Martin Lücke / Irmgard Zündorf (Hgg.): Einführung in die Public History, Stuttgart: UTB 2018, 207 S., 8 s/w-Abb., 2 Tbl., ISBN 978-3-8252-4909-0, EUR 17,99
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Juliane Brauer / Martin Lücke (Hgg.): Emotionen, Geschichte und historisches Lernen. Geschichtsdidaktische und geschichtskulturelle Perspektiven, Göttingen: V&R unipress 2013
Bettina Alavi / Martin Lücke (Hgg.): Geschichtsunterricht ohne Verlierer!? Inklusion als Herausforderung für die Geschichtsdidaktik, Schwalbach: Wochenschau-Verlag 2016
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International und insbesondere im anglo-amerikanischen Sprachraum ist Public History bereits seit Jahrzehnten etabliert. Seit den 2000er Jahren und im Gefolge eines anhaltenden Geschichtsbooms entwickelt sie sich auch an deutschen Universitäten zu einem eigenständigen Teilbereich der Geschichtswissenschaft. Als interdisziplinäres Feld mit starken Schnittmengen zur Geschichtsdidaktik, die sich schon länger mit außerschulischen Formen von Geschichte befasst, analysiert die universitäre Public History Repräsentationen von Geschichte im öffentlichen Raum. Zugleich eröffnet sie der Mehrzahl der Absolventinnen und Absolventen der Geschichte, die nicht in die Wissenschaft oder das Lehramt streben, eine strukturierte und praxisorientierte Perspektive in einschlägige Berufsfelder außerhalb der Akademie.
2005 startete die Freie Universität Berlin in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam das erste Public-History-Masterprogramm in Deutschland. Im Zuge der Ausweitung des Feldes entstanden und entstehen weiterhin neue Studienangebote an unterschiedlichen Orten. Sie ermöglichen einer zunehmenden Zahl an Studierenden das Studium der Public History. Doch auch klassische Angebote im Feld der Geschichte integrieren zunehmend Elemente der Public History wie praxisbezogene Projektseminare und berufsorientierende Angebote in ihre Curricula. Die aus dem Berliner-Potsdamer Kontext stammende Einführung in die Public History von Martin Lücke und Irmgard Zündorf zielt somit auf einen wachsenden Adressatenkreis auch außerhalb des eigenen Studiengangs und richtet sich indirekt auch an Praktikerinnen und Praktiker im Feld, die ihre Praxis reflektieren und professionalisieren möchten.
International haben auf dem Gebiet der Public History in den vergangenen Jahren Cherstin M. Lyon et alii, Faye Sayer und Thomas Cauvin einführende Übersichten vorgelegt. [1] Für Deutschland, das im Vergleich insbesondere zu den USA und Großbritannien einen eigenen Weg noch finden muss, fehlte ein solcher Versuch bislang. Der hier vorgelegte Band schließt somit eine Lücke und ist zugleich ein weiterer Baustein im Prozess der fortschreitenden Institutionalisierung der Public History in Deutschland.
Lücke und Zündorf unternehmen mit ihrer Einführung eine umfassende Verortung der Public History in historischer, begrifflicher, methodisch-theoretischer und berufsfeldbezogener Perspektive. Dass bei der hier angelegten Breite die wünschenswerte Tiefe kaum geleistet werden kann, ergibt sich aus dem begrenzten Umfang des Bandes und dessen einführendem Charakter. Im Bewusstsein dieser Einschränkung verweisen Lücke und Zündorf im Anschluss an jedes Kapitel und in einem abschließenden Literaturverzeichnis auf weiterführende Literatur, die einen tieferen Einstieg in die einzelnen Themen und Felder ermöglicht.
Im ersten Kapitel wird zunächst die Geschichte der Public History ausgehend von den USA und insbesondere in Deutschland skizziert. Die Autorin und der Autor referieren anschließend unterschiedliche Definitionen für Public History und bieten somit eine vielschichtige Annäherung an das Feld in internationaler Perspektive, die dessen Vielfalt gut dokumentiert und anschaulich macht. Anschließend werden Erinnerungs- und Geschichtskultur als zentrale erkenntnisleitende Konzepte für Geschichte in der Öffentlichkeit dargelegt und Public History somit überzeugend an der Schnittstelle von Geschichtsdidaktik und Geschichtswissenschaft verortet.
Dieses Zusammenspiel wird im zweiten Kapitel inhaltlich weiter vertieft und gelingt überzeugend. Die Autoren führen auf verständliche Weise in (nicht nur) geschichtsdidaktische Schlüsselbegriffe und -konzepte wie Narrativität, historisches Lernen, historische Imagination und Multiperspektivität ein und entwickeln darüber einen analytischen und leitenden Rahmen für Geschichtsprodukte und deren Herstellung im Feld der Public History. Dieser wird ergänzt um die aktuell relevanten gesellschaftlichen Dimensionen Diversität und Inklusion. Auch wenn der hier skizzierte Rahmen zumindest für die Ebene der Analyse vielleicht etwas zu normativ ausfällt: An ihm werden sich künftige Entwürfe orientieren oder zumindest abarbeiten müssen. Es ist in jedem Fall ein Verdienst dieser Einführung, hier einmal einen verbindlichen Vorschlag vorzulegen.
Im Feld der Geschichtswissenschaft sucht der Band im dritten Kapitel den Anschluss an zum Teil jüngere, moderne Spielrichtungen historischer Forschung. Die hier behandelten Ansätze in den Feldern Materielle Kultur, Visual und Sound History, Oral History und Living History sind tatsächlich für öffentliche Geschichtssorten besonders einschlägig. So dienen Objekte, Bilder, Sound, Zeitzeugen sowie theatrale, performative Praktiken häufig als Inszenierungsmittel für populäre, unterhaltsame, kommerziell ertragreiche, einer breiteren Öffentlichkeit leicht zugängliche Geschichtssorten. Dass Text auch weiterhin relevant bleibt, berücksichtigt der Band, indem beispielhaft Textmedien wie historischer Roman, historisches Sachbuch und Geschichtszeitschriften vorgestellt werden, die ja bereits wieder den Übergang darstellen zu visuellen Formen der Geschichtsdarstellung. Mit den ebenfalls vorgestellten Geschichtssorten Comic, Film und Fernsehen, digitalen Medien, Museen und Gedenkstätten (Kapitel 4 und 5) werden zudem Handlungsfelder für Public Historians produktorientiert vorgestellt. Auf diese Weise liefert der Band auch eine mehrdimensionale berufliche Orientierung für einschlägige Berufsfelder für Historikerinnen und Historiker und stellt damit durchaus eine Ergänzung, Erweiterung und Aktualisierung dar von zumindest zum Teil langsam in die Jahre kommenden Berufsorientierungen auf dem Markt. [2]
Der Band schließt mit einer stark phänomenologischen Darstellung gegenwärtiger Praktiken in der Public-History-Lehre (Kapitel 6). Lücke und Zündorf diagnostizieren hier eine stets enge Verzahnung von Theorie und Praxis, die Inkludierung geschichtsdidaktischer Konzepte, Theorien und Methoden, sowie eine starke Praxis- und Produktorientierung in den existierenden Studienangeboten. Ausführungen über den möglichen Karriereweg vom Studium über Praktika bis hin zu Promotionen sowie Möglichkeiten und thematische Perspektiven für Masterarbeiten werden beschrieben. Gerade das letzte Kapitel erscheint so als eine Art Studien- und Karriereberatung und kann eventuell Impulse für eine aktive Gestaltung des eigenen Studiums auch außerhalb von Public-History-Studienangeboten setzen. Die hier noch einmal in anderer Perspektive vorgestellten Berufsfelder in den "Medien" wie Print, Radio, Film, aber auch Verlage, Museen, Gedenkstätten, Politik, Stiftungen bis hin zur Privatwirtschaft bieten gute Erstorientierungen in wichtige Tätigkeitsfelder für Historikerinnen und Historiker außerhalb von Universität und Schule.
Insgesamt führt der Band kompakt und überzeugend in die deutsche Public History ein. Dabei werden die wesentlichen Akteure, Institutionen, Verbände und Organisationen, Zeitschriften und andere Publikationsorgane vorgestellt, sodass die Leserinnen und Leser nicht nur Entwicklungslinien nachvollziehen können, sondern sich zugleich auch orientierend eine Übersicht über die wesentlichen Handlungsfelder und Vernetzungsmöglichkeiten verschaffen können. Dies gilt nicht nur für den Teil der historischen Ausführungen, sondern auch für die exemplarischen Ausflüge in einzelne Berufs- und Tätigkeitsfelder. Auf den rund 200 gut und verständlich geschriebenen Seiten werden somit zahlreiche hilfreiche und weiterführende Orientierungs- und Vertiefungsangebote unterbreitet. Der Band verweist auf wesentliche Themen und Felder, die in der gegenwärtigen Public History eine Rolle spielen, führt die zentral beteiligten Fächer forschungspraktisch zusammen und behandelt auch ethische Fragen wie die unter Umständen problematischen ökonomischen Abhängigkeiten von Auftraggebern im Privatsektor oder etwaige Zweifel an der geschichtswissenschaftlichen Qualität von öffentlichen Geschichtsrepräsentationen. Mehr kann von einer ersten Einführung in ein so junges und sich dynamisch entwickelndes Feld wie die Public History gegenwärtig kaum erwartet werden.
Was neben einer eigenständigen Theoriebildung im Feld Public History allerdings auch nach dieser Einführung ein Desiderat bleibt, ist eine Antwort auf die Frage, was für ein Kompetenzprofil Public Historians in ihrer universitären Ausbildung eigentlich erwerben sollen und was bei aller Spezialisierung in den einzelnen Berufs- und Tätigkeitsfeldern die gemeinsamen Inhalte und Qualifizierungsziele eines allgemeinen Public-History-Studiums sein können und sollten. Diese Fragen richten sich allerdings nicht an die Public History allein, sondern sind von grundsätzlicher Natur auch für die Frage, was die universitäre Geschichtswissenschaft im 21. Jahrhundert überhaupt will und soll. Für diese Debatte wird die hier vorgelegte Einführung einen relevanten Beitrag leisten können.
Anmerkungen:
[1] Cherstin M. Lyon / Elizabeth M. Nix / Rebecca K. Shrum: An introduction to public history. Interpreting the past, engaging audiences, Lanham 2017; Thomas Cauvin: Public History. A Textbook of Practice, New York 2016; Faye Sayer: Public History. A Practical Guide, London 2015; siehe auch Cord Arendes: Rezension zu: Lyon, Cherstin M.; Nix, Elizabeth M.; Shrum, Rebecca K.: Introduction to Public History. Interpreting the Past, Engaging Audiences. Lanham 2017, in: H-Soz-Kult, 14.11.2017, www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-28349 (zuletzt aufgerufen am 22.11.2018); und Cord Arendes: Rezension zu: Cauvin, Thomas: Public History. A Textbook of Practice. New York 2016 / Sayer, Faye: Public History. A Practical Guide. London 2015, in: H-Soz-Kult, 10.03.2017, www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-26230 (zuletzt aufgerufen am 22.11.2018).
[2] Mareike Menne: Brotgelehrte. Andere berufliche Perspektiven für Geisteswissenschaftler, Salzkotten 2016; dies.: Brotgelehrte 2, Borchen 2017; dies.: Berufe für Historiker, Stuttgart 2010; Margot Rühl (Hg.): Berufe für Historiker, Darmstadt 2004.
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