Adrian Hänni: Terrorismus als Konstrukt. Schwarze Propaganda, politische Bedrohungsängste und der Krieg gegen den Terrorismus in Reagans Amerika (= Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedens- und Konfliktforschung; Bd. 24), Essen: Klartext 2018, 390 S., 3 s/w-Abb., ISBN 978-3-8375-1719-4, EUR 29,95
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Gisela Diewald-Kerkmann: Frauen, Terrorismus und Justiz. Prozesse gegen weibliche Mitglieder der RAF und der Bewegung 2. Juni, Düsseldorf: Droste 2009
Robert Allertz: Die RAF und das MfS. Fakten und Fiktionen. In Zusammenarbeit mit Gerhard Neiber (†), Berlin: Das Neue Berlin 2008
Michael Sontheimer: "Natürlich kann geschossen werden". Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion, München: DVA 2010
Thomas Riegler: Terrorismus. Akteure, Strukturen, Entwicklungslinien, Innsbruck: StudienVerlag 2009
Matthias Dahlke: Demokratischer Staat und transnationaler Terrorismus. Drei Wege zur Unnachgiebigkeit in Westeuropa 1972-1975, München: Oldenbourg 2011
Ulrich Chaussy: Oktoberfest. Das Attentat. Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann, Berlin: Ch. Links Verlag 2014
Bernhard Blumenau: The United Nations and Terrorism. Germany, Multilateralism, and Antiterrorism Efforts in the 1970s, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2014
Huw Dylan / David Gioe / Michael S. Goodman: The CIA and the Pursuit of Security. History, Documents and Contexts, Edinburgh: Edinburgh University Press 2020
So wie aktuell der radikal-islamistische Terrorismus oft als monolithische Bedrohung aufgefasst wird, war auch der Diskurs während des Kalten Krieges durch Stereotypisierungen und Essentialismus gekennzeichnet. Zu Beginn der 1980er Jahre brandmarkte US-Präsident Ronald Reagan die Sowjetunion als Hort des internationalen Terrorismus. Diese Sichtweise wurde mittels Expertise regierungsnaher Think Tanks untermauert und auch kulturell transportiert - etwa in Form von Romanen oder Hollywood-Actionfilmen. Dabei gründete sich die Vorstellung einer vom Kreml gesteuerten, global agierenden terroristischen Verschwörung oftmals auf "schwarze Propaganda", mit der westliche Geheimdienste zuvor Journalisten und Terrorismus-Experten bewusst "angefüttert" hatten. Diese Aspekte umfassend aufgearbeitet und zur Diskussion gestellt zu haben, ist das Verdienst der hier zu besprechenden Monografie des Schweizer Historikers Adrian Hänni.
Auf der Basis von Primärquellen aus US-amerikanischen und europäischen Archiven vertritt Hänni die These, dass die "Genese des Krieges gegen den Terrorismus" nach den Anschlägen vom 11. September 2001 "untrennbar mit der Geschichte des Kalten Krieges verknüpft, ja weitgehend von ihr bedingt ist". Das Narrativ einer durch "Schurkenstaaten" wie den Irak, Iran und Nordkorea gesteuerten terroristischen Bedrohung und deshalb notwendiger militärischer Bekämpfungsstrategien führe von George W. Bush zurück zum "Vorläufer" Ronald Reagan (18f). Hänni charakterisiert diese beiden miteinander verwobenen Terrorismusdiskurse grundsätzlich als "Machtstrategien", die es damals ermöglichten und heute immer noch ermöglichen, die Innen- und Außenpolitik der USA "maßgeblich" zu beeinflussen (37).
Wie Hänni betont, kam der Terrorismus-Diskurs erst Anfang der 1970er Jahre auf - insbesondere nach dem Münchner Olympia-Attentat (1972). Ab diesem Zeitpunkt habe eine "systematische Wissensproduktion" eingesetzt, die Terrorismus als "neues Phänomen und Problem" charakterisierte und untersuchte, wie man es bekämpfen könne (42-46). Es kam zur Einrichtung von Datenbanken und Forschungseinrichtungen sowie zu einer merklichen Steigerung in Sachen Publikationen und Konferenzen zu dieser Thematik. Insbesondere bildete sich eine "verhältnismäßig kleine, aber eng vernetzte Gruppe" selbsternannter Experten heraus, die als "diskursmächtige, legitime Sprecher" eine Schlüsselrolle bei der "Konstruktion der terroristischen Bedrohung" spielten (54f.). Da die Experten überwiegend konservativen Denkfabriken angehörten oder dem Sicherheitsapparat nahestanden, ist es nicht überraschend, dass ihre Positionen der Prämisse des sich Ende der 1970er Jahre verschärfenden Kalten Krieges folgten. Folglich wurden terroristische Akteure aus unterschiedlichen Kontexten unter dem Gesichtspunkt eines angeblich von der Sowjetunion gesteuerten globalen Netzwerks subsummiert, dessen Ziel die Destabilisierung der westlichen Demokratien sei. Die Durchsetzung dieser Interpretation trug das ihre dazu bei, Ambitionen in Richtung einer Erhöhung des Militärbudgets, Aufrüstung und einer interventionistischen Strategie in Lateinamerika und im Nahen Osten mit zu legitimieren. Der Terrorismus-Diskurs habe so zur "Lenkung von Denken, Verhalten und Handeln von Individuen und Gruppen" beigetragen (284).
Hänni konzentriert sich auf einige Fallstudien, um die dafür notwendige Wissensproduktion zu beleuchten. So gilt das 1981 erschienene Buch "The Terror Network" der Journalistin Claire Sterling als der "repräsentativste, einflussreichste und konstitutivste Einzeltext des amerikanischen Terrorismusdiskurses der frühen 1980er Jahre" (95). Laut Sterling versorgte Moskau das weltweite Netz des Terrorismus mit all jenen Gütern, "die dieser braucht, um die westlichen Demokratien zu unterminieren". [1] Nicht umsonst verwies US-Außenminister Alexander Haig auf seiner ersten Pressekonferenz im Februar 1981 auf das Buch und klagte die UdSSR öffentlich an.
Um ihre Behauptungen zu untermauern, ging Sterling auf den damals einschlägig bekannten Terroristen Ilich Ramírez Sánchez ("Carlos") und dessen angebliches KGB-Training ein. Ferner sah sie in dem von Paris aus agierenden Menschenrechtsaktivisten Henri Curiel einen Koordinator in Sachen internationaler Terrorismus. Doch wie Hänni aufgrund von Recherchen im Nachlass von Sterling nachweist, basierte die Darstellung von "Carlos" auf einem manipulierten Dokument, das der französische Auslandsnachrichtendienst SDECE der Autorin zugespielt hatte (129). In Bezug auf Curiel übernahm Sterling beinahe wörtlich "ganze Passagen" aus einer weiteren SDECE-Desinformation (146). Aber auch "schwarze Propaganda" der CIA hatte direkt Eingang in "The Terror Network" gefunden (165).
In einer internen Einschätzung kam die US-Geheimdienst-Community dagegen zu dem Schluss, dass viele terroristische Akteure "keine sowjetische Kontrolle oder Lenkung" akzeptieren würden, so Hänni (198). Das hinderte die Reagan-Administration aber nicht, das US-Engagement im Libanon sowie in Grenada, Nicaragua und El Salvador im Verlauf der 1980er Jahre mit dem Hinweis auf die sowjetische/terroristische Bedrohung zu rechtfertigen. Symbolischer Höhepunkt war 1986 ein Luftschlag gegen Libyen, nachdem Reagan zwei Jahre zuvor militärische Gewalt als Mittel zur präventiven Bekämpfung des Terrorismus per Direktive festgelegt hatte. Der regierungsnahe Terrorismus-Diskurs hatte dieser Entscheidung jahrelang das Feld bereitet, so dass sich spätestens ab 1986 eine Mehrheit der US-Bevölkerung dafür aussprach. Diese Militarisierung der Anti-Terror-Politik sollte sich Ende der 1980er Jahre wieder in Richtung Strafverfolgung zurückverschieben.
Spätestens nach 2001 erlebte das Konzept vom "War on Terrorism" eine Renaissance. Auch einige der verantwortlichen Entscheidungsträger aus den 1980er Jahren erfüllten von neuem Funktionen bei der Gestaltung dieses Prozesses. Jedenfalls sei damals der Weg für die "Normalisierung und Institutionalisierung" der militärischen Terrorismusbekämpfung samt gezielter Tötungen während der Präsidentschaften von Bush und Obama bereitet worden (335). Unter dem Strich handelt es sich um ein wichtiges und gut lesbares Buch, das dazu anregt, gängige Annahmen zu hinterfragen. Auch der Hinweis auf den strategischen Einsatz von "Fake News" macht die Lektüre hochaktuell. Dass man den Vergleich zwischen den 1980er Jahren und der heutigen Zeit noch etwas schärfer hätte herausarbeiten können, tut dem Erkenntnisgewinn keinen Abbruch.
Anmerkung:
[1] Interview: Netzwerk des Kreml?, in: profil Nr. 20 (1981), 18f.
Thomas Riegler