Rezension über:

Silvia Diacciati / Lorenzo Tanzini (a cura di): Lo Statuto di San Gimignano del 1255 (= Biblioteca della "Miscellanea storica della Valdelsa"; XXVIII), Florenz: Leo S. Olschki 2016, VI + 163 S., ISBN 978-88-222-6411-4, EUR 28,00
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Rezension von:
Giuseppe Cusa
Historisches Seminar, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Giuseppe Cusa: Rezension von: Silvia Diacciati / Lorenzo Tanzini (a cura di): Lo Statuto di San Gimignano del 1255, Florenz: Leo S. Olschki 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 3 [15.03.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/03/30694.html


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Silvia Diacciati / Lorenzo Tanzini (a cura di): Lo Statuto di San Gimignano del 1255

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Scharen von Touristen strömen alljährlich nach San Gimignano, um durch die Gassen des zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannten historischen Stadtkerns mit seinen zahlreichen mittelalterlichen Geschlechtertürmen zu schlendern. Die auf einer Anhöhe im Elsatal liegende toskanische Kleinstadt besitzt aber nicht nur Bausubstanz, sondern auch mannigfaltige Schriftzeugnisse aus dem medium aevum, darunter die nun erstmals vollständig edierten Kommunalstatuten von 1255 und die ebenfalls erstmalig herausgegebenen statutarischen Ergänzungen von 1292. [1]

Der Edition sind zwei Aufsätze vorangestellt. Im ersten Beitrag (1-21), der zugleich als Einleitung dient, bettet Lorenzo Tanzini die beiden edierten Texte gewohnt sachkundig in ihren historischen Kontext ein. Wie in vielen weiteren italienischen Kommunen hat sich auch im castrum San Gimignano lediglich ein Bruchteil des einstigen Textbestandes erhalten. Ein fortwährender Verschriftlichungsprozess kennzeichnet die kommunale Gesetzgebung - heute verlorene Kodizes wurden vor, zwischen und nach den beiden Texten von 1255 und 1292 angelegt. Bereits vor 1255 wird ein constitutum mehrfach in den erhaltenen Einnahme- und Ausgabenregistern der späten 1220er- und frühen 1230er-Jahre erwähnt, etwa um die für den Kauf der für die Herstellung eines Statutenkodex benötigten Materialien oder die in den Statuten fixierten Lohnzahlungen abzurechnen (3-5). [2]

Der im August 1255 angelegte Kodex, das älteste vollständig erhaltene toskanische Exemplar, das nicht chronologisch, sondern thematisch gegliedert ist, entstand offenbar als Reaktion auf eine im Mai desselben Jahres erfolgte Anfrage aus Florenz (6). Andere rechtsverbindliche Schriften waren nachweislich parallel in Gebrauch (9, 11), so fehlen etwa die andernorts aufgezeichneten Eide der capitanei et rectores Populi (46f.: I,3). Die in den Additamenta von 1292 enthaltenen Änderungen, Ergänzungen und Streichungen - nicht auf den Blättern eines älteren Kodex, sondern separat auf einem Papierfaszikel notiert - dokumentieren, dass die Redaktion von 1255 derweil von einer anderen abgelöst worden war (11f.). Weitreichende Änderungen lassen sich im wesentlich umfangreicheren, aber nur fragmentarisch erhaltenen Statutenkodex von 1314 [3] ausmachen, in dem sich ältere Rubriken fast durchweg umsortiert und vielfach umformuliert wiederfinden (12-18).

Enrico Faini liefert anschließend (21-40), die archivalische wie handschriftliche Überlieferung betrachtend, einen umsichtigen Überblick über das normative Schriftgut toskanischer Kommunen von der Konsular- bis in die Podestàzeit, also vom 12. bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts. Die komparative Betrachtung kodifizierter Normen aus Volterra, Pisa, Pistoia, Siena, Florenz, Lucca und Arezzo (22-30) zeigt, dass die frühe Überlieferung oftmals verstreut und selten in Kommunalarchiven auf uns gekommen ist. Man begann normative Bestimmungen, spätestens ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, scheinbar gleichzeitig mit Privilegien, Rechten und Verträgen aufzuzeichnen und zu sammeln (32-35). Im Italien der Kommunen bestanden ferner verschiedentlich privatrechtliche Vorschriften parallel zu und unabhängig von Statutenkodizes und libri iurium (35-37). Diese Differenzierung verschiedener "normativer Nuklei" ("nuclei normativi") könnte indes bereits in der Konsularkommune vorhanden gewesen, das zuweilen komplexe Nebeneinander normativer Schriften daher bereits für das 12., nicht erst für das 13. Jahrhundert zu konstatieren sein (38f.). Dies könnte, so die Hypothese, Indiz eines "normativen Polyzentrismus" ("policentrismo normativo") unterschiedlicher Gruppen innerhalb einer Kommunalgemeinschaft sein (39f.).

Constitutum wie additamenta sind in ihren originären Handschriften überliefert. Die Kommunalstatuten von 1255, von denen mehrere Abschriften angelegt wurden (64: II,45), beginnen mit einem Proömium, in dem unter anderem die mit der Statutenredaktion betrauten 12 capitanei und rectores und 4 sapientes namentlich genannt sind (43). Sie sind in 4 Bücher unterteilt: Das erste Buch (44-71) behandelt die Amtsträger, weist freilich Redundanzen auf, da ein Amt nicht kompakt, sondern Wahl, Eid und Lohn vornehmlich getrennt abgehandelt werden. Auffällig sind Archaismen, etwa die noch nicht objektiv formulierten Amtseide. Das zweite (71-88) und das dritte Buch (88-112) widmen sich dem Zivil- respektive dem Strafrecht, das vierte (112-143) enthält Bestimmungen verschiedenster Art.

Die Gesetze sind nummeriert und rubriziert, was die Benutzung erleichterte. Einige Bestimmungen, die sogenannten capitula precisa, waren zudem unveränderlich und in die folgenden Statutenredaktionen zu übernehmen (z.B. 118: IV,22). Wenige Rubriken enthalten Jahreszahlen (84f.: II,44; 86: II,50) oder verweisen auf bestimmte rezente Ereignisse (z.B. 117: IV,19) und lassen daher Rückschlüsse auf ihre Entstehung zu. Wie schon Tanzini anmerkt (1), steckt bereits Rubrik I,1 die wesentlichen politischen Koordinaten der Kommune San Gimignano ab, werden einleitend doch neben Gott, der Muttergottes, dem Stadt- und weiteren Heiligen auch der Bischof von Volterra und die Kommune Florenz angerufen (44). Im ausgehenden 12. Jahrhundert hatten sich die Burgbewohner in einer Schwureinung zusammenschließen und die Herrschaft des Volterraner Bischofs abstreifen können, dessen kirchlicher Jurisdiktion man allerdings noch unterstand; auch war der Einfluss vom nahegelegenen Florenz, wie bereits erwähnt, schon spürbar. Auffallend ist indes, dass die auch in San Gimignano virulenten Auseinandersetzungen zwischen Guelfen und Ghibellinen in den Kommunalstatuten ausgeblendet werden.

Die Edition sowohl der Statutenredaktion von 1255 (43-143) als auch der Additamenta von 1292 (155-163) ist gelungen, denn man muss schon sehr genau hinschauen, um Fehler grafischer (z.B. 92: nicht hochgestellte Fußnotenzahl) oder orthografischer Art (z.B. 60: exbannitroum statt exbannitorum; 116: Geminianiano statt Geminiano) zu entdecken. Der Statutenredaktion ist zur erleichterten Konsultation das beigegeben, was sich bereits in so manchem kommunalen Statutenkodex findet: ein Rubrikenverzeichnis (145-153). Allerdings sind die auf den Beginn der 4 Bücher verweisenden Seitenangaben falsch, da durchweg zu hoch (145f., 148, 150).

Der Band erhellt einerseits und regt andererseits an, weiter zu fragen, wie die mittelalterliche Kommunalgemeinschaft ihr Zusammenleben ordnete und gestaltete. Vereinzelt erahnt man indes, bei aller gebotenen Vorsicht, die hinter der Rechtsnorm stehende Lebenswirklichkeit: So war es führenden Amtsträgern untersagt, sich dem Glücksspiel hinzugeben (120: IV,33), blieb das Duell zur Konfliktlösung weiterhin gestattet (75: II,8) oder sollten Schweine doch bitte nicht frei im castrum herumlaufen, sondern angeleint oder eingesperrt bleiben (99: III,34).


Anmerkungen:

[1] Die Statutenredaktion von 1255 war bisher bloß in Auszügen gedruckt in Luigi Pecori: Storia della terra di San Gimignano, Florenz 1853, 662-741.

[2] Vgl. San Gimignano. Fonti e documenti per la storia del Comune, Bd. I: I registri di entrata e uscita 1228-1233 (= Deputazione di Storia patria per la Toscana. Documenti di storia italiana; Ser. 2, 13), hg. v. Oretta Muzzi, Florenz 2008.

[3] Vgl. Gli albori del comune di San Gimignano e lo statuto del 1314 (= Documenti di storia; 13), hg. v. Mario Brogi, Siena 1995.

Giuseppe Cusa