Rezension über:

Dorothea Böhland / Michael Schremmer (Hgg.): "Die Malerei ist mein ganzes Glück". Bettina Encke von Arnim - Leben und Werk 1895 - 1971, Berlin: Böhland & Schremmer Verlag 2015, 110 S., zahlr. Farb- u. s/w-Abb., ISBN 978-3-943622-08-9, EUR 24,95
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Rezension von:
Teresa Ende
Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Jessica Petraccaro-Goertsches
Empfohlene Zitierweise:
Teresa Ende: Rezension von: Dorothea Böhland / Michael Schremmer (Hgg.): "Die Malerei ist mein ganzes Glück". Bettina Encke von Arnim - Leben und Werk 1895 - 1971, Berlin: Böhland & Schremmer Verlag 2015, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 10 [15.10.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/10/27835.html


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Dorothea Böhland / Michael Schremmer (Hgg.): "Die Malerei ist mein ganzes Glück"

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Künstlerbiografien folgen Geschlechterkategorien, zum Teil bis heute. In der älteren Kunstgeschichtsschreibung herrschte lange die Tendenz zur "biography of praise" vor: Das Leben von (überwiegend männlichen) Künstlern wurde als Appendix ihrer Werke gesehen und gleichsam überhöht. [1] Bei Künstlerinnen war es meist umgekehrt: Ohnehin viel seltener Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, neigte die Forschung lange dazu, deren künstlerisches Werk zugunsten der breiten Schilderung der Biografie zu vernachlässigen und es in erster Linie aus dieser heraus zu erklären.

Diese Muster - Lobrede und Leben vor Werk - wirken auch in der Publikation über Bettina Encke von Arnim nach, die parallel zur Ausstellung "Kunst und Leben - Leben und Kunst. Bettina Encke von Arnim (1895-1971)" anlässlich des 120. Geburtstages der Künstlerin 2015 in Schloss Wiepersdorf in Brandenburg entstand. Der mehr als 90 Seiten umfassende Hauptteil des Buches stellt ihre Biografie chronologisch dar und wurde von Dorothea Böhland (5-45) und Petra Heymach (49-95), einer Enkelin der Künstlerin, verfasst. Der schmale Schlussteil des Buches ist "Annäherungen an das malerische Werk Bettina Encke von Arnims" überschrieben und stammt von Birgit Brüns (97-107), die eine Auswahl der erhaltenen Werke in zeitlicher Abfolge charakterisiert und stilistisch einordnet. Mit den 58 Abbildungen von Werken aus der Zeit 1907-71 gibt der Band so einen Überblick über das Schaffen der Künstlerin, wobei das bekannte Œuvre nach wie vor Lücken aufweist: Aus den 1910er- und 1920er-Jahren etwa sind nur wenige Werke erhalten, von einer Reihe von Porträts wissen wir lediglich aus Briefen der Künstlerin (21), denen im Buch viel Raum gegeben wird. Die erhaltenen Werke sind meist signiert, aber nicht durchgehend datiert.

Die 1895 geborene Urenkelin der Romantiker Bettina und Achim von Arnim begann früh zu zeichnen. Als Frau vom staatlichen Kunststudium ausgeschlossen, besuchte Bettina von Arnim trotz anfänglicher Widerstände des Vaters 1917-20 die 'Damenakademie' des Vereins der Berliner Künstlerinnen, wie zuvor Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker. Zu ihren Lehrern in Privatateliers zählten Leo von König und Martin Brandenburg, seit den 1920ern Johann Walter-Kurau (13ff.). 1921 heiratete sie den hohen Verwaltungsbeamten Walther Encke, der ihre künstlerischen Ambitionen zwar unterstützte, gleichwohl musste die Kunst jahrzehntelang hinter Familie und anderen Verpflichtungen zurückstehen. Bis 1933 veranstaltete das liberale Ehepaar in der Berliner Wohnung Salons mit Künstlern, Kulturschaffenden und Politikern unterschiedlicher Gesinnung. Mit der Machtübernahme musste Walther den Polizeidienst verlassen (30); das Paar gewährte Verfolgten Unterschlupf (37). Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes 1941 ließ sich Encke von Arnim auf dem Familiensitz Schloss Wiepersdorf nieder, das sie 1945 vor der Zerstörung bewahrte, bevor sie selbst daraus vertrieben wurde. Sie ging nach Westdeutschland und wurde 1953 in Überlingen ansässig, von wo aus sie Studienreisen unternahm und sich bis zu ihrem Tod 1971 neben der Malerei verstärkt der Collage widmete.

Besonders interessant erscheint die Frage nach den von Encke von Arnim gewählten und zum Teil experimentell weiterentwickelten künstlerischen Techniken, Kommunikations- und Präsentationsformen nach 1945, die sie flexibel der jeweiligen Lebenssituation anpasste. Bis in die 1930er-Jahre hatte sie einfühlsame, spätimpressionistische und neusachliche Porträts (20, 23, 36, 38-41), Landschaften (immer wieder Pleinair) und städtische Szenen in Aquarell, Kreide, Tusche oder Öl geschaffen, die von einer Betonung der Umrisse und zum Teil expressiver Farbigkeit gekennzeichnet sind. Krankheitsbedingt lange ans Bett gefesselt, begann die Künstlerin 1950, Collagen aus Stoffresten herzustellen und diese in einer Bildermappe an Freunde und Kollegen wie Fritz Kuhr, Werner Wilk und Ewald Mataré zu schicken, um trotz ihrer Immobilität an künstlerischem Austausch teilzunehmen (69-77). In der Folge entstanden Porträts ("Picasso", undatiert <83>), Landschafts- und Tierdarstellungen ("Ohne Titel", undatiert <84>) aus gerissenem, eingefärbten Japanpapier. Diese abstrahierenden Collagen überzeugen, wenn sie die Veränderungen und Materialität der Landschaftsausschnitte betonen, wie in "Spuren im Sand" von 1963, mit eingearbeitetem Sand (93), und "Umgehungsstraße" aus der Zeit um 1965 (92). Durch zahlreiche im Freien entstandene Studien näherte sich Encke von Arnim ihrem Thema, um es schließlich in Form fragmenthafter, formal reduzierter Collagen und Monotypien zu konzentrieren.

Die Bewunderung und Nähe zum Gegenstand ist groß und durchdringt große Teile des Buches. Das macht zwar die dramatischen Wendungen im Leben der Encke von Arnim, die zwei Weltkriege, Machtergreifung, Verdrängung aus der Heimat durchlebte und für ihre künstlerische Betätigung stets kämpfen musste, greifbar, jedoch wünschte man sich insgesamt größeren (kritischen) Abstand. Petra Heymachs Ausführungen sind zum Teil persönlich-essayistisch, oft fehlen Belege, sodass manchmal unklar bleibt, ob die Ansichten der Künstlerin oder die ihrer Enkelin wiedergegeben werden. Birgit Brüns "Annäherungen an das malerische Werk" schließlich bleiben genau das, wenn sie Encke von Arnims Werk attestiert, "dem naturalistischen Blick verhaftet" zu sein, und oberflächlich resümiert, das titelgebende Zitat bezeuge, "dass die Kunst und ebenso das Leben facettenreich und ganz persönlich sind" (107).

Als Programm leuchtet die von den beiden Herausgebern im Vorwort angekündigte "Verzahnung von Kunst und [...] Leben" (2) durchaus ein, denn Encke von Arnims Werke sind nur vor dem Hintergrund des bewegten Lebens dieser beeindruckend beharrlichen Persönlichkeit zu verstehen. Entsprechend wird eine kenntnisreiche Rekonstruktion ihres Lebensweges geliefert. Angesichts der Detailfülle der biografischen Ausführungen aber wäre im Anhang eine tabellarische Auflistung der Lebensstationen Encke von Arnims, ein Verzeichnis der bekannten / erhaltenen Werke sowie eine Liste der Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen förderlich gewesen. Für eine tatsächliche kunstwissenschaftliche Analyse ihrer Arbeiten - und Encke von Arnim selbst wollte vor allem ob ihrer Kunst beurteilt werden - wäre es wichtig, vom jeweiligen Werk auszugehen und aus diesem heraus Fragestellungen zu entwickeln und zu untersuchen.

In der vorliegenden Publikation wird vielfach der umgekehrte Weg beschritten und versucht, Werke aus dem Wesen der Künstlerin heraus zu erklären: So vermutet Dorothea Böhland, dass die zur Zeit der Bombardierungen Berlins entstandenen Bilder, im Gegensatz zu Werken Fritz Kuhrs und anderer, wegen Encke von Arnims "positiver und ausgleichender Art" keine offenkundige Düsternis zeigen (37). Petra Heymach psychologisiert, Encke von Arnim sei mit ihrer Kunst in den 1960er-Jahren "ganz bei sich angekommen" (88). Stattdessen das künstlerische Vorgehen anhand der erhaltenen Werke zu rekonstruieren, kann die Herangehens- und Arbeitsweise und damit das (Selbst)Verständnis der Künstlerin besser erhellen als die Rede von "authentischer" Malweise und der Suche "ihre[s] eigentlichen Stil[s]" (88).

Unabhängig von diesen Kritikpunkten leisten die Herausgeberin und der Herausgeber mit dem Band Pionierarbeit, schließlich gab es bis zu seinem Erscheinen keine Gesamtpublikation über Bettina Encke von Arnim, deren Kunstschaffen in vielerlei Hinsicht eine Entdeckung ist. Mit seinem Bild- und Quellenmaterial und der ausführlichen Lebensschilderung Encke von Arnims legt diese Publikation einen unverzichtbaren Grundstein für die noch zu leistende kunstwissenschaftliche Aufarbeitung ihres Werkes.


Anmerkung:

[1] Renate Berger: "Aufstand gegen die sekundäre Welt" - Die Biografik zwischen fact und fiction, in: Die Wiederkehr des Künstlers. Themen und Positionen der aktuellen Künstler/innenforschung, hgg. von Sabine Fastert / Alexis Joachimides / Verena Krieger, Köln 2011, 293-301, hier 296.

Teresa Ende