Benjamin R. Gampel: Anti-Jewish Riots in the Crown of Aragon and the royal Response, 1391-1392, Cambridge: Cambridge University Press 2016, XII + 378 S., ISBN 978-1-107-16451-2, USD 96,00
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Die antijüdischen Ausschreitungen, die in den Jahren 1391/92 fast die gesamte iberische Halbinsel erfassten, sind zwar in zahlreichen Publikationen aufgearbeitet, den Gebieten der aragonesischen Krone waren bislang jedoch nur Einzelstudien gewidmet. Mit dem vorliegenden Buch hat Benjamin Gampel daher eine wichtige Forschungslücke geschlossen.
Der erste Teil des Buches steht unter dem Motto the things as they happened, ein Zitat des aragonesisch-jüdischen Gelehrten und Zeitzeugen der Pogrome, Hasdai Crescas (ca. 1340-ca. 1410). In ihm zeichnet Gampel akribisch den Verlauf der Ausschreitungen nach: In sieben Unterkapiteln werden die Abläufe der Ausschreitungen in Stadt und Königreich Valencia, auf Mallorca, in Barcelona, Girona und im restlichen Katalonien sowie im Königreich Aragon in großem Detailreichtum beschrieben. Ein Hauptwert der Arbeit Gampels ist in der umfassenden Aufarbeitung des umfangreichen und teilweise bislang unerschlossenen Quellenmaterials zu sehen; dass seine ereignisgeschichtliche Grundlage weitgehend ohne übergreifende Fragestellungen auskommt, ist dennoch bedauerlich. Demzufolge fällt auch der epilogue des ersten Teils (185-189) relativ knapp aus: einheitliche Motivationen der christlichen Angreifer lassen sich nicht feststellen, während sich die Vorgehensweisen der städtischen Beamten, vor allem die Beschuldigung stadt- bzw. regionsfremder Personen als Initiatoren der Ausschreitungen, sehr stark ähneln. Die vielfältigen, in den einzelnen Überblicken kurz angesprochenen Themen, etwa die Bedeutung der königlichen Kastelle als Zufluchtsort, die Eigendynamik der Ausschreitungen sowie Verbindungen mit früheren Pestpogromen, hätten vor allem deshalb eine genauere Analyse verdient, weil ein Großteil davon im zweiten Hauptkapitel nicht mehr aufgegriffen wird. Begrüßenswert hingegen ist Gampels Mitberücksichtigung der Gewaltaktionen gegen die muslimische Bevölkerung; dass diesbezügliche Aspekte weniger in den Fokus rücken, als man sich für das Verständnis mancher Zusammenhänge wünschen würde, ist dem Autor mit Hinblick auf das (Haupt-)Thema des Werkes nicht vorzuwerfen. Das Fehlen einer umfassenden Untersuchung zu den anti-muslimischen Ausschreitungen betont Gampel wiederholt.
Im zweiten Teil des Buches widmet sich Gampel der Frage nach der royal response, genauer den (Re-)Aktionen König Joans, seiner Frau Iolant, seines Bruders Herzog Martί und dessen Frau Maria. Im Gegensatz zu dem minderjährigen König Kastiliens, Enrique III., der den Ausschreitungen in seinen Herrschaftsgebieten weitgehend hilflos gegenüberstand, hätten Joan mit der durchaus effizienten Verwaltung der Krone Netzwerke zur Verfügung gestanden, die die Ausschreitungen vielleicht nicht verhindern, aber dennoch eindämmen hätten können. Die Judenpolitik Joans war aber stets zwiespältig: während sein Vater, der 1387 verstorbene Pere IV., ihm die wirtschaftliche Bedeutung der jüdischen Bevölkerung stets näherzubringen versuchte, griff Joan in seinem Selbstbild als Verteidiger des christlichen Glaubens immer wieder Missionsbestrebungen auf, erhob Hostienschändungsvorwürfe und konnte sich lange nicht zur Verurteilung der Zwangstaufe durchringen. Lediglich in aktuell machtpolitischen Zusammenhängen, wie etwa dem (versuchten) Ausgreifen der päpstlichen Inquisition (205), bezog er klar eine "projüdische" Haltung. Ausgesprochen detailliert analysiert Gampel Joans Korrespondenz, in der seine Jagdleidenschaft, die Freude an ausgiebigen Festmählern und die Sorge um seine schwangere Frau mit seiner Absicht, sich selbst zur Durchsetzung der Maßnahmen in die betroffenen Gebiete zu begeben, konkurrierten: es entsteht das faszinierende Bild eines Königs, dessen Politik vor allem an der Unfähigkeit to prioritize his competing interests with any success (245) scheiterte.
Königin Iolant und Joans Bruder Martί, denen zwei Unterkapitel (271-314; 315-351) gewidmet sind, zeigten als bereits geübte Verwalter größere Bereitschaft, sich aktiv der Ausschreitungen anzunehmen. Iolant, die sich wiederholt gegen die Zwangstaufe als Maßnahme aussprach, setzte von Beginn der Pogrome auf planvolle Maßnahmen zum Schutz der jüdischen Gemeinden. Gründe für das dennoch weitgehende Fehlschlagen ihrer Politik werden von Gampel jedoch nur stichweise analysiert: lediglich der Abkehr von ihren public und Hinwendung zu ihren private responsibilities (i.e. ihre Schwangerschaft bzw. Sorge um ihre kränkelnde Tochter) wird breiterer Raum gewidmet, während Aspekte wie z. B. der mangelnde Informationsfluss an die Königin (296) nur marginal thematisiert werden. Das Interesse Herzog Martίs und seiner sizilianischen Frau an einer raschen Befriedung lag vor allem in der geplanten Expedition nach Sizilien begründet, deren Finanzierung und Durchführung sie nicht gefährdet wissen wollten. Uneinigkeiten über die Maßnahmen - etwa Fragen nach angemessener Bestrafung der Täter oder (Zwangs)Konversion als geeignetes Mittel der Befriedung - behinderten darüber hinaus ein effektives Vorgehen.
Gampels über die Quellendarstellung hinausgehende Erklärungsmodelle bleiben auch in der conclusion (352-355) enttäuschend oberflächlich - Fragen nach den Ursachen der Ausschreitungen werden nicht gestellt, Vergleiche mit anderen Herrschaftsgebieten nur kurz angesprochen (Kastilien, 353). Während die Aufarbeitung des Quellenmaterials nicht hoch genug gewürdigt werden kann, stellt dieser Quellenreichtum in gewisser Weise auch die Schwachstelle des Buches dar: zu leicht verliert man sich in den Details im Haupttext, während themenrelevant(er)e (Quellen)Texte teilweise nur in den umfangreichen Fußnoten zu finden sind - manchmal würde man sich fast eine Volledition der Texte anstatt der "Nacherzählung" durch Gampel wünschen.
Die abschließende Analyse (352f.) wirkt ein wenig repetitiv. Vielleicht ist Gampel jedoch damit Unrecht getan, vielleicht ist das Scheitern der Maßnahmen wirklich in Iolants Gesundheit, Martίs pursuit of nautical recruits und vor allem in Joans Sorgen um seine schwangere Frau und seinen kranken Jagdhund zu sehen. So mag der auf dem Vorblatt (ii) abgebildete Brief Joans an seinen Falkner, in dem der Zustand der Jagdfalken breiteren Raum einnimmt als die antijüdischen Ausschreitungen, als Motto gedacht sein - aber auch diese Schlussfolgerungen hätte man sich ein wenig ausführlicher analysiert (nicht nur beschrieben) gewünscht. Viele Aspekte, wie etwa die rein administrativen Grenzen des königlichen Schutzes (353), hätten mehr als eine bloße Erwähnung verdient.
Bei aller Kritik hat Gampel aber gerade für zukünftige Bearbeitungen solcher Fragestellungen eine immens wichtige Grundlage geschaffen, deren großem Wert einige kleine Ungenauigkeiten - der abwechselnde Gebrauch spanischer und englischer Namensformen, z. B. Mallorca/Majorca, oder die Bezeichnung von Joans Nichte als daughter of his son (statt Bruders, 109) - keinen Abbruch tun.
Birgit Wiedl