Rotraud Becker (Bearb.): Nuntiaturberichte aus Deutschland nebst ergänzenden Aktenstücken. Abt. 4. 17. Jahrhundert. Band 6: Nuntiatur des Ciriaco Rocci. Ausserordentliche Nuntiatur des Girolamo Grimaldi - Sendung des P. Alessandro D'Ales (1633-1634), Berlin: De Gruyter 2016, LXVII + 699 S., ISBN 978-3-11-045611-0, EUR 149,95
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Rotraud Becker (Bearb.): Nuntiaturen des Giovanni Battista Pallotto und des Ciriaco Rocci (1630-1631), Tübingen: Niemeyer 2009
Rotraud Becker (Bearb.): Nuntiaturberichte aus Deutschland nebst ergänzenden Aktenstücken. Vierte Abteilung: 17. Jahrhundert, Band 7: Nuntiaturen des Malatesta Baglioni, des Ciriaco Rocci und des Mario Filonardi. Sendung des P. Alessandro d'Ales (1634-1635), Tübingen: Niemeyer 2004
Die Nuntiaturberichte vom Kaiserhof gehören zu den großen Editionsprojekten der deutschen und österreichischen [1] Frühneuzeitforschung. Mit anderen derartigen Langzeitprojekten teilen sie das Schicksal, aus mancherlei Gründen unvollendet geblieben zu sein, sei es dass sich die ursprünglichen editorischen Grundsätze als nicht passend für das im Verlauf der Frühen Neuzeit stark anwachsende Quellenmaterial oder als nicht mehr zeitgemäß erwiesen haben, sei es dass man aufgrund veränderter Forschungsschwerpunkte und Fragestellungen das Interesse an einem Quellencorpus verloren hat, sei es dass die öffentlichen Geldgeber die Finanzierung eingestellt haben.
Bei den vom Deutschen Historischen Institut in Rom herausgegebenen Nuntiaturberichten vom Kaiserhof war vor allem die 4. Abteilung zum 17. Jahrhundert lange ein Torso. Neben einem Band zu den Jahren 1603-1606 lagen lediglich die beiden von Hans Kiewning bearbeiteten Bände von 1895/98 für die Jahre 1628/29 vor. Seit 2004 sind aber vier, allesamt von Rotraud Becker verantwortete Bände erschienen, die die erste Hälfte der 1630er-Jahre, also die Zeit vom Regensburger Kurfürstentag bis zum Prager Frieden, abdecken. Der hier zu besprechende Band schließt die bislang bestehende Lücke der Jahre 1633 und 1634. In diese Zeitspanne fallen unter anderem die Absetzung und Ermordung Wallensteins, die Stabilisierung der militärischen Position des Kaisers infolge des Sieges von Nördlingen, die beginnenden Bemühungen um einen Ausgleich mit den protestantischen Reichsständen und die Zuspitzung des Verhältnisses zwischen den Habsburgern und Frankreich. In den beiden Jahren waren im Auftrag Papst Urbans VIII. der ordentliche Nuntius Ciriaco Rossi, der außerordentliche Nuntius Girolamo Grimaldi Cavalleroni und der Kapuzinerpater Alessandro d'Ales am Kaiserhof tätig.
In gewohnter Zuverlässigkeit bietet die Bearbeiterin in ihrer umfangreichen Einleitung (XI-LXVI) exakte Angaben zur Überlieferung, Biografien der päpstlichen Diplomaten, von denen insbesondere der mehrfach in Geheimmissionen eingesetzte Pater Alessandro eine schillernde Gestalt ist, und Informationen zu den Aufgaben der Nuntien sowie zu Interna und Personalia der Wiener Nuntiatur. Den größten Teil des Bandes nimmt aber selbstverständlich der Briefwechsel der päpstlichen Diplomaten ein, deren Korrespondenzpartner in Rom der Kardinalnepot Francesco Barberini war, der mit d'Ales und teilweise auch mit Rocci am Staatssekretariat vorbei über sein eigenes Büro in proprio korrespondierte (XXIIf.). Die Korrespondenz mit Pater Alessandro ist innerhalb des Bandes separat, in einem Anhang (541-625), abgedruckt, der auch ein Memoriale Pater Valeriano Magnis von Anfang 1634 enthält (620-625).
Wie üblich, ist die Themenvielfalt der Nuntiaturberichte beachtlich. Im engeren Sinne kirchliche Gegenstände treten dabei gegenüber den politischen Angelegenheiten zurück, denn es gab in diesen Jahren weder spektakuläre innerkirchliche Konflikte, noch entfalteten die Nuntien besondere Initiativen zur Implementierung der Tridentinischen Reformen in ihrem Amtsbezirk. Vielmehr dominiert der Dreißigjährige Krieg in seinen unterschiedlichen Dimensionen die Korrespondenz zwischen Wien und Rom.
Erheblicher Klärungsbedarf bestand bezüglich der Politik Urbans VIII. im Dreißigjährigen Krieg. Denn dem Barberini Papst wurden von kaiserlicher Seite eine unangemessene Frankophilie und eine unzureichende Unterstützung des Kampfes Ferdinands II. gegen die protestantischen "Häretiker" vorgeworfen. Tatsächlich hatte der außerordentliche Nuntius Grimaldi 1632 Subsidien von insgesamt 130.000 Talern für den Kaiser und die katholische Liga im Gepäck. Zugleich sollte er für einen Ausgleich der Habsburger mit Frankreich werben, dessen bisherige militärische Maßnahmen er als Akte der Selbstverteidigung zu rechtfertigen hatte. Weiteren Konfliktstoff boten die Ambitionen der Familie des Papstes; unter anderem stand sein weltlicher Nepot, der Stadtpräfekt Taddeo Barberini, in einem Zeremonialkonflikt mit dem kaiserlichen Botschafter. Ein interessantes Projekt der Barberini, dem Kaiser finanziell unter die Arme zu greifen, zugleich aber den Aufstieg der eigenen Familie dauerhaft abzusichern, bestand in dem Vorschlag, ein italienisches Reichslehen zu kaufen (89), das als Basis eines Barberini-Fürstentums dienen sollte.
Das Faktum, dass der Papst nicht nur das zeitliche Oberhaupt der katholischen Kirche, sondern auch der regierende Fürst des Kirchenstaats war, drückt sich in einem besonderen Interesse an den Angelegenheiten der anderen italienischen Staaten aus. Vieles erfährt man auch über die persönlichen Konstellationen und Parteiungen am Kaiserhof, deren Kenntnis für die Römische Kurie von größter Bedeutung war, um in Wien die eigenen Projekte vorantreiben zu können. Aber auch römische Ereignisse werden berührt, wie die Affäre Galileo Galilei (zum Beispiel 165).
Es dürfte deutlich geworden sein, dass die hier publizierten Korrespondenzen einen Quellenbestand zugänglich machen, der für unterschiedlichste Forschungsfragen mit großem Gewinn nutzbar zu machen ist. Denn auch noch im 17. Jahrhundert war der päpstliche diplomatische Apparat einer der am weitesten verzweigten, am intensivsten vernetzten und am besten informierten im katholischen Europa. Der Wert der Edition wird durch die Regesten, den sorgfältig erstellten kritischen Apparat, das Personen-, Orts- und Sachregister sowie das Quellen- und Literaturverzeichnis erhöht. Dem Band ist eine intensive Nutzung in Forschung und Lehre zu wünschen.
Anmerkung:
[1] Für die 2. Abteilung, die die Jahre 1560 bis 1572 abdeckt, war die Historische Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zuständig.
Matthias Schnettger