Rune Frederiksen / Silke Muth / Mike Schnelle u.a. (eds.): Focus on Fortifications. New Research on Fortifications in the Ancient Mediterranean and the Near East (= Fokus Fortifikation Studies; Vol. 2), Oxford: Oxbow Books 2016, X + 732 S., ISBN 978-1-78570-131-3, GBP 70,00
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Hendrik W. Dey: The Aurelian Wall and the Refashioning of Imperial Rome. AD 271-855, Cambridge: Cambridge University Press 2011
Martin Disselkamp: "Nichts ist, Rom, dir gleich.". Topographien und Gegenbilder aus dem mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa, Ruhpolding: Verlag Franz Philipp Rutzen 2013
Hans Hauben / Alexander Meeus (eds.): The Age of the Successors and the Creation of the Hellenistic Kingdoms (323-276 B.C.), Leuven: Peeters 2014
Eine neue Fokussierung bei der Erforschung antiker Befestigungsanlagen war in den 2000er-Jahren - das zeigt der Blick auf die Dekaden zuvor - dringlich geboten.
Denn eine Welle von wegweisenden Monografien der 1970er-Jahre und daran anschließende internationale Konferenzen hatten zwar bis etwa 1993 die seither gültig bleibenden methodischen Maßstäbe der altertumswissenschaftlichen Beschäftigung mit Stadtmauern vorgegeben; doch wurden diese mit ihrer Schwerpunktsetzung auf prominente Beispiele insbesondere des griechisch-kleinasiatischen Raumes nachfolgenden Forschungstrends nicht mehr ausreichend gerecht.
Daher war die breite Resonanz, die dem 2008 formierten Netzwerk "Fokus Fortifikation" entgegengebracht wurde, wenig erstaunlich. Fußend auf den Gedanken, dass die Beachtung bisher unterschätzter Aspekte (und Regionen) einen Mehrwert für entsprechende Einzelstudien brächte, waren die Ergebnisse der Arbeitstreffen dieser Forschergruppe 2016 in einer 420-seitigen Publikation [1] zusammengetragen worden, die sich als methodisches Handbuch zu allen Fragen rund um die Erschließung antiker Befestigungsanlagen versteht.
Der hier vorliegende, noch im gleichen Jahr erschienene Band stellt sich mit seinen 732 Seiten und 60 Einzelbeiträgen nunmehr als noch voluminöserer zweiter Teil dieses Handbuchs dar. Er ist aber zugleich die schriftliche Ausarbeitung der (um drei weitere Aufsätze ergänzten) Vorträge, die im Dezember 2012 im Athener Akropolis-Museum die Abschlusstagung von "Fokus Fortifikation" bildeten. Die in der Publikation den Fallstudien mittels einer Einführung vorgeschalteten sechs systematischen Überthemen orientieren sich im Wesentlichen an den auf den vorangegangenen Netzwerktreffen formulierten Schwerpunktsetzungen. Zusätzlich reagierte der Athen und aktuellen Grabungsergebnissen gewidmete siebte Abschnitt auf die breite Reaktion aus diesem Umfeld. Außerdem tragen die (neben einem Dutzend deutschen und einer Handvoll französischen) hier mehrheitlich englisch abgefassten Beiträge dem von den Herausgebern geäußerten Anliegen Rechnung "to discuss our findings with a larger international scholarly community" (2).
Weil die Verteilung der Beiträge der durch die Tagung vorgegebenen Logik folgt (inhaltlich wäre mitunter eine andere Zuordnung möglich gewesen), wird der den Band abschließende Namens- und Ortsindex (725-732) zu einem unverzichtbaren Hilfsmittel. Auf eine Zusammenführung der jeweils hinter den einzelnen Aufsätzen befindlichen bibliografischen Angaben wurde verzichtet. Um alle in dem Band versammelten Beiträge - wie im Folgenden exemplarisch - zu bestimmten historischen Regionen oder Epochen zu konsultieren, lohnt sich daher der über die vorgegebene Gliederung hinausgehende Blick.
Dass der östliche Mittelmeerraum dominant vertreten ist, überrascht angesichts der Forschungsschwerpunkte vieler Beiträger (es überwiegt insgesamt die archäologische Perspektive) nicht. Die sich in den Altertumswissenschaften zuletzt vergrößerte Bereitschaft, sich aber ebenso den Vorläufer-, Rand- und Nachbarkulturen des Mediterraneums zu widmen, spiegelt sich auch hier wieder.
Mesopotamische Ursprünge von Stadtmauerringen (23-33 und 142-158), der Poliorketik (34-43) und einer vielfältigen Befestigungsterminologie (43-52) stehen dabei vorweg. Dazu gehören aber auch der Blick Baptiste Vergnauds (94-108) auf phrygische Befestigungen als Mittler älterer hethitischer Bauformen und -techniken an die Ägäisküsten oder aber der von Mike Schnelle (109-122) bereits für die sabaeischen Städte Südarabiens im 8. Jahrhundert v.Chr. attestierte Einsatz unterschiedlicher Steinarten zu repräsentativen Zwecken. Dass künftig neben Steinbauten gerade auch antike Lehmziegelbefestigungen von der Forschung stärker zu berücksichtigen seien, postuliert Pierre Leriche, indem er entsprechende Befunde in Baktrien unter den Kuschan-Herrschern vorstellt (623-642).
Ähnlich wie seine Kollegen Pierre Ducrey (332-336) und Jean-Claude Bessac (129-141), zählt Leriche zu den Exponenten der älteren Stadtmauer-Forschung, entwirft hier aber außerdem eine zuversichtliche Perspektive auf das nunmehr weitergesteckte Forschungsfeld der "Teichology" (10).
Die urbanen Befestigungen Syriens bieten mit ihren aufeinanderfolgenden Nutzungen vom Hellenismus bis zum Islam gute Möglichkeiten, Bauphasen und Verteidigungskonzepte zu vergleichen, wie etwa für Kyrrhos (207-219) oder für Antiochia Hippos (609-622) gezeigt wird. In diesem Umfeld lässt sich zudem laut Catherine Hof gut nachvollziehen, dass das Mauerrechteck des spätrömischen Resafa zunächst ambitioniert in Tor- und Eckturmbereichen ausgeführt wurde, die verbleibenden Mauerlücken dann aber weniger planvoll geschlossen worden sind (397-412). Klaus Freyberger weist darauf hin, dass sich syrische Heiligtümer äußerlich durch Türme und Zinnenkränze an Wehrbauten anglichen, mitunter aber auch tatsächliche Wehrgänge in die Kult- und Prozessionspraxis mit einbezogen (244-262).
In den Regionen Kleinasiens lassen sich unterschiedliche Verteidigungskonzepte von Siedlungen finden - so etwa in Larissa am Hermos in Form eines spätarchaischen Vorwerkes (159-170) als auch im lykischen Myra durch einen Ring von gut erhaltenen Kleinkastellen in emplekton-Bauweise (373-383). Zugleich als Herrschaftssymbole wirkende Festungen waren sowohl die hellenistische Palastanlage auf dem Karasis in Kilikien (263-276) als auch die durch Emine Sökmann systematisierten mithridatischen Burganlagen in Pontos und Kleinarmenien (469-476). An der Westküste wiederum verstehen Poul Pedersen und Ulrich Ruppe die ausgefeilten Steinbautechniken von Halikarnassos und benachbarter Städte als Teil einer "Ionian renaissance" in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts v.Chr. (560-580). Dezidiert Stellung zu umstrittenen Datierungen nehmen Wolfram Martini mit seiner Annahme, dass die Stadterweiterung Perges erst frühkaiserzeitlich sei (220-231) als auch Ute Lohner-Urban und Peter Scherrer, die aufgrund der am Osttor von Side erschlossenen Stratigrafie repräsentative Hoftoranlagen vor dem 1. Jahrhundert v.Chr. grundsätzlich in Frage stellen (232-243).
Kritisch hinterfragt werden zudem bislang die Forschung prägende Ansichten über das unbefestigte Kreta in minoischer Zeit (53-65), das vermeintlich mauerlose, sich aber tatsächlich durch einen Ring befestigter Periöken-Städte verteidigende Lakonien (435-445), oder aber die - wahrscheinlich nur partielle - sullanische Schleifung der Mauern Athens (384-396). Neue Grabungsergebnisse verraten zudem mehr Details zur - lange bestrittenen - archaischen Stadtmauer von Korinth (662-671).
Die von den Herausgebern intendierte Ausweitung des Themenspektrums in den westlichen Mittelmeerraum wird in erster Linie durch die Vielzahl der Beiträge abgedeckt, die sich mit den Befestigungen Roms (82-93), Italiens (171-182, 351-362, 363-372, 582-594) und der benachbarten Inseln (193-206, 595-608, 682-695) auseinandersetzen. Im Fokus steht hier zumeist die frühe Phase der römischen Expansion und insbesondere die Aufsätze von Gabriele Cifani, Christian Winkle und Sophie Helas verdeutlichen, dass sich aus althistorischer wie archäologischer Perspektive auch aus bekannten Quellen und Befunden noch neue Erkenntnisse ziehen lassen.
Ähnliches gilt für die spätantiken gallischen Städte. Hier muss die oft postulierte einheitlich geplante Neubefestigung skeptisch betrachtet werden: vielmehr betonten die in unterschiedlichen Layouts angelegten Mauerringe einen gehobenen Rechtsstatus (477-491). Zum anderen weist Saskia Stevens auf die große Bedeutung der Stadtmauern als sakralrechtlich abgesicherte Grenzen zum Umland hin (288-299), während mitunter auch die Spolisierung von Grabstelen in Mauerfundamenten zu attestieren ist (300-313).
Mit Pierre Morets Analyse spätrepublikanischer, wohl zumeist im Kontext der Sertoriuskriege errichteter Turmgehöfte im südwestlichen Spanien (456-468) ist die Iberische Halbinsel mit nur einem Beitrag vertreten, der aber die zunehmende Wahrnehmung dieser Region für entsprechende Fragestellungen andeutet.
Viel Potential offenbaren zudem die Forschungen auf dem Gebiet der heutigen Balkanstaaten - wie nicht nur Gerda von Bülow mit der neuen Datierung der früheren Phase der markanten Festung Romuliana-Gamzigrad bereits in vortetrarchische Jahrzehnte beweist (314-324). So findet sich in den Julischen Alpen östlich von Aquileia ein laut Josip Višnjić singuläres System hintereinander gestaffelter Abschnittsbefestigungen zur Kontrolle der Pässe nach Italien (492-505). Dass im Illyricum des 6. Jahrhunderts n.Chr. Dörfer und Höhenburgen zu hunderten befestigt wurden, werde noch nicht ausreichend unter dem Aspekt einer regionalen Verteidigung gewürdigt (506-515).
Generell muss die Analyse befestigter Regionen im Sinne einer "landscape approach", wie sie Sylvian Fachard nahelegt (413-416) und Claire Balandier anhand von Zypern und weiteren Landschaften entwirft (417-434) als besonders fruchtbarer Ansatz gelten, um die durch disziplinäre oder projektbezogene Grenzen beschränkten Möglichkeiten der Synopsis einzelner Befestigungen auszuweiten.
Von vielen Bearbeitern insbesondere zur kartografischen Auswertung genutzte Geoinformationssysteme ermöglichen inzwischen die Zusammenführung der Ergebnisse einzelner Studien, die - wie Eric Laufer betont - sich bislang oftmals "auf eine Fragestellung oder eine Bauphase" (328) konzentrieren müssten. Gerade die in mehrere Beiträge anschaulich eingebundenen "viewshed analyses" zur Rekonstruktion von bauzeitlichen Sichtfeldern spezifischer Befestigungsanlagen dürften das bisherige Methodenspektrum nachhaltig erweitert haben.
Somit bleibt letztlich "die Errichtung eines Wehrbaus [...] Ergebnis eines komplexen Szenarios sozialer, wirtschaftlicher, politischer, kultureller Faktoren" (327), was wünschenswerterweise in künftigen fortifikatorischen Forschungsvorhaben stets zu berücksichtigen ist und dank dieses umfangreichen Bandes anhand seiner zahlreichen Fallstudien auch umso leichter nachvollziehbar wird.
Anmerkung:
[1] Silke Müth / Peter I. Schneider / Mike Schnelle / Peter D. De Staebler (eds.): Ancient Fortifications. A Compendium of Theory and Practice (= Fokus Fortifikation Studies; Bd. 1), Oxford 2016.
Dominik Kloss