Edith Koller: Strittige Zeiten. Kalenderreformen im Alten Reich 1582-1700 (= Pluralisierung & Autorität; Bd. 41), Berlin: De Gruyter 2014, 593 S., ISBN 978-3-11-035891-9, EUR 129,95
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Die aktuelle Diskussion um die Abschaffung der Sommerzeit in Europa hat in einer breiten Öffentlichkeit in Erinnerung gerufen, dass Zeit ein gesellschaftliches Konstrukt ist, über das sich trefflich streiten lässt. Für Historiker ist das ein altbekanntes Phänomen, das gerade in den letzten Jahren wieder intensiver untersucht wurde. [1] Neben den eher sachlichen Diskussionen um die Angleichung von Zeitzonen und die Abstimmung von Eisenbahn- oder Schifffahrtsfahrplänen im 19. Jahrhundert gelten die heftigen Auseinandersetzungen um die 1582 von Papst Gregor XIII. präsentierte Kalenderreform als klassisches Beispiel für die Sprengkraft des Themas.
Die Ungenauigkeiten des traditionellen Julianischen Kalenders wie auch des gebräuchlichen Mondkalenders hatten zu einer so erheblichen Abweichung vom natürlichen Lauf der Gestirne geführt, dass die exakte Festlegung der kirchlichen Feiertage nahezu unmöglich geworden war. Durch den Sprung von Donnerstag, dem 4. Oktober auf Freitag, den 15. Oktober sollte das korrigiert und durch die Einführung einer neuen Schaltjahresregelung zukünftige Abweichungen minimiert werden. Der vehemente Streit um die Übernahme dieser Reform findet sich als Beispiel für die Spannungen des konfessionellen Zeitalters in den meisten Handbüchern, die sich mit dem ausgehenden 16. Jahrhundert beschäftigen. Oft enden die Darstellungen mit der Feststellung, dass sich die protestantischen Stände im Deutschen Reich geschlossen der Einführung des als papistisch diffamierten "Gregorianischen" Kalenders widersetzten. Die Fortsetzung des Streits und der Weg zur erst im Jahr 1700 vollzogenen Angleichung der Kalendersysteme in Deutschland wird in aller Regel nicht mehr behandelt.
Diese Lücke schließt die bei Winfried Schulze in München entstandene Dissertation von Edith Koller. Auf der Grundlage einer breiten Analyse der zeitgenössischen Publizistik wird die öffentliche Diskussion um das Thema sowie die teilweise umständliche politische Willensbildung nachgezeichnet. Die Verfasserin spannt den Bogen von den ersten gelehrten Abhandlungen zum Für und Wider der Kalenderreform bis zur Einigung auf die gemeinsame Akzeptanz des "Verbesserten Reichskalenders" im Jahr 1700. Sie macht dabei deutlich, dass der Gregorianische Kalender weder sofort und einhellig von katholischer Seite eingeführt noch geschlossen von evangelischer Seite abgelehnt worden ist. Auf beiden Seiten gab es aktive Verfechter der jeweiligen Extrempositionen - Herzog Maximilian I. von Bayern bei den Katholiken und Landgraf Wilhelm IV. von Hessen im evangelischen Lager. Und auf beiden Seiten gab es kompromissbereite Stände, so den Kurfürsten von Sachsen oder den Erzbischof von Trier. Solange die Einführung des neuen Kalenders als geistlich-religiöser Akt verstanden wurde und als Werkzeug der "Gegenreformation" genutzt oder zumindest interpretiert werden konnte, hatten die moderaten Kräfte jedoch keine realistische Erfolgschance.
Der Streit um die Einführung des neuen Kalenders fungierte oft als Katalysator, der - wie das beim Augsburger Kalenderstreit 1583/84 der Fall war - grundlegendere Konflikte aufbrechen ließ. [2] Es ist ein wesentliches Verdienst von Edith Koller, die hinter den bekannten täglichen Konflikten um Feiertage, doppelte Tagesangaben etc. stehenden Spannungslinien aufzudecken und außerdem deutlich zu machen, dass es den evangelischen Ständen auch mit Rücksicht auf ihr Ansehen und ihre Stellung im Reich zunehmend unmöglich war, die katholische Kalenderreform, deren astronomische Richtigkeit kaum in Zweifel gezogen wurde, einfach zu übernehmen. Ebenso ertragreich sind die Abschnitte, in denen der Weg zur mühsam errungenen Angleichung der Kalendersysteme beschrieben und die besondere Rolle des Jenaer Professors für Mathematik Erhard Weigel herausgearbeitet wird.
Dass es letztlich einer Verbindung neuerlicher lokaler Konflikte, wie z.B. des Kalenderstreits in Marktbreit, mit erneuten Kompromissverhandlungen auf der Ebene des Reichstages bedurfte, wird in den abschließenden Kapiteln deutlich. Entscheidend für den Erfolg der vor allem von Sachsen vorangetriebenen politischen Bemühungen war - wie die Verfasserin auf der Grundlage umfangreichen Archivmaterials überzeugend darstellt -, dass man von der viele Jahre lang aufrecht erhaltenen Forderung nach einem gemeinsamen Beschluss von Kaiser und Reichsständen abging und die Einführung des Neuen Reichskalenders ausdrücklich als eine Reform kraft landesherrlicher Autorität bezeichnete. Sowohl der jahrzehntelange politische Streit als auch dieser Kompromiss verweist "auf die Bedeutung, die die 'Autorität über die Zeit' für die Ausübung von Herrschaft spielt" (536). Neben diesen analytischen Erkenntnissen besteht der besondere Wert der Monografie von Edith Koller darin, ein umfassendes Koordinatensystem für alle weiteren Beschäftigungen mit diesem Thema zu bieten. Insbesondere regionalgeschichtliche Untersuchungen lassen sich jetzt sehr viel besser in den großen Rahmen des Streits um die Zeit in Deutschland und Europa einordnen.
Anmerkungen:
[1] Dietmar Schiersner (Hg.): Zeiten und Räume - Rhythmus und Region (= Forum Suevicum. Beiträge zur Geschichte Ostschwabens und der benachbarten Regionen; Bd. 11), Konstanz 2016.
[2] Bernd Roeck: Eine Stadt in Krieg und Frieden. Studien zur Geschichte der Reichsstadt Augsburg zwischen Kalenderstreit und Parität, Bd. 1, Göttingen 1989, 125-188.
Peer Frieß