Susanne Taus / Ulrich Winzer (Hgg.): Miteinander leben? Reformation und Konfession im Fürstbistum Osnabrück 1500 bis 1700, Münster: Waxmann 2017, 417 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-8309-3600-8, EUR 59,00
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Dem Landschaftsverband Osnabrücker Land e.V. und namentlich den Herausgebern Susanne Tauss und Ulrich Winzer ist die Konzeption eines schönen Tagungsbandes gelungen, der den größten Teil derjenigen Vorträge dokumentiert, die im Rahmen eines vom 3. bis 5. März 2016 in Osnabrück durchgeführten Kolloquiums gehalten wurden. Drei Referate kamen nicht zur Drucklegung. Das Werk wird ganz gewiss einen besonderen Platz in der Erforschung der Reformation im ehemaligen Fürstbistum Osnabrück erhalten.
Um die Ausbildung konfessioneller Pluralität geht es in dem Band nur vordergründig. Stattdessen steht die übergeordnete Frage des Miteinanders im Kontext dieser neuen Bi- und Mehr-Konfessionalität im Vordergrund. Es geht um Verfahren der Bewältigung religiös-konfessioneller Differenz in der Osnabrücker Vormoderne und damit auch generell um die Frage der Handlungsfähigkeit im Spannungsfeld religiös-konfessioneller Disparität. [1] Wohin schlägt das Pendel aus: zum Konflikt oder zur Konfliktbewältigung, zur Versöhnung, Toleranz, Kooperation, zum Kompromiss, zur Koexistenz, Indifferenz oder Abgrenzung? Das Fürstbistum Osnabrück bildete ja mit seiner konfessionellen Gemengelage, der "Alternativen Sukzession" und der konfessionell tendenziell indifferenten Haltung der Landesherren einen Sonderfall (19).
Die Beiträge befassen sich nicht nur mit dem Zeitraum 1500 bis 1700, sondern schließen vorreformatorische - mittelalterliche - Aspekte sowie die konfessionelle Erinnerungskultur des 19. Jahrhunderts mit ein. Wohl aber bilden das 16. und 17. Jahrhundert die Kernzeit.
Schon die Optik macht deutlich, dass mit Ansprüchen, Erwartungen, Fleiß und Kosten nicht gespart wurde. Insofern versteht sich diese Publikation auch selbst als Beitrag zum 500. Jahrestag der Thesen Martin Luthers vom 31. Oktober 1517. Neben nicht weniger als fünf Grußworten der jeweiligen Repräsentanten aus Politik, Wissenschaft, katholischer und evangelischer Kirche, Landschaft und Landschaftsverband sowie einer Einleitung der beiden Herausgeber umfasst die aufwändig gestaltete Publikation sechszehn wissenschaftliche Aufsätze, ferner ein Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Personenregister, den Bildnachweis - zwischen den Seiten 129 und 184 sind 56 farbige Tafeln eingeschoben - und ein Autorenverzeichnis.
Mit Ausnahme des Tübinger Religionshistorikers Volker Leppin sind alle Autorinnen und Autoren wissenschaftlich in der Geschichte der Stadt und des Landes Osnabrück beheimatet. [2] Bewusst wurde ein interdisziplinärer Zugang gewählt, so dass sich Beiträge von (Frühneuzeit-)Historikern, Theologen und Religionshistorikern, Pädagogen sowie Kunsthistorikern finden.
Obwohl die 16 wissenschaftlichen Untersuchungen - Sektionen und Unterabschnitte wurden nicht eingerichtet - additiv aufeinanderfolgen, ist ein klares chronologisch strukturiertes Konzept erkennbar. In der Einleitung (Susanne Tauss, Ulrich Winzer) wird die Intention der Tagung benannt. Den Herausgebern geht es nicht um eine bloße Bestandsaufnahme der bisherigen Forschungsleistungen, sondern um einen Impuls, der einerseits zu weiteren Forschungen anregen und der andererseits den Diskurs über die Frage des "Miteinander lebens" von Menschen unterschiedlicher religiöser Überzeugungen und Bekenntnisse fördern soll. Insofern ist der Fokus auf die Reformation für die Herausgeber stets auch ein aktueller und kein bloß antiquarischer.
Zunächst geht es in dem Tagungsband in einem lesenswerten, religionshistorisch und -theoretisch fundierten Beitrag um die mittelalterliche und frühneuzeitliche Bikonfessionalität als "erzwungene Koexistenz zweier sich ausschließender Wahrheitsansprüche" (Volker Leppin), anschließend um die Devitio moderna vor der Reformation (Karsten Igel) und um die Anfänge der Reformation mit Gerhard Hecker (Martin H. Jung). Nicht der Quakenbrücker und spätere Lübecker Superintendent Hermann Bonnus, der Osnabrück 1543 reformierte, steht im Fokus des Tagungsbandes (ein eigenständiger Beitrag zu Bonnus findet sich nicht), sondern der Augustiner-Eremit Hecker als "erster Repräsentant des neuen Glaubens in Westfalen und Osnabrück" (89).
Im Folgenden werden die Akteure der Osnabrücker Reformation vorgestellt: die Fürstbischöfe (Siegrid Westphal), das Haus Braunschweig-Lüneburg (Volker Arnke), das Domkapitel und seine Kanoniker (Christian Hoffmann), übrigens eine sehr informative Studie für die Zeit des Mittelalters bis nach dem Westfälischen Frieden, und der Adel (Olga Weckenbrock). Siegrid Westphal arbeitet zwischen "Konfessionalisierung" und "konfessionellem Wildwuchs" (Theodor Penners) einen "dritten Weg" der Friedenssicherung heraus: den pragmatischen Umgang der Konfessionen untereinander (109).
Anschließend befassen sich vier Beiträge mit dem Osnabrücker Land: darin geht es um die Visitation des Albert Lucenius von 1624/25 (Gerd Steinwascher), die Klöster und Stifte, vor allem das Stift Börstel (Renate Oldermann), die Schulen (Monika Fiegert) und das Badberger Simultaneum (Herbert Schuckmann). Mit den Visitationsprotokollen des Albert Lucenius, die Gerd Steinwascher vorstellt und analysiert, liegt die "einzige aus der Zeit stammende flächendeckend ergiebige Quelle" (215) über die jeweilige konfessionelle und religiöse Situation in den einzelnen Gemeinden vor. Die Ausübung und Praxis war enorm vielfältig, "die Gläubigen mit ihren Seelsorgern [machten] es in jedem Kirchspiel, wie sie es wollten beziehungsweise gewohnt waren" (225).
In den letzten fünf Beiträgen geht es um den 1662 erfolgten Umzug des Hochaltars vom Osnabrücker Dom ins Kloster Gertrudenberg (Klaus Niehr), Wallfahrten und Prozessionen (Hermann Queckenstedt), Stiftungen im konfessionellen Zeitalter (Sabine Reichert) und die konfessionelle Erinnerungskultur im 18. und 19. Jahrhundert (Kathleen Burreay, Nadeshda Domke, Manthana Große Harmann-Hölscher, Karina Landwehr). Etwas außer der Reihe steht der Beitrag über Ehe, Haus und Haushalt (Inken Schmidt-Voges), der Forschungsperspektiven thematisiert. Vielleicht wird in diesem Rahmen die Frage beantwortet werden können, wie es zu erklären ist, dass im Osnabrücker Nordland gerade protestantische Kolonen gerne katholische Knechte und Mägde einstellten und katholische Hofbesitzer protestantische?
Dem Tagungsband ist anzumerken, dass in ihm möglichst viele Aspekte der Reformation und der Konfessionen des Fürstbistums Osnabrück - sowohl Stadt wie auch Land Osnabrück - aufgegriffen werden sollten. Darüber hinaus haben die Herausgeber Forschungsdesiderate benannt (20). Noch kompletter aber würde er erscheinen, wenn zumindest ein zusammenfassender Artikel über Städte und Kirchspiele beziehungsweise Beiträge über einige einzelne Städte, etwa Quakenbrück, im Band aufgenommen worden wären, wie es mit Badbergen quellennah und plastisch geschehen ist. Auch die Bildung von Konfessionsgrenzen - Stichwort: "Artland" - hätte eine eigenständige Betrachtung verdient gehabt; ebenso die ländliche Erinnerungskultur im 18. und 19. Jahrhundert - etwa über die Protestantenvereine. So ist zu hoffen, dass hierzu ergänzende Untersuchungen nachgeholt werden. Es spricht für die sehr gelungene und anregende Publikation, dass der Wunsch nach einem zweiten Band aufkommt.
Anmerkungen:
[1] Dazu jetzt: Johannes Paulmann / Matthias Schnettger / Thomas Weller (Hgg.): Unversöhnte Verschiedenheit. Verfahren zur Bewältigung religiös-konfessioneller Differenz in der europäischen Neuzeit (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Universalgeschichte; Bd. 108), Göttingen 2016.
[2] Der Leiter des Osnabrücker Diözesanmuseums Hermann Queckenstedt ist nicht im Bistum Münster, wie es im Autorenverzeichnis steht, sondern im Bistum Osnabrück tätig.
Martin Espenhorst