Ingė Lukšaitė: Die Reformation im Großfürstentum Litauen und in Preußisch-Litauen. (1520er Jahre bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts), Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2017, 662 S., 5 Farb-, 20 s/w-Abb., 4 Tabl., ISBN 978-3-96023-064-9, EUR 49,00
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Die im Sommer 1997 abgeschlossene Habilitationsschrift der bekannten, am Institut für Litauische Geschichte in Vilnius arbeitenden litauischen Reformationsforscherin Ingė Lukšaitė [1] liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor. Die Geschichte der evangelischen Kirche in Litauen reicht bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts. Ein zweiter, die Jahre 1610 bis 1655 umfassender Teil sollte folgen. [2] Das umfangreiche Werk ist in zehn Kapitel unterteilt. Dabei geht die Autorin zweigleisig vor. Sie beginnt nach einführenden Kapiteln (Quellen und Ursachen der Reformation) mit der Entstehung der lutherischen Landeskirche im Herzogtum Preußen, zu dem ein umfangreiches Gebiet mit litauischsprachiger Einwohnerschaft gehörte, das sogenannte Kleinlitauen oder Preußisch-Litauen; diesem Teil sind die Kapitel III, V, VI und VIII gewidmet. Im Großfürstentum Litauen (Kapitel II, IV, VII, IX) blieb der Großfürst und polnische König katholisch; vor allem reformierte Strömungen mit ihrer presbyterial-synodalen Struktur fanden aber bei einflussreichen Adligen Annahme und Unterstützung.
Lukšaitė versucht, "einen Beitrag zur Erforschung der litauischen Kulturgeschichte unter Berücksichtigung des Kontextes der Kulturentwicklung anderer Völker zu leisten" (50). Dabei legt sie den Schwerpunkt auf den baltischen Teil der Gesellschaft, die ruthenische, meist orthodoxe Bevölkerung des Großfürstentums Litauen (bis 1569) wird, ebenso wie die katholische, nicht untersucht. Auch die vielfältigen Beziehungen zu den Evangelischen im Königreich Polen werden nur am Rande gestreift, was die evangelischen Litauer etwas im "isolierten Raum" lässt.
Die Reformation im Großfürstentum Litauen unterteilt Lukšaitė in vier Phasen: 1. Der Beginn der Bewegung in den 30er- und 40er-Jahren des 16. Jahrhunderts (Kapitel IV); 2. Eine zweite Welle der Reformation in den 50er- und 60er-Jahren des 16. Jahrhunderts (Kapitel VII); 3. Die Zeit des Gleichgewichts zwischen verschiedenen Denominationen von den 70er-Jahren des 16. Jahrhunderts bis in das erste Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts (Kapitel IX); und 4. Die Endphase und Schwächung der Reformation und die Reform der katholischen Kirche bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts. Im abschließenden Kapitel X untersucht Lukšaitė die Auswirkungen der reformatorischen Strömungen auf die Gesellschaft im Großfürstentum Litauen, das Verhältnis zum Staatsbildungsprozess und das Entstehen kultureller Neuerungen.
Die Autorin ist Spezialistin für litauische Sprache, Literatur und Bücherkunde, das zeigt sich auch in diesem Werk. Weniger ging es ihr um theologische Auseinandersetzungen oder internationale Verflechtungen. Das Buch ist eine großartige Materialsammlung, die noch immer ihren Wert hat. Lukšaitė kennt sich in der Materie aus und verfügt über die nötigen Sprachkenntnisse (litauisch, deutsch, lateinisch, polnisch, russisch). Es ist also sehr zu begrüßen, dass einem deutschsprachigen Publikum, das die Reformation gern allein im eigenen Lande sieht, nun eine weitere europäische Komponente offen steht. Doch muss man anmerken, dass die Forschungen in den letzten zwanzig Jahren nicht stehen geblieben sind.
Zu nennen sind da etwa die Studien von Kęstutis Daugirdas zu Andreas Volanus (2008) und dem Sozinianismus (2016), von Dainora Pociūtė zu den Verbindungen zwischen den litauischen und italienischen Evangelischen (2008) und von Mathias Niendorf zur Nationsbildung (2006). Tomasz Kempa arbeitete zu religiösen Konflikten in Vilnius (2016) und Jakub Niedźwiedź über den Büchergebrauch in Vilnius im 16. Jahrhundert (2013). Zu den Orthodoxen im Großfürstentum Litauen forschten Marzena Liedtke (2004) und Margarita A. Korzo (2007). Zum 500-jährigen Reformationsjubiläum erschienen die Sammelbände Reformatio Baltica. Kulturwirkungen der Reformation in den Metropolen des Ostseeraums (2017) und Baltisch-deutsche Kulturbeziehungen vom 16. bis 19. Jahrhundert. Medien - Institutionen - Akteure (2017).
Den Wert des zu besprechenden Buches schmälert die Übersetzung, die eine redaktionelle Überarbeitung erfordert hätte. Man vergleiche nur den Abschnitt auf Seite 267f. mit einer anderen deutschen Fassung. [3] Es ist hier nicht der Platz, alle terminologischen Fehler aufzulisten: Sejm ist Reichstag und nicht Landtag (509), Synode ist nicht Kongress (486), 1596 gab es eine Synode in Brest und keinen Landtag (483), salutio angelica übersetzt man als Ave Maria (466), zbór steht für evangelische Kirche(ngemeinde), nicht Versammlung (456), dapifer ist ein Truchsess und kein Speisemeister (253), Michael Gittich (minister verbi) war ein bedeutender Theologe (478), Akten der Provinzialkapitel sind keine Konventsprotokolle (137), Hilarius war kein Papst (640), ein Nuntius (reverenda dominatio tua) wird mit "Ehrwürdige Exzellenz" angeredet (564) usw.
Die Quellenzitate entsprechen oft nicht der Aussage des Urtexts, da sie vom lateinischen oder italienischen Original über eine polnische Edition ins Litauische und von dort wieder ins Deutsche übersetzt wurden (469). Auch Buchzitate erinnern an "Stille Post", hier wurde der englische Originaltext aus polnischer Übersetzung ins Litauische übertragen und von dort in ein wenig verständliches Deutsch (532). Ebenfalls sind die Übersetzungen aus dem Lateinischen oft falsch. Ein Beispiel: "Eine Ermunterung an die Brüder Minister zu einem schnellen und einfachen Frieden" (489) sollte heißen "Kurze und einfache Ermahnung an die evangelischen Brüder, die Vereinbarung zu akzeptieren". Dazu kommen Abschreibfehler wie weitschweissige / weitschweiffige, aktesambt / allesambt (329).
Die Register mögen politisch korrekt intendiert sein, erzeugen aber eher Verwirrung. Als Beispiel diene die Familie Chodkevičiai (637), die in weißrussischer Form als Erstnennung aufgeführt ist (allerdings ohne das dazugehörige y). Danach folgen zwei litauische Schreibweisen, dann die lateinische und abschließend die ukrainische (hier fälschlicherweise mit w statt v); das polnische Chodkiewiczowie fehlt. Übrigens sind im Text ständig vier Namensformen wiederholt (248). Ähnliche Schwierigkeiten bereitet das Ortsregister: Choulchla (654) ist nicht auffindbar, weißrussisch ist es Хоўхлава / Choŭchlava oder polnisch Chołchło; Ašmjany hat man unter O zu suchen (658); lettische Orte heißen Jelgava, Kuldīga und Sēlpils (alle 467) etc. Schade.
Anmerkungen:
[1] Ingė Lukšaitė: Reformacija Lietuvos Didžiojoje Kunigaikštystėje ir Mažojoje Lietuvoje: XVI a. trečias dešimtmetis - XVII a. pirmas dešimtmetis, Vilnius: Baltos lankos 1999, 647 S., ISBN 9986-861-76-4. Eine 65-seitige deutschsprachige Zusammenfassung unter dem Titel: Reformation im Grossfürstentum Litauen und in Kleinlitauen. 20er Jahre des 16. Jh. bis zum ersten Jahrzehnt des 17. Jh., Vilnius 2000.
[2] Rezension von Arthur Hermann in Annaburger Annalen 7 (1999), 215-220.
[3] Ingė Lukšaitė: Die reformatorischen Kirchen Litauens bis 1795, in: Die reformatorischen Kirchen Litauens: Ein historischer Abriss, hgg. v. Arthur Hermann / Wilhelm Kahle, Erlangen 1998, 19-136, hier 55f.
Almut Bues