Rezension über:

Andrea Zedler / Jörg Zedler (Hgg.): Prinzen auf Reisen. Die Italienreise von Kurprinz Karl Albrecht 1715/16 im politisch-kulturellen Kontext (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte; Heft 86), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, 364 S., eine Tabl., 21 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-50890-6, EUR 50,00
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Rezension von:
Thomas Kuster
Kunsthistorisches Museum, Sammlungen Schloss Ambras, Innsbruck
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Kuster: Rezension von: Andrea Zedler / Jörg Zedler (Hgg.): Prinzen auf Reisen. Die Italienreise von Kurprinz Karl Albrecht 1715/16 im politisch-kulturellen Kontext, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 6 [15.06.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/06/31195.html


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Andrea Zedler / Jörg Zedler (Hgg.): Prinzen auf Reisen

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Der vorliegende Sammelband versucht die neunmonatige Italienreise des bayerischen Kurprinzen Karl Albrecht, nachmalig Kaiser Karl VII., von 1715/16 mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Zugängen - Geschichte, Kunstgeschichte, Musik- und Literaturwissenschaft sowie Kirchengeschichte - zu beleuchten. Dieser Aufgabe stellten sich 15 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vorrangig deutscher Institutionen im Rahmen einer Fachtagung im Sommer 2016. Die Herausgeber Zedler / Zedler verweisen in der Einleitung darauf, dass die Aufarbeitung der Italienfahrt Karl Albrechts, überliefert in vier Tagebüchern, ihren Abschluss in einer von ihnen erstellten wissenschaftlich-kritischen Edition finden wird.

Der Vorspann skizziert die politischen, religiösen und gesellschaftlichen Umstände der Reise, die unmittelbar nach Ende des Spanischen Erbfolgekrieges erfolgte. Sie wurde absolviert nach der Wiederaufnahme Kurbayerns in das europäische Mächtekonzert, nachdem der Kurfürst im Spanischen Erbfolgekrieg ja geächtet worden war, angesichts eines drohenden Türkenkrieges und vor der reichspolitisch-dynastischen Entscheidung des Wiener Hofes über die Vermählung zweier Erzherzoginnen.

In der Einleitung wird auch die Themenverteilung, die auf drei Kategorien fußt, erläutert, nämlich 1. Beiträge mit erklärendem Rahmencharakter, 2. spezifische Essays rund um die Kurprinzenreise und 3. erweiternde kulturgeschichtliche Inputs. Die erste Kategorie eröffnet in bewährter Manier der Beitrag Eva Benders zur Prinzenreise an sich. Bender wählt geschickt Fallbeispiele kurfürstlicher und fürstlicher Familien und skizziert die in diese Reisen gelegten Hoffnungen, Mühen und Kosten, zum Zwecke des politisch-gesellschaftlichen Aufstieges. Der von Bender angesprochene, aber nicht näher begründete Rückgang von Besuchen des Wiener Hofes mag der permanenten Türkengefahr und dem Machtverlust des Reichsoberhauptes nach Ende des Dreißigjährigen Krieges geschuldet sein.

Winfried Siebers beleuchtet das Wesen der Prinzenreise im 18. Jahrhundert, das zum einen Reisen jugendlicher Adeliger zur Erweiterung ihrer Bildung, dargestellt am Beispiel zweier Holstein-Gottorfer Prinzen und zum anderen Reisen bereits verheirateter erwachsener Prinzen, mit dem Ziel gesellschaftlicher, politischer und kultureller Kontaktaufnahme und Festigung ihrer Bildung umfasste. Gerhard Immler diskutiert Reisen der Wittelsbacher vom Hochmittelalter bis zur Renaissance. Hier vermisst man die inhaltliche Ausgewogenheit aufgrund der starken Mittelalterlastigkeit. Wünschenswert wäre der Verweis auf themenspezifische Literatur, etwa zu Margarete Maultasch und zur Verbindung Bayerns mit Italien mit Bezug auf die Bayerische Landesausstellung "Bayern-Italien" (2010) gewesen. Der Vollständigkeit halber hätte man die Reisen Herzog Ferdinands, des Bruders Wilhelms V., zusammen mit seinem Onkel Erzherzog Ferdinand II. nach Oberitalien und Herzog Ferdinands Fahrt nach Mantua berücksichtigen können, wo der Wittelsbacher für Erzherzog Ferdinand II. Anna Caterina Gonzaga per procuram 1582 heiratete. [1]

Den zweiten Abschnitt, mit Fokus auf das Tagungsthema, eröffnet Volker Barth mit der Inkognito-Frage, der "freiwilligen hierarchischen Herabsetzung" bei Fürstenreisen (77). Nach einer allgemeinen Erläuterung zum Inkognito werden Wittelsbacher Fallbeispiele vom 16. bis zum 18. Jahrhundert geschildert. Barth fokussiert auch auf die Reise Karl Albrechts und skizziert dessen Inkognito im Spiegel des Zeremoniells. Der Essay Harriett Rudolphs beschreibt den grundlegenden Rahmen. Sie erläutert die politischen Verhältnisse Kurbayerns um 1700, den steilen Aufstieg des ehrgeizigen Max II. Emanuel, seinen tiefen Fall (Reichsacht) und den steinigen Weg zurück auf das europäische Politikparkett. Die Kurprinzenreise nach Italien diente dabei der Konsolidierung bayerischer Stärke. Stephan Deutingers Beitrag legt den Fokus auf den Hauptakteur Karl Albrecht. Erläutert wird die ihm 1706 vom Kaiser aufgezwungene Reise von Bayern nach Kärnten in sein (Kinder-)Exil. Deutingers Quellenauswertung spiegelt dabei alle Wirrungen und Irrungen des jungen Kurprinzen wieder.

Als kulturgeschichtliche Inputs sind die Essays von Evelyn Korsch (Empfangszeremoniell der Serenissima) und von Tobias Weißmann (Herrscherbesuche Venedigs) zum festlichen Rahmenprogramm bei Venedig-Besuchen vom 15. bis 18. Jahrhundert zu werten. Anhand namhafter Reisender wird das standardisierte Regelwerk der Begrüßung, Einholung und des gebotenen Unterhaltungsreigens beschrieben. Einem interessanten kulturgeschichtlichen Aspekt musikalischer und tänzerischer Unterhaltung beim Venedigbesuch Karl Albrechts widmet sich Andrea Zedler. Sie arbeitet darin gekonnt die Lösung des zeremoniell heiklen Problems des gleichzeitigen Aufenthaltes des Wittelsbachers und seines "Amtskollegen", Kurprinz Friedrich August von Sachsen, heraus. Ebenfalls als Inputs verstehen sich die Texte von Carola Finkel (Barocke Tanzkultur) und von Eva-Bettina Krems (Kunstgenuss auf Reisen). Finkel bespricht die Tanzmoden um 1700 und greift pointiert den Tanz während der Kurprinzenreise heraus. Da Finkel auch auf Karls spätere Reisen eingeht, ist nicht immer klar, um welche Reise es sich handelt. Bedauerlicherweise ergaben sich - vom Lektorat vermeidbar - Verallgemeinerungen (294, 299, 304). Bei Krems hingegen vermisst man, trotz interessanter Denkanstöße, den Bezug zum Tagungsthema.

Matthias Schnettger liefert mit dem Überblick zum Papsttum und zur Person Clemens XI. (Stärken und Schwächen) wieder ein Rahmenthema. Darauf aufbauend versteht sich der Beitrag von Jörg Zedler zum Rom-Aufenthalt Karl Albrechts. Detailliert arbeitet Zedler den Auftritt des Wittelsbachers (trotz Inkognito) heraus, verweist auf die vom väterlichen Kurfürsten ob des Pontifex-Besuches erhofften Resultate, die das traditionell enge Bündnis zwischen München und Rom bestätigen und erneuern sollten. Jörn Steigerwald versucht Karl Albrechts Diarien unter literaturwissenschaftlichen Gesichtspunkten einer literarischen Gattung zuzuordnen. Gepaart ist seine Darstellung mit der Suche nach einer Definition für das Reisetagebuch an sich. Hierfür zieht er Vergleiche mit den Ikonen der Reiseliteratur aus der Familie Goethe und von Johann Gottfried Herder. Den Abschluss bestreitet Holger Kürbis mit den Reisebeschreibungen Friedrich von Sachsen-Gothas 1667/68 und der berechtigten Sinnfrage einer Quellenedition. Die begrüßenswerte und wichtige Vorstellung stellt leider einen Fremdkörper dar, da weder eine thematische, personelle noch eine zeitliche Klammer zu Karl Albrecht von Bayern besteht.

Insgesamt liefern die vielfältigen Beiträge einen guten Überblick über die politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Umstände der Kurprinzenreise von 1715/16. Durch eine sorgfältigere Reihung der Beiträge hätten das Verständnis und die Lesbarkeit des Bandes gewonnen. Zu bedauern ist auch die zu starke Fokussierung auf den Venedig-Aufenthalt, man vermisst die übrigen Reisestationen wie Neapel, Florenz und Mailand. Im Allgemeinen verfügen die Beiträge über eine ausreichende Länge und haben erfreulicherweise jeweils an ihrem Ende die Literaturangaben im Langzitat. Der jeweilige Anmerkungsapparat ist ausgewogen unter Berücksichtigung durchwegs rezenter fachspezifischer Forschungsliteratur. Dem Umfang des Sammelbandes ist es geschuldet, dass man auf weiteres erklärendes Bildmaterial verzichtete, was der Textlastigkeit entgegengewirkt hätte.

Den beiden Herausgebern ist zu ihrer Unternehmung zu gratulieren. Der Sammelband verdeutlicht eindringlich, dass ein (kleines) historisches Ereignis aus unterschiedlichen Disziplinen beleuchtet, verschiedene Denkanstöße und Sichtweisen erzeugen kann. Mögen weitere kulturhistorisch so wichtige Unternehmungen dieser Art folgen.


Anmerkung:

[1] Peter Diemer: Vergnügungsfahrt mit Hindernissen. Erzherzog Ferdinands Reise nach Venedig, Ferrara und Mantua im Frühjahr 1579, in: Archiv für Kunstgeschichte 66 (1984), 249-314.

Thomas Kuster