Rezension über:

Dennis P. Kehoe / Thomas A. J. McGinn (eds.): Ancient Law, Ancient Society, Ann Arbor: University of Michigan Press 2017, X + 216 S., ISBN 978-0-472-13043-6, USD 70,00
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Rezension von:
Susanne Heinemeyer
Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Susanne Heinemeyer: Rezension von: Dennis P. Kehoe / Thomas A. J. McGinn (eds.): Ancient Law, Ancient Society, Ann Arbor: University of Michigan Press 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 6 [15.06.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/06/30968.html


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Dennis P. Kehoe / Thomas A. J. McGinn (eds.): Ancient Law, Ancient Society

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Der vorliegende Band fasst die Ergebnisse einer Tagung zum Thema "Ancient Law, Ancient Society" zusammen, die im Oktober 2013 anlässlich der Pensionierung von Bruce Frier (Department of Classical Studies) an der Universität Michigan stattfand. Nach einer Einführung durch die Herausgeber Dennis P. Kehoe und Thomas A. J. McGinn ist das Buch in acht Kapitel gegliedert, deren thematische Breite die Fülle der Interessen des Geehrten und seiner Schüler abbilden soll. Die Beiträge wollen - so wie es der Geehrte stets selbst tat - aus verschiedenen Blickwinkeln und anhand unterschiedlicher Beispiele die enge Verknüpfung von römischem Recht und römischer Gesellschaft beleuchten (1). In methodischer Hinsicht wird dabei überwiegend eine moderne Diskussion oder ein neuer theoretischer Ansatz der Rechtswissenschaft beziehungsweise der Sozialwissenschaften herangezogen, um so das Verständnis für die Bedeutung des Rechts in der antiken Gesellschaft zu erleichtern und zu stärken (2). Dabei werden auch andere methodische Ansätze etwa der Ökonomie eingesetzt. Für die Herausgeber zeigt sich der Gewinn dieser - freilich nicht unumstrittenen - Vorgehensweise für das Verständnis von Recht und Gesellschaft gerade in den folgenden Kapiteln (2). Im Anschluss an das Nachwort (183-191), das Friers Beitrag zur Rechtsgeschichte würdigt, runden ein Quellenverzeichnis (197-207), ein Personenverzeichnis (209-211) sowie ein Stichwortverzeichnis (213-216) den Band ab.

Die acht Kapitel behandeln zwei Themenblöcke. In den ersten drei Kapiteln werden Aspekte des antiken Griechenlands, insbesondere Athens beleuchtet. Adriaan Lanni untersucht die Hintergründe von Kollektivstrafen, mit denen in Athen ganze Personengruppen oder Familien wegen der Tat eines einzelnen belegt wurden (9-31). Sie lassen sich nicht vollumfänglich auf das allgemeingültige Argument zurückführen, dass Kollektivstrafen immer dann einschlägig seien, wenn der einzelne Täter nur schwer identifizierbar sei. Lanni schlägt stattdessen eine fallgruppenabhängige Begründung vor: Delikte wie Bestechung oder Nichterfüllung von Verbindlichkeiten gegenüber dem Staat hätten die junge, auf Mitwirkung angewiesene Demokratie bedroht und seien deshalb kollektiv bestraft worden. Die Kollektivstrafen stünden sogleich exemplarisch dafür, dass antike Phänomene und Praktiken nicht nur in herkömmlicher Weise anthropologisch, sondern auch mit einem soziologischen Ansatz erklärt werden könnten (9, 29). Auch die Straffreiheit bei Tötungsdelikten, die im athenischen Recht unter bestimmten Voraussetzungen etwa für den Moichos, bei Notwehr und für Athleten vorgesehen war, kann David D. Philipps mithilfe eines modernen theoretischen Ansatzes präziser fassen und so als Risikoübernahme qualifizieren (46-65). Darüber hinaus entdeckt Michael Leese in Hochzeitsallianzen, die in Athen an der Tagesordnung waren, eine deutliche ökonomische Motivation der beteiligten Familien, die zu einer neuen Bewertung der "embeddedness" [1] führen müsse. Denn es wurden nicht nur wirtschaftliche Verbindungen infolge sozialer Verbindungen geschlossen, sondern auch umgekehrt soziale Verbindungen wegen starker wirtschaftlicher Interessen begründet (32-45).

Der inhaltliche Schwerpunkt des Sammelbandes liegt im antiken Rom, wie sich schon am Umfang ablesen lässt, den die Betrachtungen hierzu einnehmen (66-182). Dabei behandeln die Kapitel überwiegend sozialgeschichtliche Fragen, für die auch rechtliche Aspekte eine Rolle spielen. Es geht jedoch weniger um die bloße Darstellung des jeweiligen Rechtszustandes, als vielmehr um seine gesellschaftliche Kontextualisierung. Insofern bildet das 6. Kapitel eine Ausnahme, in dem das - gleichsam eines juristischen "Dauerbrenners" - immer wieder diskutierte Problem der Stellvertretung im römischen Recht behandelt wird. [2] Nach herrschender Ansicht kannte das klassische römische Recht keine direkte Stellvertretung, sondern behalf sich mit Umgehungs- oder Ersatzformen, die entweder auf dem personenrechtlichen Status des eingesetzten Gewaltunterworfenen basierten oder unter Freien mit dem Vertragstyp des Auftrags (mandatum) ermöglicht wurden. [3] Dennis P. Kehoe betrachtet das römische mandatum in seiner Verwendung als Mittel, um Vertretung im Wirtschaftsverkehr möglich zu machen, aus dem Blickwinkel der "New institutional economics (NIE)". Diese neue Perspektive unterstreicht die wirtschaftliche Notwendigkeit und Bedeutung des römischen Auftrags in Vertretungskonstellationen. Im 7. Kapitel untersucht Thomas A. J. McGinn, ob das römische Privatrecht im Wesentlichen der Oberschicht oder auch der mittleren sozialen und wirtschaftlichen Ebene der römischen Gesellschaft nutzte. Er ist der Überzeugung, dass sich das römische (Privat-)Recht nicht in diesem Umfang ausgebreitet und durchgesetzt hätte, wenn es nur den Interessen einer schmalen Elite genutzt hätte. In Auseinandersetzung mit den Ansätzen von Kehoe und Bannon sowie von Volterra schließt McGinn überzeugend, dass im römischen Privatrecht tatsächlich die Bedürfnisse eines relativ breiten Bereichs der Gesellschaft befriedigt wurden, auch wenn das Recht letztendlich der Elite zu dienen bestimmt war.

Auch wenn die Kapitel 4, 5 und 8 leider keinen speziellen methodischen Ansatz verfolgen, runden sie den thematischen Kontext des Sammelbandes inhaltlich ab. So kann Lauren Caldwell in ihrer Untersuchung der Gerechtigkeit bei Aelian feststellen, dass dieser überwiegend indirekt moralisiert und die Schlussfolgerung in erster Linie seinem Leser selbst überlässt (84-103). Im 8. Kapitel (167-182) beschäftigt sich Charles Pazdernik mit "Mixed Marriages" in spätantiker, besonders in justinianischer Zeit. Dieses Kapitel betrifft zugleich den zeitlich jüngsten Themenbereich des Buches. Auch die Erläuterungen zum Zusammenhang von römisch-rechtlichen Regelungen auf dem Gebiet der Wasserverteilung in den Provinzen und der Romanisierung der Provinzen passen in diesen Rahmen. Anders als die überwiegende Ansicht, die von einer Übertragung des römischen Rechts der Wasserverteilung auf die lokale Regelung in den Provinzen ausgeht, sieht Cynthia J. Bannon eine umgekehrte Beeinflussung: Die Regelung der anteiligen Wasserverteilung in der lex rivi Hiberiensis sowie im sogenannten Lamasba-Dekret [4] enthalte lokales Recht der Provinzen, in denen die anteilige Verteilung Usus gewesen sei. Obgleich der Schluss, Romanisierung sei ein multidimensionaler Prozess gewesen (80), grundsätzlich durchaus überzeugt, vermag die Argumentation ihn insofern nur zum Teil zu stützen, als nicht ganz deutlich wird, warum die zitierten Regelungen rein provinzieller Natur waren, ohne jedoch vielleicht schon ihrerseits von römischem Recht beeinflusst zu sein.

Insgesamt zeigt der vorliegende Band, dass und wie moderne interdisziplinäre Forschungsansätze zu neuen Erkenntnissen im Zusammenhang mit alten, schon seit langem bekannten Quellen führen können. Obgleich die Kapitel jeweils nur ein Spezialproblem beleuchten, fügen sie sich in der Summe zu einem differenzierteren Bild von antikem Recht und antiker Gesellschaft: Der Zusammenhang von antiker Gesellschaft und antikem Recht ist genauso vielfältig und schillernd wie die Breite der hier herangezogenen methodischen Ansätze. In dieser Erhellung des Zusammenhangs von Recht und Gesellschaft liegen Nutzen und Gewinn des vorliegenden Bandes.


Anmerkungen:

[1] Die "embeddedness" geht auf Karl Polanyi zurück, der die soziale Einbettung der Wirtschaft für notwendig hielt; vgl. Karl Polanyi: The Great Transformation, Boston 1944.

[2] Die Literatur zum Thema ist reichhaltig, dennoch hätte etwa auf Axel Claus: Gewillkürte Stellvertretung im römischen Privatrecht, Berlin 1973 verwiesen werden können.

[3] Reinhard Zimmermann: The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition, Juta 1990, 420f.; Alan Watson: Contract of Mandate in Roman Law, Oxford 1961, 78; Axel Claus: Gewillkürte Stellvertretung im römischen Privatrecht, Berlin 1973, 42-44.

[4] CIL VIII 18587; diese Angabe fehlt in dem Aufsatz.

Susanne Heinemeyer