Daniela Münkel / Henrik Bispinck (Hgg.): Dem Volk auf der Spur. Staatliche Berichterstattung über Bevölkerungsstimmungen im Kommunismus. Deutschland - Osteuropa - China (= Analysen und Dokumente; Bd. 50), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018, 270 S., 6 s/w-Abb., 15 Tabl., ISBN 978-3-525-35127-7, EUR 20,00
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Bernd Florath (Bearb.): Die DDR im Blick der Stasi 1964. Die Geheimen Berichte an die SED-Führung (= Die DDR im Blick der Stasi. Die geheimen Berichte an die SED-Führung), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017, 320 S., 5 s/w-Abb., 3 Tabl., ISBN 978-3-525-37508-2, EUR 30,00
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Bernd Florath (Hg.): Die DDR im Blick der Stasi. Die geheimen Berichte an die SED-Führung 1968, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018
Bernd Florath (Hg.): Annäherungen an Robert Havemann. Biographische Studien und Dokumente, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016
Henrik Bispinck / Katharina Hochmuth (Hgg.): Flüchtlingslager im Nachkriegsdeutschland. Migration, Politik, Erinnerung, Berlin: Ch. Links Verlag 2014
Der von Daniela Münkel und Henrik Bispinck herausgegebene Sammelband geht auf eine Berliner Konferenz zurück, die 2014 Gehalt und Aussagekraft der in einem Großprojekt edierten geheimen Stimmungsberichte der ostdeutschen Staatssicherheit diskutierte. Die präsentierten Beiträge führen die Debatte über die reinen Erzeugnisse des MfS hinaus. Ihr zweiter regionaler Schwerpunkt liegt auf Osteuropa. Dabei spiegeln die verschiedenen Aufsätze zum Teil nicht nur die unterschiedliche Verfügbarkeit des Quellenmaterials wider, sondern lassen auch Diskrepanzen im jeweiligen nationalen Forschungsstand erkennen. Das im Untertitel erwähnte China taucht leider nur in einem komparativen Beitrag auf, dessen politikwissenschaftlicher Zugriff leitende Fragestellungen der historischen Analyse nur zum Teil aufgreift. In der Summe fächern die Darstellungen zur Berichterstattung verschiedener kommunistischer Geheimapparate sowohl die Palette quellenkritischer Herausforderungen als auch das Spektrum der Themenfelder und Fragestellungen, für die derlei Quellen mit Gewinn herangezogen werden können, weiter auf. So beschränkten sich die verschiedenen geheimdienstlichen Berichterstatter keineswegs durchgängig darauf, Stimmungen wiederzugeben. Mitunter verstanden sie sich nur als detailgenaue Chronisten oder sie lieferten, ins andere Extrem verfallend, auch ungefragt vermeintlich kenntnisreiche Kommentare zu Ereignissen und Entwicklungen aller Art.
Der Band verdeutlicht damit die generell enorme Bandbreite möglicher Aufgabenfelder des geheimdienstlichen Berichtswesens sowie die potentielle Vielfalt von Vorgaben und Reaktionen der Adressaten. Die sowjetische Politik beispielsweise ließ in den 1920er und 1930er Jahren gezielt nach negativen Phänomenen und Äußerungen im Land suchen. Diese waren in der Berichterstattung zugleich, ganz im Sinne der ständigen Suche nach dem Feind, sozialen Klassen bzw. ethnischen Kollektiven zuzuordnen. Ulbricht dagegen verbat sich 1957 Sammlungen, die unter dem Stichwort "Hetze gegen Ulbricht" kritische Aussagen der Bevölkerung über den Generalsekretär zusammentrugen und diese auch seinen parteiinternen Gegnern zur Verfügung stellten. Schließlich demonstriert der Band, dass die Informationssammlung mit nachrichtendienstlichen Mitteln, also mithilfe verdeckter Informanten, Lauschangriffe oder Postzensur, nicht den einzigen Versuch darstellte, sich über des Volkes tatsächliche Ansichten Klarheit zu verschaffen. Das geheimdienstliche Material wurde unter anderem durch parteiamtliche Erhebungen, Polizeiberichte, Analysen des Eingabe- und Petitionswesens oder durch staatlich initiierte und kontrollierte Meinungsumfragen zum Teil ergänzt, zum Teil ersetzt. Dass ein Offizier der polnischen Staatssicherheit 1979 für seine Promotion die Arbeiter eines Betriebs fragte, für welche Partei sie bei freien Wahlen stimmen würden [!], stellt hier nur ein, allerdings ein besonders originelles Beispiel dar. Gleichfalls in Polen verloren die Berichte der Staatssicherheit übrigens zunehmend an Bedeutung: Im Warschau der 1980er Jahre versprach man sich von sozialwissenschaftlich informierten Analysen mehr Substanz. Dagegen hatte sich in Ost-Berlin schon Ulbricht an wissenschaftlich begründeten Abwägungen oder Uneindeutigen bestallter ziviler Analysten immer gestört.
In der Kombination demonstriert der Band eindrucksvoll, dass es keinen Königsweg für die Analyse der spezifischen nachrichtendienstlichen Quellen und ihrer Konkurrenzprodukte gibt. In der konkreten Lektüre sind, um nur einige wichtige Aspekte zu nennen, neben dem zeitgenössischen Verhältnis zwischen Absender- und Empfängerinstanzen, der dynamischen Rückkopplung mit machtpolitischen Netzwerken und Konstellationen, der Quantität sowie Qualität des seinerzeitigen Ausgangsmaterials und der damaligen Analysten, den Berichtstypen und -perioden die Bedeutung offizieller und interner Vorgaben und Sprachregelungen zu beachten. Berichtslücken können politisch brisante Leerstellen markieren. Sie können allerdings auch einfach auf Personalmangel oder auf Papierknappheit zurückzuführen sein. Dichtere Berichterstattungen mögen eine größere Nähe der Informanten zu den erforschten Objekten oder eine bemühte Professionalisierung der Analysten auf nach wie vor unsicherem Grund signalisieren. Hinter politischen Aussagen von Meldungen steht zum Teil die aus Unterwürfigkeit erwachsene Absicht mittels vorgespielter besonderer Loyalität, diese den Vorstellungen der Empfänger anzupassen, zum Teil der Versuch, Informations- und Nachrichtenpolitik zugunsten eigener individueller, bürokratischer oder politischer Ziele zu betreiben. Derlei Ambivalenzen und Mechanismen traten auf allen Stufen des Berichtswesens auf. Sogenannte Rohmeldungen von V-Leuten waren nicht selten durch deren besondere Systemnähe kontaminiert. Auf der nächsthöheren Stufe bestimmten manches Mal Grenzen des politisch-ideologisch Sagbaren oder das Bestreben, Kritik ausschließlich als Minderheitenphänomen erscheinen zu lassen, die Inhalte.
Solch tendenzielle Einfärbungen finden sich in Innenansichten kommunistischer wie auch in Außenperspektiven westlicher Geheimdienste. Offenbar handelt es sich hier um quasi genretypische, lagerunabhängige Probleme der Aktivitäten von Nachrichtendiensten im Kalten Krieg. Tatsächlich litten die Überblicke westdeutscher Geheimapparate über Meinungen in Ostdeutschland spiegelbildlich an der betonten Systemferne ihrer Informanten oder an dem Bestreben, im Einklang mit Vorstellungen der ersten Regierungen in Bonn Schwachstellen der DDR-Herrschaft sowie die Richtigkeit der westdeutschen Unversöhnlichkeit nachzuweisen.
In der Summe machen neben spannenden Details zu Formen und Interessen, Möglichkeiten und Grenzen der entsprechenden Stimmungserhebungen vor allem die quellenkritischen und methodischen Überlegungen und Perspektiven die Qualität des Sammelbands aus. Die Einsichten lassen sich bei der Lektüre der Jahresbände des eingangs erwähnten Editionsprojekts nutzen.
Die Reihe "Die DDR im Blick der Stasi" hat zunächst Bände für besonders relevante Jahre der DDR-Geschichte in Angriff genommen. Die Produktion der MfS-Zentrale ist, soweit in den Archiven überliefert, online verfügbar. [1] Die gedruckten Publikationen bieten mit knapper Kommentierung und ohne weitere Register eher einen ersten Überblick über Themenfelder und Höhepunkte des jährlichen Berichtswesens. Damit können sie nicht zuletzt für die universitäre Lehre einen Einstieg in die Zeitabschnitte und ihre Problematiken aus ostdeutscher Sicht bieten. Für eine eingehendere Beschäftigung mit den entsprechenden Perioden und Fragen wird man sicherlich auf die online-Versionen zurückgreifen.
Die Berichte für 1964 dokumentieren für die DDR eine Zeit der Ungewissheit und des nur "halbherzigen Aufbruchs", in der Modernisierungstendenzen mit starken Gegenkräften konfrontiert waren. Der Band, von Bernd Florath präzise eingeleitet, bringt das breite Spektrum an Themen zu Bewusstsein, zu denen sich das MfS zu Wort meldete. Sie reichen vom Pfingsttreffen der gesamtdeutschen Jugend über Probleme des ostdeutschen Spitzensports bis zum Umgang mit Robert Havemann, von einzelnen Grenzzwischenfällen bis zu Bilanzen und Verhandlungen der Passierscheinabkommen. Die abgedruckten Dokumente zeigen exemplarisch die Vielfalt von Perspektiven und Aspekte, für deren Untersuchung man derlei Berichte als Quellen heranziehen kann. Es finden sich Beispiele für offizielle Sprachregelungen bei unliebsamen Erscheinungen. Dokumente beleuchten die Zusammenarbeit zwischen MfS und KGB. Andere lesen sich als Beiträge zur Repressions- oder zur Sportgeschichte, thematisieren den gesellschaftlichen Umgang mit Fällen von sogenannter Republikflucht oder die ostdeutsche Bewertung der turbulenten Deutschlandpolitik von Nikita Chruščev. Andere Texte sind für Diskussionen des Zustands der DDR-Infrastruktur oder für die Entwicklung von Fremdenfeindlichkeit im Sozialismus von Belang. Wiederum andere Berichte schließlich vermitteln Einblicke in das Selbstverständnis des MfS, indem sie die Empfindlichkeit der ostdeutschen Tschekisten gegenüber Kritik zur Sprache bringen. Offenkundig wird die DDR-Forschung an diesen Stimmungsberichten auch weiterhin nicht vorbeikommen, wobei sie sich deren komplexen methodischen Herausforderungen jedes Mal neu stellen muss.
Anmerkung:
Andreas Hilger