Anja Bittner: Eine königliche Mission. Der französisch-jakobitische Invasionsversuch von 1708 im europäischen Kontext (= Schriften des Frühneuzeitzentrums Potsdam; Bd. 6), Göttingen: V&R unipress 2017, 279 S., ISBN 978-3-8471-0737-8, EUR 45,00
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Herman J. Selderhuis / Frank Günter (Hgg.): Melanchthon und der Calvinismus, Stuttgart / Bad Cannstadt: Frommann-Holzboog 2005
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Kai Bremer: Religionsstreitigkeiten. Volkssprachliche Kontroversen zwischen altgläubigen und evangelischen Theologen im 16. Jahrhundert, Tübingen: Niemeyer 2005
Nach der Glorious Revolution und der Exilierung der katholischen Stuart-Dynastie wurde eine mögliche jakobitische Restauration zu einem der großen Themen der britischen Politik des 18. Jahrhunderts. Obwohl die realen Restaurationsversuche allesamt schnell scheiterten, war doch die Angst (oder Hoffnung) davor omnipräsent. Diese Versuche wurden vom Exilhof der Stuarts getragen, aber auch von schottischen, irischen und englischen Jakobiten. Unterstützt wurden sie in der Regel durch die französische Krone. Die Strategie, die diese Akteure verfolgten, war eine Invasion in Schottland vom Meer aus. Diese sollte durch Unterstützer in Schottland aufgenommen und verstärkt werden. Das konkrete Ziel war entweder die Restitution einer schottischen Stuart-Monarchie oder die Rückgewinnung ganz Großbritanniens für die Stuarts.
Während die für die schottische Identität bis heute zentralen Invasionsversuche von 1715 und 1745 einigermaßen gut untersucht sind, gilt dies weniger für die Ereignisse von 1719 und 1708. Dabei sind auch die Geschehnisse vom Winter und Frühjahr 1708 nicht nur eine pittoreske Abenteuergeschichte, sondern auch politisch hoch relevant. In ihrer Potsdamer Dissertation rekonstruiert Anja Bittner diese Geschehnisse relativ kleinteilig: Seit 1705 knüpfte Ludwig XIV. über seinen Agenten Nathaniel Hooke Kontakte in Schottland; im Spätherbst 1707 begannen in Dünkirchen Aufrüstungen für eine Invasion, die zur Loslösung Schottlands aus der gerade beschlossenen Union und zur Stuart-Restauration in England führen sollte. Das Ergebnis war eine ansehnliche Flotte unter Führung des die Erfolgschancen selbst skeptisch einschätzenden französischen Admirals Forbin, deren Existenz den Alliierten nicht verborgen blieb. Dicht gefolgt von der englischen Flotte, gelangten die Invasoren bis zum Firth of Forth, wurden aber dort aufgehalten. Die Invasion hatte sich als Fehlschlag erwiesen. Aber, wie Bittner urteilt, sie war nicht von Beginn an zum Scheitern verurteilt, sondern "ein wohlüberlegtes, lange geplantes und relativ gut organisiertes Unternehmen, das fast Erfolg gehabt hätte" (246). In jedem Fall, so könnte man hinzufügen, nahm die britische Regierung die sukzessive eintreffenden Informationen über den Invasionsversuch ausgesprochen ernst. [1]
Die überzeugende narrative Rekonstruktion des Invasionsversuchs findet sich im letzten Teil des Buches. Die beiden vorhergehenden Großabschnitte dienen dazu, die Ereignisse von 1708 breit zu kontextualisieren, und zwar in mehrere Richtungen. Bittner versucht einerseits, 1708 in einen langfristigen Kontext einzuordnen (nämlich in die trilaterale Beziehungsgeschichte Englands, Schottlands und Frankreichs seit dem Mittelalter), und andererseits die unmittelbare Vorgeschichte von der Glorious Revolution über den Spanischen Erbfolgekrieg bis hin zur englisch-schottischen Union von 1707 zu rekonstruieren.
Sowohl die Darstellung der Ereignisse von 1708 als auch deren Kontextualisierung haben allerdings mit dem Umstand zu kämpfen, dass 2015 - als Bittner ihre Arbeit schon fast abgeschlossen hatte - eine Untersuchung zum selben Thema erschienen ist. [2] Daniel Szechi, einer der renommiertesten Erforscher des Jakobitismus, hat dort sehr eingehend - und auf sehr viel breiterer Quellenbasis - den Invasionsversuch von 1708 dargestellt. Szechi vertritt die These, dass dieser eine unmittelbare Reaktion auf die englisch-schottische Union war und im Erfolgsfalle die britische Geschichte grundlegend verändert hatte - eine These, die auch Bittner teilen würde. Bittner nennt Szechis Buch zwar, konnte sich aber nicht mehr eingehend mit ihm auseinandersetzen. Insofern, und dies ist Bittners Buch nicht anzulasten, wirkt ihre Darstellung in Themenwahl und Durchführung nicht mehr so originell, wie sich dies zu Beginn der Arbeit dargestellt haben muss.
Ein echtes Problem aber ist die Breite von Bittners Kontextualisierung. Ist es wirklich nötig, zum Verständnis der Geschehnisse von 1708 die Beziehungs- und Wahrnehmungsgeschichte Englands, Schottlands und Frankreichs seit dem Mittelalter nachzuzeichnen? Denn diese ist zwar für sich gesehen interessant, aber doch nur locker mit 1708 verbunden. Die aus der Literatur zusammengetragene Darstellung ist gleichzeitig zu oberflächlich, als dass sie für sich stehen könnte. Bittner stellt hier die religiösen, politischen, auch ökonomischen Faktoren der englisch-französischen Feindschaft seit dem Mittelalter heraus; sie zeichnet das Verhältnis von England und Schottland nach, das in der ungeliebten und doch politisch so wichtigen Union von 1707 gipfelte; sie skizziert die schottisch-französische Auld Alliance, die im 16. Jahrhundert ihren Höhe- und Endpunkt erlebte, aber auch um 1700 noch eine spezifische Nähe konstituierte.
Den Jakobitismus definiert Bittner im Einklang mit der jüngeren Forschung: nicht als rein katholische Widerstandsbewegung, sondern als eine mögliche Option für die schottischen Eliten, innerhalb derer verschiedene Akzente gesetzt werden konnten. Die verschiedenen dynastischen, legitimistischen, politischen und religiösen Interessen ließen sich kaum widerspruchsfrei integrieren, sondern stellten eher ein Reservoir möglicher Argumentationen bereit.
Die spezifischeren Kontextualisierungen der Zeit um 1700 sind also recht überzeugend oder doch zumindest anregend; dies gilt etwa für Bittners Darstellung der Motive Ludwigs XIV., den sie zwischen Machtpolitik und genuin religiösen Motiven changieren sieht. Im Kontext des Spanischen Erbfolgekriegs, so könnte man vermuten, waren allerdings Ludwigs Motive vor allem militärischer Art: Der Unterstützung für die jakobitische Invasion von 1708 dürfte in erster Linie die Hoffnung zugrunde gelegen haben, britische Truppen vom Kontinent abzuziehen - und so weniger eine Stuart-Restauration einzuleiten als die Alliierten auf dem Kontinent zu schwächen.
Im Ergebnis heißt dies: Bittner hat sich ein für die Geschichte des Spanischen Erbfolgekriegs, der britischen Geschichte des 18. Jahrhunderts und auch der britisch-französischen Beziehungsgeschichte einschlägiges und attraktives Thema vorgenommen. Obwohl sie oft wichtige Beobachtungen macht, geht die Untersuchung doch eher in die Breite als in die Tiefe. Die Struktur der (insgesamt eher kurzen) Arbeit überzeugt nicht; die analytische Schärfe leidet unter dem großflächigen thematischen Fokus. Angesichts der Forschungslage ist es also begrüßenswert, dass Bittner sich den Geschehnissen von 1708 zuwendet - doch ganz kann ihr Buch nicht überzeugen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. die vielen Hinweise in: Pohlig, Matthias, Marlboroughs Geheimnis. Strukturen und Funktionen der Informationsgewinnung im Spanischen Erbfolgekrieg, Köln / Weimar / Wien 2016.
[2] Szechi, Daniel, Britain's Lost Revolution? Jacobite Scotland and French Grand Strategy, 1701-8, Manchester / New York 2015.
Matthias Pohlig