Paul-Moritz Rabe: Die Stadt und das Geld. Haushalt und Herrschaft im nationalsozialistischen München (= München im Nationalsozialismus. Kommunalverwaltung und Stadtgesellschaft; Bd. 3), Göttingen: Wallstein 2017, 399 S., 19 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-3089-4, EUR 38,00
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Dem nationalsozialistischen Regime waren die Finanzen - anders als oft behauptet - nicht gleichgültig. Mit einigem propagandistischen Aufwand wurde daher der Haushaltsausgleich auch unter Hitler als staatliche Leistung dargestellt. Im Gegensatz zur Weimarer Demokratie gelang es der nationalsozialistischen Diktatur so scheinbar regelmäßig, rechtzeitig einen soliden Haushaltsplan vorzulegen. Dies galt auch für die kommunale Ebene, die Paul-Moritz Rabe in seiner Studie am Beispiel Münchens in den Blick nimmt. "Das braune München", so formuliert es Rabe im ersten Satz seines Buches treffend, "schrieb schwarze Zahlen" (9) - und die Hauptstadt der Bewegung inszenierte ihr ausgeglichenes Budget gerne prunkvoll im Rahmen öffentlicher Sitzungen im Münchner Rathaus. Rabes Arbeit, die auf seiner 2016 an der LMU angenommenen Dissertation basiert, erkennt die Vielschichtigkeit ihres Gegenstands. Darin liegt der besondere Wert dieser Untersuchung. Denn die Geschichte des Haushaltswesens ist grundsätzlich wenig erforscht, das gilt nicht nur für die Zeit zwischen 1933 und 1945. Noch seltener wird der finanzgeschichtliche Blick auf Haushaltszahlen zugleich politik-, kultur- und sozialhistorisch geweitet. Das Bemühen um eine solche umfassende Herangehensweise an das spröde Thema des kommunalen Budgetierens ist daher zu begrüßen, und die daraus entstandene Darstellung überaus lesenswert.
Ausgehend von den Annahmen der Finanzsoziologie des frühen 20. Jahrhunderts, die im Staatsbudget den "Donner der Weltgeschichte" (Joseph Schumpeter) zu vernehmen meinte, entwirft Rabe seine Geschichte der Kommunalfinanzen als eine Analyse der Handlungsmöglichkeiten von Verwaltung während der nationalsozialistischen Herrschaft. Anknüpfend an den von ihm konstatierten "Paradigmenwechsel" (17) der neueren Forschung betont der Autor vor allem die selbständige und dynamische Rolle der Kommunalverwaltung in der nationalsozialistischen Diktatur. Das innovative Potenzial der Untersuchung liegt jedoch weniger in dieser Hervorhebung administrativer Eigenmacht, denn diese Position ist unterdessen in der NS-Forschung wohl weitgehender Konsens. Hervorzuheben ist vielmehr die Tatsache, dass der Autor die Geschichte nationalsozialistischer Haushaltspolitik als Ergebnis vielfältiger Dynamiken und Aushandlungsprozesse zu erzählen und zugleich analytisch zusammenzuhalten vermag.
Dies geschieht in vier Schritten, von der präzisen Entzifferung einzelner Haushaltspläne über die Betrachtung der zugrunde liegenden personellen und organisatorischen Konstellationen hin zu den damit verbundenen Strategien der Einnahme- sowie schließlich der Ausgabengestaltung. Zunächst widmet sich Rabe aber der Frage, wie man einen Haushaltsplan überhaupt als historische Quelle lesen und verstehen kann. Diese Überlegungen versteht er als Versuch, eine "kleine Theorie der Haushaltspläne" (12) für weitere Forschungen zu entwerfen. Daher seziert Rabe die grundsätzliche Überlagerung von finanziellen, politischen, temporalen, diskursiven und verfahrenstechnischen Bedeutungsschichten, die in den Zahlen eines Haushaltsplanes ihren Niederschlag finden und ihrerseits historischem Wandel unterliegen. Seine theoretischen Überlegungen wendet er dann auf die Haushaltspläne für 1932, 1935, 1939 und 1943 an und ermittelt so anhand der Haushaltszahlen unterschiedliche Aggregatszustände der Münchner Kommunalfinanzen zwischen den defizitären Krisenjahren der späten Weimarer Republik und dem nahenden Kriegsende.
Hier zeigt sich allerdings, dass der "performative Akt" (61) der Haushaltsaufstellung außerhalb der Administration zunehmend an Durchschlagkraft verlor, weil ihm das Publikum und damit der Resonanzraum abhandenkam. Ab 1940 wurden die Kommunalhaushalte gar nicht mehr veröffentlicht - eine Praxis, die auf Reichsebene schon seit 1934 üblich geworden war. Zudem veränderte sich die Systematik der Haushaltsaufstellung sowohl durch zentralistische Angleichung als auch durch strategische Setzungen wie die Ergänzung eines Vermögensnachweises. Was in der Forschung bisher primär als Verstoß des nationalsozialistischen Regimes gegen die klassischen Grundsätze geregelter Haushaltsführung interpretiert worden ist, erweist sich an dieser Stelle als etwas Weitergehendes: als eine gezielte Konstruktion budgetärer Wirklichkeit, also als eine aktive Reorganisation finanzieller Ordnung. [1] Dass dieses strategische Vorgehen in der Haushaltsgestaltung aber keine Erfindung der Nationalsozialisten war, sondern mit anderen Zielsetzungen auch schon vor 1933 praktiziert wurde, ist Rabe bewusst, wenngleich er diesen Punkt nicht besonders stark macht. Mit Recht hält er aber fest, dass "ein ausgeglichenes Budget also keineswegs ein brauchbarer Indikator für die Stabilität der Finanzpolitik" sei (97). Diese eher beiläufig angebrachte Bemerkung weist fraglos über die Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft hinaus.
Von den Zahlen der Budgets geht die Studie zu den "Herren des Geldes" (103) über. Hier widmet sich Rabe sowohl den organisatorischen Strukturen der städtischen Finanzbehörden als auch dem Führungspersonal, das als zunächst relativ homogene Gruppe seit 1933 um zusätzliche Fachleute ebenso wie um überzeugte Nationalsozialisten ergänzt wurde. Die kontroversen Aushandlungen des Kommunalhaushaltes im Stadtrat wurden durch Referentenbesprechungen ersetzt und so in einen "Expertendiskurs" (148) transformiert. Nach außen verband sich diese Entwicklung mit einer geschickten Netzwerkpolitik auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene, in der die Sonderstellung der Stadt München immer wieder produktiv für eigene Zwecke genutzt werden konnte. Es erstaunt daher ein wenig, dass Rabe hier dennoch an der Vorstellung eines letztlich chaotischen Charakters des nationalsozialistischen Staates festhält.
Im Folgenden entfernt sich der Fokus der Studie etwas vom Haushaltsplan als zentraler Sonde. In der Auseinandersetzung mit den diversen Modi städtischer Einnahmepolitik zwischen Finanzausgleich, Steuererhebung, Kreditaufnahme und fiskalischer Verfolgung wird vielmehr ein Überblick über die städtischen Finanzen im nationalsozialistischen München entworfen. Dieser Teil macht die Rolle der Kommunen als aktive Instanzen noch einmal deutlich. Gerade die umtriebige Generierung von Einnahmen für die Stadtkasse hatte radikalisierende Effekte: "Die Judenverfolgung der Stadtverwaltung begann beim Geld", so Rabe pointiert (239).
Die so erhobenen (oder: erbeuteten) kommunalen Mittel wollten dann, vermeintlich planmäßig, ausgegeben werden. Im letzten Teil der Studie werden Nepotismus und Größenwahn, systemkonforme Prioritätensetzung und kommunale Imagepolitik im Bereich der Ausgabengestaltung bis in ihre banalsten Ausformungen nachgezeichnet. Es ließen sich, wie Rabe zeigt, eben auch die Anschaffung offener Kraftfahrzeuge für die Stadt oder millionenschwere Investitionen in den Pferdesport als notwendiger Aufwand für die nationalsozialistische Repräsentation und für die megalomanen Visionen einer "Lieblingsstadt" Hitlers imaginieren.
Rabes Studie betont abschließend vor allem die aktive Gestaltungsmacht der Münchner Haushaltsexperten sowie die Spezifik der nationalsozialistischen Haushaltspolitik, da sich die "braune Machtentfaltung" (364) bis in die Zahlenkolonnen der städtischen Budgets niedergeschlagen habe. Die diktatorische Einrahmung, die rassistische Instrumentalisierung sowie die weitgehende Arkanisierung der Haushaltsplanung sind sicherlich nationalsozialistische Prägungen, vorangetrieben durch den permanenten Mobilisierungs- und schließlich den offenen Kriegszustand. Doch ist der grundsätzliche Zusammenhang von Macht und Haushalt kein Spezifikum der nationalsozialistischen Zeit, wofür gerade diese Studie einige überzeugende Belege enthält. Denn wie Rabe den propagandistischen Wert des ausgeglichenen Haushalts für die NS-Kommunen aufzeigt und klug dekonstruiert, so zeigen seine Analysen des Krisenhaushaltes von 1932 unausgesprochen, dass für die Weimarer Zeit, etwa mit Blick auf die Reparationsverhandlungen oder Reich-Länder-Konflikte, eben auch ein defizitärer Haushaltplan von propagandistischem Wert sein konnte. Paul-Moritz Rabes sprachlich durchweg elegante Studie zeigt daher, dass es ein auf verschiedenen Ebenen ertragreicher Zugang ist, ein Staatswesen daraufhin zu analysieren, was es sich bestimmte Maßnahmen kosten lässt - und was genau in ihm die "schwarze Null" bedeutet.
Anmerkung:
[1] Hierzu mit Blick auf die damit verbundene inneradministrative Praxis Katharina Peters: Die Doppelkonstruktion budgetärer Wirklichkeit. Repräsentationen und Praktiken der Finanzverwaltung, in: Zeitschrift für Soziologie 29 (2000), Heft 2, 121-137.
Stefanie Middendorf