Rezension über:

Martin Skoeries: Flye or dye for the truithe. Vernetzung englischer Protestanten während der Regentschaft Maria Tudors (1553-1558) (= Wege zur Geschichtswissenschaft), Stuttgart: W. Kohlhammer 2017, 301 S., 41 s/w-Abb., ISBN 978-3-17-030693-6, EUR 49,00
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Rezension von:
Dieter Berg
Bochum / Hannover
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Dieter Berg: Rezension von: Martin Skoeries: Flye or dye for the truithe. Vernetzung englischer Protestanten während der Regentschaft Maria Tudors (1553-1558), Stuttgart: W. Kohlhammer 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 7/8 [15.07.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/07/30071.html


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Martin Skoeries: Flye or dye for the truithe

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Die vorliegende Leipziger Dissertation (2014/15) beschäftigt sich mit der Religionspolitik Maria I. Tudors, die bereits Gegenstand zahlreicher einschlägiger Studien war und wegen der die Monarchin eine der umstrittensten englischen Herrscherinnen ist (Bloody Mary). In Anbetracht des komplexen Forschungsstandes wählt der Autor eine neue Problemstellung - nämlich eine Untersuchung der "Vernetzung englischer Protestanten" unter Marias Herrschaft. Der Verfasser betont zutreffend das Potential seines Ansatzes für die Historische Wissenschaft. Hierbei strebt er die Darstellung des Aufbaus eines Gesamtnetzwerkes an, gefolgt von der Analyse seiner einzelnen Segmente und ihrer Funktionalität (s. Einleitung). Neu ist auch die Quellengrundlage der Studie, nämlich vor allem Korrespondenzen englischer Protestanten, d.h. ca. 500 z.T. unedierte Briefe aus den Jahren 1553-58, deren Autoren jedoch nicht immer genannt werden (272). Hinzu kommen personengeschichtliche Quellen, wie das berühmte Werk von John Foxe über protestantische Märtyrer (Acts and Monuments, seit 1652). Aus diesen Materialien kann der Verfasser für ca. 950 Personen biografisch relevante Informationen in eine Datenbank einspeisen, hierbei vielfältige Verknüpfungen erarbeiten und höchst unterschiedliche Einzelnetzwerke konstituieren. Zugleich versucht der Autor zu klären, welchen Repressionen diese Gesellschaftsgruppe durch die Krone ausgesetzt war, in welcher Weise diese Personen hierauf reagierten und welches Instrumentarium zum Überleben entwickelt wurde.

Nach einer sehr knappen Würdigung der umfangreichen Forschungsliteratur widmet sich der Verfasser im ersten Hauptteil seiner Untersuchung dem "Aufbau des Netzwerkes" aufgrund der genannten personenbezogenen Daten. Hierbei ergaben sich ca. 4050 Beziehungen zwischen ca. 950 Personen (unter ihnen zahlreiche Frauen), die sich in jeweiligen Netzwerken mit (sieben) höchst unterschiedlichen Funktionen manifestierten (u.a. Geldbeschaffung, Informationsübermittlung, Widerstandsförderung). Auch genauere Informationen über die Akteure vermag der Autor zu gewinnen - etwa über die Altersstruktur der Gemeinschaften (zumeist 25-40 Jährige), die soziale Herkunft der Beteiligten (Dominanz von Gentry bzw. Hohem Adel, Gelehrten, Klerus sowie Handwerkern) und die verschiedenen Typen von Repressionsopfern (in sogenannten "Sphären"). Zugleich wird die Dynamik im Netzwerk betont, das stark von einzelnen Persönlichkeiten geprägt erscheint (wie Bradford, Foxe).

Im zweiten Hauptteil verdeutlicht der Verfasser die "Funktionalität des Netzwerkes", indem er dessen verschiedene Elemente und deren jeweilige Wirkungsweise untersucht. Hierbei wird die Bedeutung von Korrespondenz und Propaganda für die Verbindung sowohl der verschiedenen Handlungspartner in England als auch in den Exilgemeinden auf dem Kontinent (u.a. in Emden, Frankfurt, Basel, Genf) herausgearbeitet, deren jeweilige Existenz von dem Fortbestand des Netzwerkes abhing. Dies gilt auch für die protestantischen Konspirationen und Aufstandsversuche (u.a. von Wyatt, Dudley), die zwar alle fehlschlugen, jedoch katholische Gegenmaßnahmen (u.a. Repressionen, Infiltrationsversuche) auslösten. Hierbei wird die Politik der Königin jedoch allzu statisch und weitgehend auf Maria fixiert dargestellt, obwohl deren Religionspolitik tendenziell einem Wandel unterlag und von unterschiedlichen Gruppierungen (u.a. Fraktionen, Beichtvätern, Bischöfen) beeinflusst wurde.

Der dritte Hauptteil des Werks behandelt die "kulturelle Dynamik des Netzwerkes", womit der Autor vor allem die Auswirkungen des Netzwerkes auf das Schicksal der Protestanten in England und auf die Ausbildung eines "religiösen Konformismus" bzw. "Nonkonformismus" meint. Zu Recht wird die Grundlegung der späteren Zersplitterung des englischen Protestantismus während der Regierung Marias ebenso betont wie die anhaltenden Diskussionen um Dissimulantentum, Widerstandsrecht und Tyrannenmord, welche die Stabilität des Netzwerkes beeinträchtigten. Ergänzungsbedürftig sind hingegen die Ausführungen des Verfassers über die Entstehung einer "nationalen Identität" bzw. eines "Nationalbewusstseins", wobei dem Werk von Foxe (Acts) zutreffend eine "Katalysatorfunktion" zugewiesen wird. Hier wie in anderen Kapiteln (u.a. über Rebellionen) sollte das Netzwerk nicht nur als weitgehend geschlossenes System analysiert, sondern sollten zudem "externe Faktoren" berücksichtigt werden, die auf dieses einwirkten (wie etwa Außenpolitik und die Rolle des spanischen Gatten Philipp II.). Dies betraf vor allem die seit Heinrich VIII. bestehende Kontinuität von Invasionsbedrohungen durch ausländische katholische Herrscher und (für Maria) die Furcht der Öffentlichkeit (d.h. nicht nur bei Protestanten) vor möglicher spanischer Einflussnahme auf die englische Religions- und Außenpolitik (insbesondere durch Philipp II.). Unklar bleibt bis heute, in welchem Maße außer dem Gatten höfische Berater (u.a. Beichtväter) und Kirchenfürsten (wie Bonner) auf die religionspolitischen Maßnahmen, aber auch auf ihre außenpolitischen Entscheidungen (etwa den Krieg gegen Frankreich) Einfluss genommen haben. Zweifellos beförderte allein schon der Verdacht einer derartigen spanischen Einflussnahme die Geschlossenheit der englischen Protestanten bzw. ihres Netzwerkes und die Entstehung eines englischen Nationalgefühls. Wahrscheinlich ist zudem, dass diese "externen Faktoren" in der Interaktion mit dem Netzwerk auf dasselbe eingewirkt und entsprechende Reaktionen (u.a. Rebellionen) ausgelöst haben.

Ungeachtet der genannten Ergänzungswünsche wird man vorliegendes, gründlich erarbeitetes Werk, dessen Ergebnisse der Autor in einem kurzen Schlusskapitel zusammenfasst, als wichtigen Beitrag sowohl zur Erforschung der Regierung Maria Tudors als auch zur englischen Reformationsgeschichte betrachten dürfen, die erst unter der Nachfolgerin Elisabeth I. einen Höhepunkt erfuhr. Es ist dem Verfasser gelungen, in einer Vielzahl an prosopografischen Studien den Verlauf der englischen Reformation unter Maria besser zu erhellen und auch die Mechanismen zu verdeutlichen, mit denen die englischen Protestanten ihren Glauben und ihre Existenz in einer Zeit anhaltender Bedrohungen sicherten. Überzeugend wurde nachgewiesen, in welchem Maße das Überleben und der Fortbestand des englischen Protestantismus von der Existenz und der Funktionsfähigkeit des vom Verfasser ausführlich analysierten protestantischen Netzwerkes abhing.

Dieter Berg