Georg Mölich / Norbert Nussbaum / Harald Wolter-von dem Knesebeck (Hgg.): Die Zisterzienser im Mittelalter, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, 393 S., 150 Farbabb., ISBN 978-3-412-50718-3, EUR 50,00
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Die hier zu besprechende Publikation entstand als Vorbereitung zur kulturhistorischen Ausstellung "Die Zisterzienser - Das Europa der Klöster" (2017-2018, LVR-Landesmuseum Bonn) des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR). In ihr sind die Vorträge des am 5. und 6. November 2015 unter Förderung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung in Köln abgehaltenen Kolloquiums aufgenommen.
In fünf Themenfelder gegliedert werden 18 Einzelbeiträge vorgestellt. Im Einleitungstext der drei Herausgeber heißt es, dass "die Tagungsbeiträge drei wichtige Problemfelder eines zeitgemäßen Befassens mit dem zisterziensischen Phänomen wider spiegeln": 1. Die Bewertung der monastischen Reform als zivilisatorische Leistung; 2. Die Artefakte dieser Reform und deren Aussagefähigkeit, und 3. Das Interagieren des Zisterzienserordens und seiner Glieder mit den ökonomischen Potenzen des Hoch- und Spätmittelalters. Die Herausgeber stellen den mittelalterlichen Zisterzienserorden als "einen der mächtigsten Verbände der Christenheit mit ganz eigenen, die zivilisatorische Praxis seiner Zeit radikal in Frage stellenden Wertekultur" vor. Dessen Bekenntnisse, Ideen und Erzeugnisse hätten "einer reformbereiten Gesellschaft entscheidende Impulse gegeben und so Europa verändert". "Europa" verstehen die Herausgeber dabei nicht als geographische Angabe, sondern als politischen Begriff, womit man den mittelalterlichen Zisterzienserorden missbraucht. Zudem fällt auf, dass die Literaturangaben der Beiträge sich häufig im gleichen Dunstkreis befinden, jedoch die seit 1980 zahlreich erschienene deutschsprachige Literatur, ebenso wie das internationale Schrifttum, Ordenszeitschriften und Forschungsanliegen wenig Beachtung finden.
Im ersten Themenblock befasst sich Gert Melville in seinem (zugleich im Katalogband identisch abgedruckten) Beitrag mit einer Analyse der Anfänge des Ordens und der Frage, "warum die Zisterzienser so erfolgreich waren"? Jörg Oberste beantwortet die Frage, wie sich die Identität der ersten Zisterzienser bewahren ließ, mit der Aussage, "durch eine effiziente, anpassungsfähige Organisation und eine aktive Erinnerungskultur". Maximilian Sternberg beleuchtet in seinem kunsthistorischen Beitrag die Rezeption der Zisterzienserbaukunst im 20. Jahrhundert und der Fragestellung, ob die Weißen Mönche gar "Vorreiter der Moderne" waren?
Im zweiten Themenfeld zu Architektur und Bildlichkeit finden sich fünf Beiträge. Matthias Untermann zeigt anhand der Klosterkirchen von Otterberg, Maulbronn und Bronnbach mittelalterliche Formdebatten auf. Kirstin Dohmen stellt in einem sehr gelungenen und gut illustrierten Beitrag Bau- und Raumkonzepte rheinischer Frauenzisterzen vor. Nigel Palmer beschäftigt sich mit Buchillumination für Zisterzienserinnen im 13. und 14. Jahrhundert. Jens Rüffer nimmt sich der Widersprüche und Missverständnisse in der "Bildpolitik" der Zisterzienser an und zitiert dabei u.a. aus Bernhard von Claivaux' Apologia: "An den Wänden zeigt die Kirche ihren Glanz, an den Armen ihre Knickrigkeit". Das Verbot figürlicher und ornamentaler Darstellungen sowie mehrfarbiger Gestaltungsweisen bei den frühen Zisterziensern sieht er in spirituellen Wurzeln des augustinischen Denkens begründet. Tobias Schöneweis hat in seiner Dresdner Dissertation bei G. Melville die Architektur zisterziensischer Wirtschaftsbauten zum Thema, deren Bauformen, Funktionen und Bedeutungen er in seinem reich bebilderten Beitrag aufschlussreich dokumentiert.
Im dritten Themenblock geht es in drei Beiträgen um "Erscheinungsformen in Schrift und Liturgie". In einem nicht leicht lesbaren Text geht Fabian Kolb dem "Zisterziensischen Singen im Hochmittelalter" nach. Beate Braun-Niehr analysiert den "Codex Gisle" als Graduale für das Zisterzienserinnenkloster Rulle bei Osnabrück der Gisela von Kerrsenbrock. Und Susanne Wittekind befasst sich mit zisterziensischen Legendaren im Kontext der hochmittelalterlichen Reformbewegung.
Zum Inhalt des vierten Themenblockes werden vier Beiträge des monastischen Wirtschaftshandelns. Guido Gassmann referiert auf der Basis seiner Dissertationsschrift über Konversen der neun Männerabteien auf dem Gebiet der heutigen Schweiz. Christian Hillen entwickelt eine Fallstudie zur Wirtschaftsgeschichte der Abtei Marienstatt, die 2017 in der Reihe der Germania Sacra voll umfänglich in Druckfassung erschienen ist. Mit der Grundherrschaft und Klosterwirtschaft der mittelalterlichen Zisterze Schöntal (Speciosa Vallis) an der Jagst setzt sich Maria Magdalena Rückert auseinander. 1282 stand das Kloster wegen Überschuldung vor dem wirtschaftlichen Ruin. Der Ausweg führte zum Wechsel der Paternität weg vom ebenfalls angeschlagenen Maulbronn hin zu Kaisheim bei Übernahme der Schöntaler Schulden. Als hervorragende Quelle erwies sich ein Totenbuch, das Einblicke in die Vernetzung Schöntals mit seiner sozialen Umwelt erlaubt. Ebenfalls aus einer interessanten Quelle konnte Julia Bruch für ihren Beitrag schöpfen, in dem sie komparativ vorgehend die Männerzisterze Schöntal dem schwäbischen Zisterzienserinnenkloster Niederschönenfeld gegenüberstellt. Das Kaisheimer Rechnungsbuch als Quelle, entstanden aus der Paternität gegenüber den beiden Ordenshäusern, wurde zwischen 1288 und 1360 von visitierenden Kaisheimer Mönchen angelegt. Die beiden Zisterzen betrieben ein gemischtes Wirtschaftssystem aus Eigen- und Rentenwirtschaft. Das Konversentum war für beide Abteien bis weit ins 14. Jahrhundert hinein wichtiger Bestandteil klösterlichen Wirtschaftsgeschehens. Interessant ist die Feststellung, dass die Männerklöster höhere Einnahmen und Ausgaben auswiesen, die Frauenklöster jedoch mit weniger Besitz mehr Menschen versorgen konnten.
Der fünfte Themenkomplex fasst drei Aufsätze unter der Überschrift "Der Orden und die Herrschaft" zusammen. Markus Thome wendet sich dem Kirchenbau und der Begräbnispolitik der Zisterzienser im späten Mittelalter zu. Er berücksichtigt die Reaktion der Zisterzienser auf wachsende Ansprüche potentieller Wohltäter und Stifter im Rahmen der Erinnerungskultur. Georg Mölich und Joachim Oepen stellen das Projekt und den aktuellen Stand des vierbändigen "Nordrheinischen Klosterbuchs" vor. In Ergänzung zum bereits vorhandenen "Westfälischen Klosterbuch" wird das gesamte Klosterwesen nach gleichem Schematismus gegliedert und wissenschaftlich bearbeitet. Abschließend referiert Jiri Kuthan in einer Gesamtübersicht über königliche Klöster unter Karl IV. Der Zisterzienserorden erfreute sich insbesondere im 13. Jahrhundert der Gunst des Königsgeschlechts der Premyšliden.
Komplettiert wird der Band durch Kurzbiographien der "Beiträgerinnen und Beiträger", den Bildnachweis und ein kurzes Register einschließlich der benutzten Handschriften.
Buch und Kolloquium stehen unter dem Titel "Zisterzienser im Mittelalter". Als Leser erwartet man deshalb viel und mehr. Nicht alle abgedruckten Vortragstexte bergen wirklich neue Aspekte. Erfreulicherweise gilt dies nicht für den Bereich der Frauenzisterzen.
"Zisterzienser im Mittelalter" werden aber eigentlich nur im Ansatz beleuchtet. Den berühmten roten Faden, der verdeutlich, was mit dem Projekt beabsichtigt ist, sucht man als Leser vergeblich. Was fehlt, ist etwa der Gesamtblick auf die systematisch geplante Ausbreitung des Ordens in den verschiedenen Ländern und Territorien aus der linea der Primarabteien heraus, oder die Frage nach Ordensgelehrten und Bildungsniveau von Mönchen und Nonnen. Der Band hätte hiervon sicherlich profitiert. In zwei Beiträgen wurde das zunehmend beachtete Forschungsgebiet zisterziensischer Netzwerke und Kommunikation leider nur am Rande aufgenommen. Die stärkere Betonung dieses Aspektes oder der genannten Desiderate hätte wirklich Neues für die Zisterzienserforschung erbracht. Der Sammelband ist durchaus lesens- und empfehlenswert und für bestimmte Aspekte wichtig. Das wirklich Neue, das man vom Titel her erwartet, fehlt allerdings.
Klaus Wollenberg