially pertinent since awareness of the external threat from Muslims both in the Near East and in Spain increased anxiety about non-Christians within Christendom itself, thereby contributing to a drive for uniformity of belief which in the long term would prove catastrophic for Jews." (IX) Rist führt ihre Überlegungen in acht Kapiteln aus, denen ein Vorwort und eine Einleitung vorangestellt sind und eine Zusammenfassung folgt: 1. Jewish Ideas about the Papacy; 2. The Papal Promise of the Crusades; 3. The Impact of the Crusades; 4. Jews and Money; 5. Papal Claims to Authority over Judaism; 6. The Papacy and the Place of Jews in Christian Society; 7. The City of Rome; 8. Papal Rhetoric: Heretics, Muslims, and Jews.
Für ihre Untersuchung stützt Rist sich sowohl auf lateinisch-christliche wie hebräisch-jüdische Quellen. Mit Blick auf die Letztgenannten hält sie fest: "I break new ground by exploring not only papal responses to Jews but also the other side of the story: Jewish ideas about individual popes and the papacy as an institution." (VIII) Vor allem diese Ankündigung war es, die die Rezensentin zur Lektüre des Buches veranlasste. Insbesondere Mängel bei der Aufarbeitung von hebräischen Quellen lassen allerdings, nach Ende der Lektüre, die Rezensentin an der Aussagekraft mancher Schlussfolgerungen und damit letztendlich an der Aussagekraft des Buches insgesamt zweifeln. Das folgende Beispiel für den Umgang mit einer hebräischen Quelle soll die Gründe für diese Zweifel veranschaulichen:
1239 unterbreitete der ehemalige Jude Nikolaus Donin Papst Gregor IX. 35 Anklagepunkte gegen den Talmud. Aufgrund dieser Anklagepunkte ließ der Papst Briefe versenden, in denen die Empfänger aufgefordert wurden, die jüdischen Bücher einzusammeln, um sie, im Sinne der Anklage, einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Nur der König von Frankreich, Ludwig IX., kam der Aufforderung nach. In der Folge kam es 1240 zur sogenannten ersten Disputation von Paris. Die lateinischen Quellen und fast alle hebräischen Texte, die uns zu diesem Ereignis heute noch vorliegen, zeichnen das Bild eines persönlichen Aufeinandertreffens von Nikolaus Donin und R. Jechiel, auch wenn vieles dafür spricht, dass dem nicht so war. Im Rahmen der Darstellung dieser Disputation findet sich von Rist dazu unter anderem folgendes:
"According to Official (sic!), the queen (-mother) of France, Blanche of Castile, informed Rabbi Yehi'el that it was the pope himself who, concerned about what he had heard regarding the Talmud, had ordered its trial; while she assured him of royal protection, nevertheless she bid him to answer Nicholas Donin's charges at the pope's own behest." (50) Und die entsprechende Fußnote 119 ergänzt: "Joseph ben Nathan Official, 'Vikuah R. Yehi'el miparis'. For an easily accessible text, see Osar wikuhim, ed. J.D. Eisenstein, p. 82. But for a more accurate text, see Sefer Ṿikuaḥ Ṿ (sic) Rabenu Yeḥi'el mi-Paris, ed. S. Gruenbaum (Thorn, 1873), p. 2. For an English translation (paraphrased) of the Hebrew text, see Judaism on Trial, ed. Maccoby, pp. 153-62. For a translation of the Christian account of the Paris Disputation, see Judaism on Trial, ed. Maccoby, pp. 163-7."
Den Angaben in der Fußnote ist Folgendes hinzuzufügen: Forscherinnen und Forscher, die sich der Untersuchung der Umstände um die Disputation von Paris 1240 widmen, sind derzeit noch gezwungen für die jüdische Seite des Ereignisses auf Grünbaums Text aus dem 19. Jahrhundert zurückzugreifen. Dieser Text bietet nicht einfach, wie Rist es ausdrückt, eine genauere Version, sondern ist, unter Berücksichtigung seiner Entstehungszeit, als die einzige derzeit vorliegende kritische Edition anzusehen. Demgegenüber mag Eisensteins Version, wie Rist angibt, leichter aufzufinden sein, sie entbehrt jedoch, wie ein Blick auf den Text klar macht, jeder Textkritik, weshalb sie üblicherweise auch nicht als Basis für historische Untersuchungen herangezogen wird. Für Maccobys Text gilt, dass er Grünbaums hebräischen Text als Vorlage benutzte, diesen aber, wie Maccoby selbst ausdrücklich festhielt, in Form einer Paraphrase, also einer freien Übersetzung, wiedergibt (153). Vor dem Hintergrund dieser Anmerkungen ist zu Rists oben zitiertem Text Folgendes zu sagen:
Rists Zusammenfassung der hebräischen Textstelle, auf die sie in ihrer Fußnote verweist, entspricht der Edition Grünbaums nicht. In dieser ist weder davon die Rede, dass die Königin R. Jechiel über die Anordnung der Untersuchung durch den Papst informierte, noch dass dieser eine solche Anordnung aufgrund seiner Besorgnis darüber erließ, was er vom Talmud gehört hatte. Auch die Feststellung, dass Nikolaus Donin auf Geheiß des Papstes agierte, findet sich nicht. Die einzige Textstelle, in der der Papst erwähnt wird, ist vielmehr die, in der er in Rists Zusammenfassung gerade nicht genannt wird: Im Rahmen der Versicherung der Königin, dass die Juden beschützt werden würden, heißt es nämlich: "[...] so finden wir es in den Büchern und aus dem Mund des Papstes ebenso." (Grünbaum 2; Eisenstein 82 hat stattdessen: "[...] denn so finden wir es in den Büchern aus dem Mund des Papstes."). Der Vergleich von Rists Zusammenfassung mit dem hebräischen Text zeigt, dass Rist sowohl der Königin als auch dem Papst an dieser Stelle der Auseinandersetzung Rollen zuweist, für die die hebräische Quelle keinen Beleg darstellt. Im Fall der Königin bleibt unklar, wie Rist dazu gekommen ist. Mit Blick auf den Papst könnte man vermuten, dass Rist sich von Maccobys Text beeinflussen ließ, in dem es heißt: "The judges: It is the Pope who has directed us to hold this inquiry." (154) Dieser Satz, für den sich freilich keine Entsprechung im hebräischen Text findet, macht allerdings lediglich klar, welche Freiheiten sich Maccoby im Rahmen seiner Übersetzung gestattete. Als Basis für die Darstellung historischer Tatsachen eignet er sich selbstverständlich nicht.
Das vorgestellte Beispiel ist zwar eines von mehreren, bei denen die Rezensentin Mängel im Umgang mit der Quelle festgestellt hat, sie hat jedoch keineswegs alle Textstellen, die auf hebräische Quellen zurückgeführt werden, überprüft. Diese Unterlassung erfolgte vor allem deshalb, weil Rists Buch keine Originalzitate aufweist, sodass für die Überprüfung der Texte die jeweils genannte Quelle in der jeweils genannten Ausgabe erst besorgt werden muss. Rists Zitierweise ist zwar keine ungewöhnliche, sondern vielmehr heute weit verbreitet, die Rezensentin bedauert sie dennoch. Die Übersetzung hebräischer Texte stellt eine besondere Herausforderung dar, die es wünschenswert macht, dass die Leserschaft in jedem Fall selbst in die Lage versetzt wird nachzuvollziehen, ob die Übersetzung dem eigenen Verständnis des Originals entspricht oder nicht.
In ihrer conclusio zieht Rist zwei Schlüsse: Erstens konstatiert sie, dass das Agieren der Päpste, in dem von ihr beobachteten Zeitraum, die zunehmende Verschlechterung der Lage der jüdischen Gemeinden mit verursachte. Zweitens hält sie fest: "My second conclusion concerns the Jewish perspective. Although papal perceptions of Jews throughout the High Middle Ages are a well-established area of research, Jewish ideas about the papacy are not. Jewish writers were desperate to ensure the safety of those communities and grateful for statements of papal protection, yet they were also highly critical of Christian beliefs about the papacy, particularly apostolic succession. They acknowledged that popes had always played and would continue to play an important role in safeguarding their well-being and determining their future. Yet although contemporary and later writers often valued papal protection more highly than that of monarchs, emperors, or clergy, they knew that it had carefully circumscribed limits. Jewish ideas about the papacy are therefore nuanced and complex and deserve more rigorous and wide-ranging investigation." (269) Vor dem Hintergrund des oben Gesagten stimmt die Rezensentin insbesondere dem letzten Satz vollinhaltlich zu.
Ursula Ragacs