Franziska Flucke / Bärbel Kuhn / Ulrich Pfeil (Hgg.): Der Kalte Krieg im Schulbuch (= Historica et Didactica. Forschung Geschichtsdidaktik; Bd. 2), St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag 2017, 342 S., ISBN 978-3-86110-630-2, EUR 52,00
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Bärbel Kuhn / Astrid Windus (Hgg.): Geschlechterkonstruktionen. Gender im Geschichtsunterricht, St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag 2017
Ulrich Pfeil: Die "anderen" deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004
Ulrich Pfeil (Hg.): Die Rückkehr der deutschen Geschichtswissenschaft in die "Ökumene der Historiker". Ein wissenschaftsgeschichtlicher Ansatz, München: Oldenbourg 2008
Gemäß Bernd Stöver war der Kalte Krieg "eine weitgehend entgrenzte politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung, die ihre Auswirkungen bis in den Alltag zeitigte." [1] Zu diesem Alltag gehörte die Schule, welche Schülerinnen und Schülern ein gesellschaftlich verfasstes Sinnangebot für vergangene und künftige Lebenswelten unterbreitete. [2] Mittels Lehrplänen und Schulbüchern half die Schule bei der Schaffung jener "imaginären Ebene", auf der sich laut Mary Kaldor die Auseinandersetzung des Kalten Krieges hauptsächlich manifestierte. [3] Die Funktion der Schulbücher als kulturelle Repräsentationen und als "Sozialisationsmedien" machen diese zu jenem interessanten Untersuchungsgegenstand, dem die vorliegende Publikation gewidmet ist. Der von Franziska Flucke, Bärbel Kuhn und Ulrich Pfeil herausgegebene Sammelband vereint 16 Beiträge, die auf eine Tagung zum Thema "Das geteilte Deutschland im Schulbuch" aus dem Jahr 2015 zurückgehen. Deutsche Lehrmittel stehen denn auch im Zentrum der Analysen, ergänzt durch Blickwinkel aus Dänemark, Italien und vor allem aus Frankreich.
Der Band ist in sechs Kapitel gegliedert. Ulrich Pfeil und Bärbel Kuhn führen in die Thematik ein. Ulrich Pfeil zeigt auf, dass sich der Kalte Krieg vom kommunikativen ins kulturelle Gedächtnis zu verschieben scheint. Dies hat zur Folge, dass sich die Narrative über die bipolare Weltordnung - einmal mehr - verändern. Um die "Totalität des Kalten Krieges" verstehen und um nachvollziehen zu können, was durch diesen permanenten "Nicht-Frieden" (Stöver) innerhalb der Gesellschaft ausgelöst wurde, müsse, so Pfeil überzeugend, die Interaktion von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Kultur in den Blick genommen werden. Bärbel Kuhn untersucht für ihren Beitrag deutsche Lehrpläne, verstanden als "normative Vorgaben für den Unterricht und für Schulbuchdarstellungen" (28). Der diachrone Vergleich verdeutlicht, wie sehr der Ost-West-Konflikt mit der "Deutschen Frage" verknüpft wurde, eine Feststellung, die in vielen der Beiträge aufscheint. Bereits in den 1980er Jahren stand indes der Abbau von Vorurteilen im Fokus bundesdeutscher Curricula. In Lehrplänen der 1990er Jahre findet schließlich der Hinweis auf die unterschiedlichen Ebenen Eingang, auf denen sich der Ost-West-Konflikt manifestierte - von der Weltpolitik bis hin zum innerdeutschen Konflikt. Ein Desiderat bleibt selbst in jüngeren Lehrplänen und Lehrmitteln die Thematisierung der "Alltagspräsenz" (37) des Kalten Krieges auf globaler und europäischer Ebene.
Das Kapitel "Schulbuch und Geschichtsunterricht im geteilten Deutschland" umfasst fünf Beiträge. Johanna Bethge rekonstruiert mit Hilfe von Protokollakten des "Allied Kommandantura Education Committees" (AKEC) den Konflikt der Alliierten bei der Neuzulassung von Schulbüchern in Berlin im Zeitraum von 1946 bis 1948, bei dem es vor allem um die Deutungshoheit in Bezug auf die deutsche Vergangenheit ging. Die kulturell-sozialen Differenzen der USA und UdSSR werden an diesem Beispiel anschaulich. Frank Britsche arbeitet detailliert die geschichtspolitisch und ideologisch motivierten Veränderungen der Narrationen und der didaktischen Lernarrangements zum Dreißigjährigen Krieg im Schulgeschichtsbuch der DDR von 1949 bis 1990 heraus. Sabrina Schmitz-Zerres ihrerseits zeigt anhand von zwei Geschichtsbüchern und deren Zulassungsgutachten, wie sich der Kalte Krieg als "Zukunftsnarration" in westdeutschen Geschichtsbüchern nach 1945 abbildete. Diese Narrative, die von den Gutachten nicht selten wegen ihrer "neutralen Darstellung" gelobt wurden, enthielten sowohl die von den jeweiligen Gegenwartsdiskursen beherrschte Vorstellung der friedlichen Wiedervereinigung als auch jene der latenten atomaren Bedrohung. Die Autorin bestätigt die These, dass "Schulbücher über die Kategorie 'Zukunft' eine Verbindung von Didaktik, Politik und Gesellschaft herstellen" (75).
May Jehle analysiert in ihrem Beitrag drei Video-Aufzeichnungen aus einer Ost-Berliner Forschungsschule der "Akademie der Pädagogischen Wissenschaften" (APW) der DDR vom Beginn der 1980er Jahre. Die plausibel als positive Beispiele gelungenen Staatsbürgerkundeunterrichts interpretierten Aufzeichnungen vergleicht Jehle mit der in Lehrmitteln zentralen dichotomen Weltordnung. Sie weist nach, dass das bipolare Weltbild in den Lektionen reproduziert, aber nicht theoretisch hergeleitet wurde. Das repetitive Erfragen von Schlagworten durch die Lehrperson lässt vermuten, dass es dem Staatsbürgerkundeunterricht nicht gelang, "das politisch-ideologische Bewusstsein" (115) der Lernenden zu fördern. Rainer Bendick spricht von einer "Verweigerung der Realität", wenn er in Schulkarten der Lehrmittel der BRD nachweist, dass diese Deutschland lange in den Grenzen von 1937 darstellten. Erst im Kontext der neuen Ostpolitik von Willy Brandt zeigten auch die westdeutschen Kartenbilder nach und nach, was die DDR-Lehrmittel schon in den 1950er Jahren vorweggenommen hatten: Die Oder-Neiße-Linie als deutsche Ostgrenze.
Das dritte Kapitel befasst sich mit dem "geteilten Deutschland in Schulbuch und Geschichtsunterricht der Gegenwart". Barbara Christophe setzt in ihrem interessanten Beitrag Lehrmittel, Interviews zu ambivalenten Textstellen in Geschichtsschulbüchern sowie Lebensgeschichten von interviewten Lehrpersonen aus der ehemaligen DDR und der BRD zueinander in Beziehung. Sie weist nach, wie sehr Deutungen der Zeit von 1945 bis 1989 in Deutschland von der Erinnerung an die nationalsozialistische Vergangenheit, den Haltungen zur deutschen Teilung und der jeweiligen Lesart der Wiedervereinigung geprägt werden. Kai Krüger analysiert die Darstellung der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) in 39 aktuellen Lehrmitteln. Ihn interessiert, inwiefern kontroverse Narrationen und offene Aufgabenformate die Lernenden zum historischen Denken anregen. Dabei kommt er zum Schluss, dass die Bodenreform vorwiegend in Bezug auf Vertreibungen und Mangelwirtschaft diskutiert wurde, was der "negativen Gegenfolie" entspricht, als die die SBZ und DDR in zahlreichen "westlichen" Lehrmitteln erscheinen.
Im Kapitel "Regards croisés" eröffnen die Autorinnen und Autoren eine spannende französische Perspektive auf Deutschland im Kalten Krieg. Franziska Flucke zeigt den starken Wandel der Darstellung der DDR in französischen Deutschlehrmitteln von 1949 bis 1989. Nach einer Phase der "Nichtwahrnehmung" in den 1950er Jahren zeichneten einige Schulbücher, je nach "mentaler Disposition" (217) der Autorenschaft, in den 1960er Jahren ein unkritisch positives Bild des zweiten Deutschlands, während andere Darstellungen ambivalent waren. Nach der offiziellen Anerkennung der DDR durch Frankreich 1973 erschienen beide deutschen Staaten in den Deutschbüchern gleichberechtigt nebeneinander. In einer Umfrage bei Lernenden aus dem Jahr 1978 überwog allerdings die Kritik an der DDR, was zeigt, dass die Lehrmittel nur begrenzten Einfluss auf die Meinungsbildung ausübten. Eine Dekade später boten dann vor allem literarische Texte die Möglichkeit, die gesellschaftliche Realität der DDR differenzierter zu diskutieren. Marie Müller-Zetzsche zeigt, wie die Behandlung der deutschen Teilung in französischen und deutschen Geschichtsbüchern nach 1990 die unterschiedlichen, kulturell geprägten, Diskurse zutage fördern können. Während in französischen Lehrmitteln die Narrationen eher globalgeschichtlich geformt sind, ist in deutschen Lehrmitteln, wie auch von anderen Autorinnen und Autoren hervorgehoben, der Bezug zum Nationalsozialismus zentral. Floriane Perchard weist nach, wie Französischbücher unterschiedlicher Generationen in der DDR als ideologisches Instrument im Kalten Krieg genutzt wurden. Frankreich wurde, relativ konstant, als imperialistisches Gegenbild zur DDR skizziert, geprägt von schlechten Lebensbedingungen, aber mit einer starken kommunistischen Partei.
Das fünfte Kapitel lässt weitere europäische "Blicke von außen" auf den Kalten Krieg zu. Brigitte Morand zeigt anhand einer umfangreichen Analyse französischer Geografie- und Geschichtslehrmittel, wie Frankreich als machtpolitischer Akteur innerhalb der Darstellung des Kalten Krieges in Zeiten "des wachsenden Europaskeptizismus" (284) wieder stärker betont wird, während die nationale Meistererzählung in den 1960er und 1970er Jahren zugunsten einer gesamteuropäischen Perspektive in den Hintergrund gerückt war. Aus einem dänischen Blickwinkel fällt Katja Gorbahn auf, dass das Bild des geteilten Deutschlands in ganz "unterschiedlichen narrativen Zusammenhängen" (300) in aktuellen dänischen Geschichts- und Deutschlehrmitteln reproduziert wird: im Kontext eines globalgeschichtlichen, eines dänemarkzentrierten oder eines deutschlandzentrierten Narrativs. Diese scheinbare Beliebigkeit der Kontextualisierung macht die Analyse des didaktischen Arrangements der Lehrmittel umso zentraler. Auch der Blick aus italienischer Perspektive von Frank Schweppenstette stellt das geteilte Deutschland in den Fokus. Der Autor gelangt zur Einsicht, dass die Lehrmittel nicht viel mehr als einige "politikgeschichtliche Eckdaten" (324) vermitteln.
Die Schlussbetrachtungen von Hans-Joachim Cornelissen sind dem Vergleich deutscher und französischer Lehrmittel gewidmet. Der Autor kommt zum Schluss, dass die französischen Bücher problemorientierter angelegt seien als die deutschen, in denen sich die jüngsten Darstellungen des Kalten Krieges nur wenig von jenen der 1970er und 1980er Jahre unterschieden. Die jüngsten Forschungskontroversen gehörten indes weder in Deutschland noch in Frankreich zum Narrativ aktueller Lehrmittel.
Der vorliegende Sammelband vermittelt dank detaillierten Analysen und unterschiedlichen Blickwinkeln ein facettenreiches Bild der binären Ordnungsvorstellungen des Kalten Krieges im schulischen Kontext. Es zeigt sich, dass Schulbuchanalysen dabei helfen können, die kulturell-soziale Auseinandersetzung des Kalten Krieges besser verstehen zu können.
Anmerkungen:
[1] Bernd Stöver: Der Kalte Krieg. Geschichte eines radikalen Zeitalters 1947-1991, München 2007, S. 21.
[2] Nadine Ritzer: Der Kalte Krieg in den Schweizer Schulen. Eine kulturgeschichtliche Analyse, Bern 2015, S. 51-77.
[3] Mary Kaldor: Der imaginäre Krieg. Eine Geschichte des Ost-West-Konflikts, Berlin 1992.
Nadine Ritzer