Vasileios Liotsakis / Scott Farrington (eds.): The Art of History. Literary Perspectives on Greek and Roman Historiography (= Trends in Classics - Supplementary Volumes; Vol. 41), Berlin: De Gruyter 2016, VIII + 321 S., ISBN 978-3-11-049526-3, EUR 109,95
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Rhiannon Ash / Judith Mossman / Frances B. Titchener (eds.): Fame and Infamy. Essays for Christopher Pelling on Characterization in Greek and Roman Biography and Historiography, Oxford: Oxford University Press 2015
Daniel W. Leon: Arrian the Historian. Writing the Greek Past in the Roman Empire, Austin: University of Texas Press 2021
Der zu besprechende Sammelband von Vasileios Liotsakis und Scott Farrington umfasst die Ergebnisse einer Tagung "Science/Fiction/History: The Literary in Classical Historiography", die im Jahre 2014 unter der Ägide der Aristoteles Universität Thessaloniki in Athen durchgeführt wurde. Der Sammelband nimmt sich der stilistischen und narrativen Techniken griechischer und römischer Geschichtsschreibung an, um danach zu fragen, wie antike Autoren ihren historischen Stoff literarisch ausgestalteten (V). Der Band ordnet sich damit in den Kontext der im Zuge des linguistic turn bereits länger entflammten Debatte über die adäquate Beurteilung von Geschichtsschreibung zwischen historisch-kritischer Analyse und literarisch-stilistischer Bewertung ein. [1]
In dreizehn Beiträgen wird ein Bogen von Herodot und Thukydides (Donelli, Konstantakos, Liotsakis, Grossi, Feddern, Harris) über Polybios, Diodor und Plutarch (Farrington, Baumann, Fournel) zu Caesar, Appian, Tacitus und Sueton (Adema, Waddell, Low, Duchêne) geschlagen. Den Aufsätzen ist jeweils ein sehr nützlicher Abstract vorangestellt, der prägnant über die Inhalte der Texte informiert und darüber hinaus Querverweise auf andere Artikel des Bandes liefert, denen ähnliche Fragestellungen zugrunde liegen. Den Herausgebern gelingt es auf diese Weise, mehr als eine lose Aufsatzsammlung vorzulegen. Die Beiträge ergeben vielmehr eine homogene Einheit, in der sich Aspekte des einen Artikels auf Sachverhalte eines anderen beziehen können. Im Folgenden sollen einige Beiträge gesondert hervorgehoben werden.
Ioannis M. Konstantakos nimmt sich der Tötung des heiligen Apis-Stieres von Memphis durch den Perserkönig Kambyses im 3. Buch Herodots an (37-72). Überzeugend arbeitet er die komplexe und mehrschichtige Konstruktion des herodoteischen Kambyses-Bildes heraus, bei dem der Geschichtsschreiber Einflüsse der attischen Tragödie mit Eindrücken seiner Quellen vereint. Dabei scheint die von Konstantakos vorgenommene Verlagerung der Überlieferung von den ägyptischen Priestern auf einen Diskurs unter den dem Kambyses feindlich gesinnten persischen Eliten beachtenswert. Nichtsdestotrotz müssen seine Überlegungen Hypothese bleiben, die mehr auf die Komplexität der herodoteischen Darstellung verweist als auf eine Lösung der Quellenproblematik. Das erhaltene dokumentarische Material spricht gegen die Tötung eines Apis-Stieres durch Kambyses. Konstantakos erkennt in der Tauroktonie hingegen ein aus Mesopotamien stammendes Motiv, das von persischen Eliten mit dem ägyptischen Apis-Stier in Verbindung gebracht wurde, um Kambyses zu diffamieren. So gelangte ein letztlich unter den persischen Eliten geführter Diskurs mit Hilfe der Zwischenquelle der Ägypter zu Herodot. Jenseits der Problematik der angenommenen Zwischenquelle muss die Frage, ob Vorstellungen assyrischer und avestischer Texte ohne weiteres auf die Zeit des Kambyses übertragen werden können, kritisch diskutiert werden.
Der Beitrag von Vera Mariantonia Grossi (98-118) bietet viel mehr, als lediglich die Nachzeichnung der antiken Diskussion über homerische Einflüsse auf Thukydides, wie ihr Titel und Abstract zunächst vermuten lassen. Ihre Besprechung der sich mit Thukydides befassenden Literaturkritik, wie sie etwa Dionysios von Halikarnassos, der Thukydides-Biograph Marcellinos oder der Rhetor Aelius Theon bieten, verweist auch auf die inhaltlichen Auseinandersetzungen der einzelnen antiken Interpreten untereinander in ihrer Beurteilung des thukydideischen Stils. Die kritische Beschäftigung mit dem Werturteil des Dionysios von Halikarnassos, die sich explizit in dem auf Papyrus überlieferten Thukydides-Kommentar P. Oxy. VI 853 findet, kann Grossi auch für die übrigen Literaturkritiker nachweisen. Für Grossi scheint etwa Marcellinos direkt gegen Dionysios zu argumentieren. Dadurch macht Grossi deutlich, wie heterogen die Urteile der antiken Stilkritiker ausfallen konnten.
Stefan Feddern bemüht sich um ein besseres Verständnis des vielbesprochenen thukydideischen Methodenkapitels im Licht der Einschätzungen des Dionysios von Halikarnassos, des Marcellinos und des Paradoxographen Palaiphatos (119-144). Insbesondere die Begrifflichkeit des τὰ δέοντα im thukydideischen Redensatz kann Feddern durch die Hinzuziehung der drei antiken Autoren überzeugend im Sinne von "Angemessenheit", τὸ πρέπον, deuten. Fedderns Argumente bekommen zusätzliches Gewicht, wenn man bedenkt, dass auch Lukian von Samosata in seinem Traktat "Quomodo historia conscribenda sit" den Redensatz des Thukydides wie Dionysios, Marcellinos und Palaiphatos zu verstehen scheint. [2]
Scott Farrington widmet sich der polybianischen Kritik an Phylarchos (159-182). Durch eine Durchsicht der Fragmente des Phylarchos möchte er die Vorstellung des Polybios von den Unterschieden zwischen Tragödie und Geschichtsschreibung besser erfassen. Farringtons Analyse bestätigt in dieser Hinsicht die Skepsis vor der Annahme einer Schule oder Tradition tragischer Geschichtsschreibung. Gerade unter Berücksichtigung dieses Ergebnisses wie auch des Beitrages von Liotsakis im selben Band, der u.a. das Konzept von Furcht bei Thukydides untersucht, stellt sich die Frage, ob Farrington nicht generell auf die wiederholt angeführte Begrifflichkeit der "tragischen Geschichtsschreibung" hätte verzichten sollen. Dadurch wäre noch deutlicher geworden, dass man sich von überkommenen Vorstellungen über die Historiographie des Phylarchos verabschieden sollte. Der lediglich sporadische Einblick, den die Fragmente des Phylarchos bieten können, bleibt dabei sogar noch unberücksichtigt.
Der Tagungsband The Art of History versammelt eine Anzahl heterogener Aufsätze, die durch die in den Abstracts vorgenommenen Querverweise dennoch ein homogenes Ganzes bilden. Insbesondere die Studien zu Diodorus Siculus oder Appian beleuchten Autoren, die seltener in den Fokus von Untersuchungen geraten. Doch auch die Beiträge zu bereits gut untersuchten Autoren wie Caesar oder Sueton vermögen es, interessante Aspekte zu beleuchten. So mögen die versammelten Beiträge nicht nur jene Interpreten ansprechen, die sich mit einem der in dem Band behandelten antiken Autoren beschäftigen. Die Struktur der querverweisenden Verknüpfungen der einzelnen Studien erweist sich gerade für jene Forscher als nützlich, die sich generell für die literarischen Darstellungstechniken der Gattung Historiographie interessieren.
Anmerkungen:
[1] In seiner Einführung zu dem Band erwähnt Craige Champion in dieser Hinsicht zwar die harsche Kritik von John Lendon an den literarisch-postmodernen Untersuchungen jüngerer Zeit zur antiken Historiographie. Er versäumt es jedoch, sich den Ansichten von Lendon gebührend entgegenzusetzen, um den Wert der folgenden Beiträge so auch gegenüber Interpreten historisch-kritischer Prägung, wie Lendon sie verkörpert, hervorzuheben. Zur Kritik Lendons siehe seinen Beitrag: Historians without History: Against Roman Historiography, in: A. Feldherr (ed.): The Cambridge Companion to the Roman Historians, Cambridge 2009, 41-61.
[2] Vgl. Lukian. Hist.Conscr. 58 mit A. Free: Geschichtsschreibung als Paideia. Lukians Schrift. "Wie man Geschichte schreiben soll" in der Bildungskultur des 2. Jhs. n. Chr., München 2015, 93f.
Alexander Free