Klaus M. Girardet: Studien zur Alten Geschichte der Europäer, Bonn: Verlag Dr. Rudolf Habelt 2015, XVII + 597 S., ISBN 978-3-7749-3987-5, EUR 83,00
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Klaus M. Girardet / Ulrich Nortmann (Hgg.): Menschenrechte und europäische Identität. Die antiken Grundlagen, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005
Der vorliegende Band enthält 21 Aufsätze Girardets, darunter drei erstmals publizierte Schriften, die unter dem weit gefassten Oberthema der für die kulturelle Identität der Europäer relevanten Studien eingeordnet sind. Unterteilt ist der Band in drei große Themenkomplexe: Vier Aufsätze behandeln "Alte Geschichte und europäische Identität" (1-108), wobei es im Wesentlichen um die Frage geht, welche Bedeutung die Antike heutzutage hat (etwa in ihrer möglichen Vorbildfunktion für ein vereintes Europa: 43-72). In sechs Aufsätzen wird "Denken und Handeln bei Griechen und Römern" (109-282) diskutiert, wobei der Fokus auf Themen liegt, die man am ehesten als Staatsrecht in Theorie und Praxis bezeichnen könnte. So wird in einem Beitrag ein Überblick über die Konzepte des "gerechten Krieges" von Cicero bis in die Gegewart geboten (211-247), während ein anderer die antiken Herrschertestamente untersucht (111-133). "Zur Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche in den ersten Jahrhunderten" (283-597), worunter die übrigen elf Aufsätze fallen, ist als Titel ein wenig irreführend, da mit Ausnahme der Aufsätze zu dem Priscillianistenprozess in Trier im späteren vierten Jahrhundert (507-529) und zu Naturrecht und Naturgesetz von Cicero bis Augustinus (563-597) alle übrigen dort eingeordneten Beiträge Konstantin und seine Zeit behandeln.
Der Forschungsschwerpunkt des Rezensenten spricht ebenso wie die Tatsache, dass sich dort sämtliche Erstpublikationen des Bandes finden, dafür, einen genaueren Blick auf die konstantinischen Studien zu werfen. Girardets Grundthesen dazu lauten folgendermaßen: Konstantin trat bereits 311 im Rahmen der Vorbereitungen seines Feldzuges gegen Maxentius zum Christentum über und verfolgte von diesem Zeitpunkt an eine dezidiert christenfreundliche Politik, im Rahmen er das Heidentum eher widerwillig duldete, aber auf Zwang und Gewalt verzichtete. Die ausführlichste Darstellung seiner Thesen hat Girardet in einem 2010 erschienenen Buch geboten [1], wozu ergänzend die 2013 erschienene Fontes Christiani-Ausgabe der Rede an die Versammlung der Heiligen hinzutrat. [2] Diese These wird auch in den abgedruckten Aufsätzen mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen vertreten, behandelt werden beispielsweise Konstantin als Vorsitzender von Konzilien (435-447), sein allgemeines Christianisierungsprogramm (477-506), die Situation der Christen in diokletianisch-konstantinischer Zeit (393-419) und die Inschrift von Hispellum (449-476). [3] Auch eine ausführliche Rezension wird in dem Band geboten. [4] Erstmals gedruckt sind: In "Galerius, Konstantin und die Christen im Jahr 311" (309-336) wird vor allem das Galeriusedikt, eine "zähneknirschende Duldung auf niedrigem Niveau" (319), analysiert. Nicht plausibel ist die Annahme Girardets, die dort geäußerte Einforderung der disciplina hätte bedeutet, dass Christen vor Gericht die Ausübung von heidnischen Riten abverlangt oder ihnen die Nutzung des Gerichtswesens verweigert wurde. Eine solche Vorgabe für "ein unverbundenes, mehr oder weniger feindseliges Nebeneinander" (321) wäre mit den Bemühungen des Galerius um einen Ausgleich und eine Entspannung der Situation nicht zu vereinbaren. Auch hätte es sich hier gelohnt, einen Blick auf die mögliche Vorbildfunktion der ägyptischen Juden, die keinen Kaiserkult, wohl aber Kaiserverehrung (Handlungen zu ihrem Gott zum Wohle des Kaisers) praktizierten, [5] zu werfen. Bei "Religionsfreiheit für alle Menschen. Das Religionsgesetz Konstantins d. Gr. von Ende 312. Quellen und politischer Kontext" (337-391) handelt es sich um eine Stellungnahme für die Authentizität dieses bei Eusebios überlieferten Gesetzes, das zum Ziel gehabt habe, die Situation der Christen im Osten derjenigen der Christen im Westen anzugleichen. Mit seiner Hervorhebung der Besonderheit, dass hier nun erstmals Religionsfreiheit als politisches Programm proklamiert wurde, dürfte Girardet aber dessen Bedeutung überschätzen, zumal er selbst darauf hinweist, dass diese Hervorhebung gerade daraus resultierte, dass eine solche Haltung nicht mehr selbstverständlich war (375). "Imperium und sacerdotium. Politische und ideologische Folgen der konstantinischen Wende" (531-561) wirft einen Blick auf die Entwicklungen seit Konstantin, die dazu beigetragen haben, das Verhältnis zwischen Kaiser und Bischof zu beeinflussen (Annahme des Christentums durch den Kaiser, dessen Taufe und Teilnahme am Gottesdienst, Ablegung des Titels des pontifex maximus). [6]
Als Gesamtwerk ist der Band nicht ganz frei von Schwächen [7]: Das umfangreiche Inhaltsverzeichnis (VII-XV) ersetzt zwar weitgehend ein Sach- und Namensregister, aber ein Quellenregister wäre dennoch nützlich gewesen. Auch wird im Vorwort (XVII) verschwiegen, in welcher Form genau die Aufsätze nachgedruckt sind, so dass der Benutzer selbst herausfinden muss, dass mit einer Ausnahme (249, Anm. *) außerhalb der Korrektur kleinerer Druckversehen oder gelegentlicher Korrekturzusätze unveränderte Nachdrucke vorliegen.
Das Grundproblem des Bandes ist aber seine Konzeption und thematische Abgrenzung: Während die ersten beiden Schriftenbände Girardets mit "Rom auf dem Weg von der Republik zum Prinzipat" (2007) [8] und "Kaisertum, Religionspolitik und das Recht von Staat und Kirche in der Spätantike" (2009) klar abgegrenzte Themen konsequent durchhielten, wird hier nun ein deutlich allgemeinerer Titel geboten. Da dieser Band aber nicht nur die Beiträge enthält, die auch im engeren Sinne darunterfallen (insbesondere Nr. 1-4 und 9), sondern auch primär althistorische Studien, würde dann aber eigentlich jeder Beitrag zur griechisch-römischen Antike unter die "Studien zur Alten Geschichte der Europäer" fallen. Vielleicht wäre es daher die sinnvollere Option gewesen, die ersten zehn Aufsätze sowie Nr. 21 (zu Naturrecht und Naturgesetz von Cicero bis Augustinus), mit dem Aufsatz Nr. 8 (zu Naturrecht bei Aristoteles und bei Cicero) ergänzt wird, in einen derart betitelten Band einzuordnen und aus den übrigen Aufsätzen (außer Nr. 19 zum Prozess gegen die Priscillianisten) einen speziell Konstantin gewidmeten Schriftenband zu machen. Bei dem Band in seiner jetzigen Form handelt es sich (bei aller Kompetenz der enthaltenen Aufsätze) eher um zwei halbe Werke als um ein ganzes. [9]
Anmerkungen:
[1] Klaus Martin Girardet: Der Kaiser und sein Gott. Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Großen. Berlin 2010. Von den zahlreichen Rezensionen sind aufgrund der geäußerten Gegenargumente hervorzuheben: Hartwin Brandt, in: Gymnasium 118 (2011), 301-302; Harold Allen Drake, in: Catholic Historical Review 97 (2011), 755-757; Oliver Schmitt, in: Klio 94 (2012), 234-237; Johannes Wienand, in: Theologische Literaturzeitung 137 (2012), 306-309.
[2] Die ausführlichste Diskussion dazu bietet Erich Kettenhofen, in: Frankfurter elektronische Rundschau zur Altertumskunde 23 (2014), 31-37 (http://s145739614.online.de/fera/ausgabe23/Kettenhofen1.pdf).
[3] Über diese handeln jetzt auch die exzellenten Ausführungen von Noel Lenski: Constantine and the cities. Philadelphia 2016, 114-130 mit 313-317, Anm. 1-66.
[4] Zu dem vieldiskutierten Buch Martin Wallraff: Sonnenkönig der Spätantike. Die Religionspolitik Konstantins des Großen. Freiburg 2013. Siehe dazu Rezensent, in: Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 65 (2015), S. 445-453 mit einer Liste älterer Rezensionen S. 445, Anm. 1, zu der noch Elisabeth Herrmann-Otto, in: Historische Zeitschrift 303 (2016), 183-185 und Ulrich Lambrecht, in: Kurtrierisches Jahrbuch 54 (2014), 50-54 zu ergänzen sind.
[5] Dazu Stefan Pfeiffer: Der römische Kaiser und das Land am Nil. Stuttgart 2010.
[6] In diesem Zusammenhang sei noch hingewiesen auf den materialreichen Beitrag von Rudolf Haensch: Die Rolle der Bischöfe im 4. Jahrhundert: Neue Anforderungen und neue Antworten, in: Chiron 37 (2007), 153-181.
[7] Von den gelegentlich aufzufindenden Druckversehen sei nur auf die wenigen problematischeren verwiesen: Der Querverweis 321, Anm. 70 müsste auf 320, Anm. 68 deuten (nicht auf Anm. 65); 327, Punkt d ist für die Angabe zu Eusebios 1,37,1 (nicht 1,7,1) zu lesen; die 547, Anm. 65 zitierte Passage Julians belegt nicht, dass Constans getauft wurde.
[8] Dazu ausführlich Frédéric Hurlet, Le passage de la République à l'Empire. Questions ancennes, nouvelles responses, in: Revue des études anciennes 110 (2008), 215-235.
[9] An weiteren Rezensionen wurden mir nur zwei bekannt: Ulrich Lambrecht, in: Historisch-politisches Buch 64 (2016), 594-595; Uwe Walter, in: Historische Zeitschrift 304 (2017), 467-469.
Raphael Brendel