Lutz Budrass: Adler und Kranich. Die Lufthansa und ihre Geschichte 1926-1955, München: Karl Blessing Verlag 2016, 704 S., 25 s/w-Abb., ISBN 978-3-89667-481-4, EUR 34,99
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Wer sich mit der Geschichte der Lufthansa beschäftigt, musste bislang mit verkehrs- und technikgeschichtlichen Chroniken vorliebnehmen. Wie kein anderes deutsches Großunternehmen hat die Fluggesellschaft ein eigentümliches Verhältnis zu ihrer Vergangenheit. Sie verdrängte bis vor kurzem vollständig die dunklen Seiten ihrer Geschichte und beharrt darauf, nicht in der Kontinuität des gleichnamigen, 1926 entstandenen und nach dem Zweiten Weltkrieg liquidierten Unternehmens zu stehen. Ihr Verhalten in der Zeit des Nationalsozialismus durch unabhängige Historiker untersuchen zu lassen, kam für die Lufthansa nicht in Betracht.
Umso verdienstvoller ist es, dass der Bochumer Wirtschaftshistoriker Lutz Budrass diese umfassende Geschichte der Lufthansa in der Weimarer Republik und im "Dritten Reich" verfasst hat, die auch die Kontinuitätslinien zur Neugründung des Unternehmens in der frühen Bundesrepublik verdeutlicht. Budrass, der wohl renommierteste deutsche Luftfahrthistoriker, hat schon Ende der 1990er Jahre den Zwangsarbeitereinsatz bei der Lufthansa untersucht. Sein im Auftrag der Fluggesellschaft verfasstes Gutachten blieb damals unveröffentlicht, ein größeres Forschungsvorhaben wollte das Unternehmen nicht finanzieren. Budrass ließ sich dadurch nicht abhalten, die Geschichte der ersten Lufthansa zu untersuchen. Gestützt auf Recherchen in zahlreichen in- und ausländischen Archiven ist ihm ein beeindruckender Wurf gelungen. Zwei Leitthemen des Buchs finden sich im symbolträchtigen Titel wieder: der Adler als Sinnbild für den dominanten Einfluss des Staats und der Kranich, seit den 1920er Jahren das Logo der Fluggesellschaft, als Symbol der Kontinuität zwischen erster und zweiter Lufthansa.
Budrass beschreibt die Rolle der Lufthansa im "Dritten Reich" erstmals ausführlich. Sie ist jedoch, anders als in den mittlerweile zahlreichen Monografien zur Geschichte von Unternehmen im Nationalsozialismus, nicht das zentrale Thema. Budrass geht in der sorgfältig recherchierten, auf eine geradezu überwältigende Flut von Quellen gestützten Studie von einem unternehmenshistorischen Ansatz im engeren Sinn aus. Er fragt nach den Besonderheiten der Lufthansa-Geschichte und legt den Schwerpunkt vor allem auf die Anfänge der Fluggesellschaft in der Weimarer Republik. Vier der insgesamt sieben Kapitel handeln von den Strategien und Konflikten vor 1933. Detailreich wird hier verdeutlicht, wie sehr sich die Gründung und der Aufstieg der Lufthansa mit politischen und militärischen Interessen verbanden. Da die Fluggesellschaft auf staatliche Mittel angewiesen war und sich mehr als 80 Prozent ihres Aktienkapitals im Eigentum der öffentlichen Hand befanden, hatte sie sich nach den Vorgaben des Reichsverkehrsministeriums zu richten. Ernst Brandenburg, der Leiter der Luftfahrtabteilung im Reichsverkehrsministerium, wollte mit der Lufthansa die angeschlagene deutsche Luftfahrtindustrie fördern. Die Reichswehr hatte den Verkehrsflugbetrieb als Basis für eine spätere Luftrüstung im Blick, doch der "Luftfahrtkonsens" (46) in Politik und Öffentlichkeit der Weimarer Republik zielte in erster Linie auf die Rückgewinnung deutscher Weltgeltung. Eine derartige Mission verband sich auch mit dem von Junkers-Pressechef Friedrich Andreas Fischer von Poturzyn geprägten Begriff Luft-Hansa.
Obwohl es der Fluggesellschaft durch skrupelloses Lobbying gelang, die Etatkürzungen während der Weltwirtschaftskrise zu überleben, stand sie nach Budrass' Einschätzung Anfang 1933 vor dem Aus. Die Lufthansa verdankte ihr Überleben Hitler und Göring. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme kam dem Unternehmen eine wichtige Rolle bei der geheimen Luftrüstung zu, und der Technische Direktor der Lufthansa, Erhard Milch, wurde Staatssekretär des Reichsluftfahrtministeriums. Nach der Enttarnung der Luftwaffe begann sich das Blatt zu wenden. Für Göring und Milch hatte nun der Bau von Kriegsflugzeugen und Fliegerhorsten Priorität. Während des Krieges wurden zwei Drittel der Lufthansa-Piloten zur Luftwaffe eingezogen. Das Unternehmen reagierte darauf, indem es sich durch den Ausbau seiner Reparatur- und Kontrollwerkstätten für die Luftwaffe, die Errichtung eigener Frontreparaturbetriebe und die Montage der von Telefunken entwickelten Funkmessgeräte kriegswichtige Fertigungen sicherte. Die Lufthansa wurde zu einem Reparatur- und Montageunternehmen mit angeschlossenem Flugbetrieb.
Mit dieser "Industrialisierung" der Fluggesellschaft nahm der Einsatz von Zwangsarbeitern zu, deren Anteil an der Beschäftigtenzahl Ende 1943 bereits bei über 50 Prozent lag. Darunter befanden sich auch schmächtige Jugendliche, die für die Reparaturarbeiten an verwinkelten Flugzeugteilen besonders geeignet erschienen. Lutz Budrass kann überzeugend belegen, dass der Zwangsarbeitereinsatz bei der Lufthansa Teil eines strategischen Konzepts war. Während Kriegsgefangene und ausländische Zivilarbeiter den meisten deutschen Unternehmen als Ersatz für zur Wehrmacht einberufene Stammbeschäftigte dienten, baute sich die Lufthansa mit der wachsenden Zahl von Zwangsarbeitern ein neues geschäftliches Standbein auf, das ihr die finanziellen Mittel für den Take-off in der Nachkriegszeit einbringen sollte.
In der Geschichte der Lufthansa spiegelt sich auch die der frühen Bundesrepublik wider. Schon bald nach der von den Alliierten erzwungenen Liquidation des Unternehmens entstanden verschiedene Konzepte zur Wiederbegründung einer Fluggesellschaft. Statt einer europäischen Lösung, einem "Schuman-Plan der Luft" (456), setzten sich die Bewahrer der Lufthansa-Tradition durch. Die Weichen für die Gründung der neuen Lufthansa stellten Männer, die bereits an der Gründung der alten Lufthansa entscheidend beteiligt gewesen waren. Die neue Fluggesellschaft entstand als Bundesunternehmen unter der Regie des Bundesverkehrsministeriums, wenn auch ohne die frühere Verbindung mit der Luftfahrtindustrie. Erst in den 1960er Jahren erfolgte eine Neuausrichtung. Die Lufthansa flog nun wirtschaftlich und wandelte sich in den folgenden Jahrzehnten in ein privatwirtschaftliches Unternehmen.
Fast zeitgleich mit Erscheinen dieses Buchs hat die Lufthansa eine seit langem fertiggestellte Chronik des Luftfahrtexperten Joachim Wachtel zur Geschichte des Vorgängerunternehmens veröffentlicht, ergänzt um das bereits erwähnte Gutachten von Budrass über den Zwangsarbeitereinsatz. [1] Das Unternehmen wollte mit diesem merkwürdigen Vorgehen einen Wandel im Umgang mit seiner Geschichte signalisieren. Die Veröffentlichung des illustrierten "Konkurrenzprodukts" hat letztlich jedoch nur bewirkt, dass "Adler und Kranich" in den Medien noch breiter gewürdigt wurde. Die mediale Wahrnehmung richtet sich, wie kaum anders zu erwarten, fast ausschließlich auf die "dunklen Jahre" der NS-Zeit. Doch "Adler und Kranich" bietet mehr. Lutz Budrass untersucht die Geschichte der Lufthansa als eines öffentlichen Unternehmens und verdeutlicht, wie staatliche Interessen hier in unterschiedlichen Systemen übermittelt wurden. Es bleibt zu hoffen, dass diese Erkenntnisse nicht nur in der Fachwelt wahrgenommen werden. "Adler und Kranich" macht es den Lesern freilich nicht leicht. Die Vielfalt der zu Tage geförderten Konzepte und Einflusskräfte ist trotz der Zwischenfazits am Ende jedes Kapitels kaum zu überblicken. Dies mindert aber nicht den bedeutenden Ertrag des Werks, das man als politische Unternehmensgeschichte wie auch als deutsche Zeitgeschichte im Spiegel einer Unternehmensentwicklung lesen kann.
Anmerkung:
[1] Günther Ott / Joachim Wachtel: Im Zeichen des Kranichs. Die Geschichte der Lufthansa von den Anfängen bis 1945, München 2016.
Johannes Bähr