Ian Forrest: Trustworthy Men. How Inequality and Faith Made the Medieval Church, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2018, XIV + 504 S., eine Kt., 12 s/w-Abb., 4 Tbl., ISBN 978-0-691-18060-1, GBP 35,00
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Ziel des vorliegenden Bandes ist es, für die spätmittelalterliche Kirche eine Art neuerer Institutionengeschichte zu schreiben, in der gleichermaßen religiöse, sozio-kulturelle, politische und wirtschaftliche sowie letztlich eben auch institutionelle Aspekte berücksichtigt werden (4). Ein derart ambitioniertes Vorhaben bedarf der Konzentration auf Beispielhaftes und so hat sich der Autor zunächst für England in geographischer und für die Spanne von 1200 bis 1500 in zeitlicher Hinsicht entschieden. Darüber hinaus geht es ihm nicht um die institutionalisierte Kirche im Allgemeinen, sondern um die quellenmäßig belegten viri fidedigni, die bereits im Buchtitel als "Trustworthy Men" bezeichnet werden.
Die Bedeutung, die der Autor den 'vertrauenswürdigen Personen' innerhalb der spätmittelalterlichen Kirche zuschreibt, wird darin ersichtlich, dass er sie als "vector for communication between bishops and parishes" und als "the site where processes of mutual formation affected both institutions" (5) umschreibt. Bei ihnen handelte es sich nicht per se um die angesehensten oder tugendhaftesten Mitglieder einer Pfarrgemeinde, wohl aber um Personen, deren Stellung und Leumund innerhalb der Gemeinde dem Ortsbischof zuverlässige Informationen garantieren konnten (127). Denn obwohl es sich in den meisten Fällen um Laien handelte, waren die trustworthy men von zentraler Bedeutung für die Diözesanverwaltung: "They [= The bishops] could not operate without such knowledge of local realities as only the locals could provide." (3)
Die Situationen, in denen Bischöfe und lokale viri fidedigni kommunizierten, waren vielfältig. Nach Ansicht des Autors wird insbesondere anhand überlieferter Briefwechseln deutlich, welche Rolle die Protagonisten seiner Untersuchung zwischen den beiden Ebenen der mittelalterlichen Kirche, der Diözese auf der einen Seite und der Pfarrgemeinde auf der anderen, spielten (3). So war es ihr Urteil, das in Streitfällen oder im Falle von Beschwerden das Handeln des Bischofs maßgeblich beeinflussen konnte. Auf sie berief man sich, wenn im Rahmen von Kanonisationsprozessen die Wundertätigkeit des Verstorbenen bezeugt werden musste oder wenn ein Bischof an die Kurie schrieb und sich auf das Zeugnis vertrauenswürdiger Personen stützen musste, die bestätigten, dass ein Paar geheiratet habe, ohne zu wissen, dass es blutsverwandt sei (124).
14 Kapitel, aufgeteilt in vier Themenbereiche, hat der Autor zusammengetragen, um die trustworthy men zu identifizieren und ihre Bedeutung innerhalb der Diözesanverwaltung der spätmittelalterlichen Kirche zu beleuchten. Die ersten drei Kapitel widmen sich den "Late Medieval Cultures of Trust" (9-88) und den subsummierten Begriffen, d. h. zunächst dem Gottvertrauen ("belief", 15-32), sodann der Vertrauenswürdigkeit, die vor Gericht und bei Vertragsabschlüssen gefragt war ("trust and promises", 33-62), sowie drittens dem Vertrauen, das aus dem Leumund einer Person resultierte ("faith", 63-88).
Wer nach diesen Begriffsdefinitionen als vertrauenswürdige Person eingeschätzt wurde, ist Gegenstand der folgenden drei Kapitel. Dabei macht der Autor zunächst die Beobachtung, dass die Rede von den viri fidedigni in kirchlichen Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts auftaucht (95-111). Da aber weder in päpstlichen noch in konziliaren Dekreten definiert wurde, welche Voraussetzungen erfüllt werden mussten, um als trustworthy man in Frage zu kommen, wird auf Grundlage bischöflicher Quellen im fünften Kapitel (113-127) eine Rekonstruktion versucht, bevor die quellenmäßig belegten Personen vor allem hinsichtlich ihres jeweiligen sozio-ökonomischem Status näher gefasst werden (129-157).
Die folgenden drei Kapitel stehen unter der Teilüberschrift "Trustworthiness and Inequality in the Parish" (159-238). Dabei stellt der Autor erstens die Frage, inwiefern die viri fidedigni die Zusammensetzung der Pfarrgemeinde, der sie angehörten, widerspiegelten, wobei er anhand von sechs Fallbeispielen u.a. die Zahl der Gemeindeglieder, ihre finanzielle Situation und die Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs auswertet (160-200).
Diese exemplarischen Beobachtungen werden zweitens in einen größeren zeitlichen-räumlichen Kontext eingebettet, um sowohl regionale Unterschiede auf den britischen Inseln als auch Veränderungen zwischen 1250 und ca. 1500 aufzuzeigen (201-220). In diesem Zusammenhang gelingt es dem Autoren, zugleich die Mehrung sozialen Kapitals der viri fidedigni durch ihre Zusammenarbeit mit den Ortsbischöfen wie auch den damit verbundenen Anstieg sozialer Ungleichheit in den jeweiligen Pfarrgemeinden zu veranschaulichen (221-238).
Der vierte und letzte Teil des Bandes widmet sich dem Verhältnis von Pfarrgemeinde und Diözese. Der Autor zeigt an anschaulichen Beispielen, wie die Bischöfe das Wissen, das sie von ihren Informanten vor Ort erhielten, für ihr Handeln und zur Entscheidungsfindung nutzbar machten (241-265). Anhand wirtschaftlicher Aspekte (267-284), der Informationen über Gebäude und Eigentumsverhältnisse (285-306) - vom Autor als "Material Church" (285f.) umschrieben - sowie der Urteile über die örtlichen Kleriker (307-330) verdeutlicht der Autor exemplarisch, wie die viri fidedigni indirekt zur Steigerung von Macht und Einfluss der Bischöfe beitrugen.
Im abschließenden Kapitel (331-347), das bereits als Resümee der gemachten Beobachtungen aufgefasst werden kann, auch wenn noch eine eigene Zusammenfassung folgt (349-353), wird die Bedeutung von Informationen und Vertrauen bzw. Vertrauenswürdigkeit für die Gestaltung der spätmittelalterlichen Kirche diskutiert.
Mag das Urteil des Autors hinsichtlich der Beziehung der trustworthy men und der Bischöfe - "It was a relationship that made the church" (3) - auch nach der Lektüre des Bandes noch leicht übertrieben erscheinen, so ist nicht zu bestreiten, dass ein reiches Quellenmaterial mit ebenso reichhaltigen wie vielseitigen Informationen aus dieser wechselseitigen Beziehung hervorgegangen ist. Nur Dank dieses abwechslungsreichen Quellenkorpus' ist es dem Autor möglich, tatsächlich seinem Vorhaben, ganz unterschiedliche Aspekte innerhalb seiner Institutionengeschichtsschreibung zu behandeln, gerecht zu werden. Veranschaulicht werden seine Beobachtungen, die auf Grundlage zahlreicher Handschriften und unter Berücksichtigung umfangreicher Forschungsliteratur zustande gekommen sind, dabei in Form von Tabellen und Diagrammen. Einleitungen zu allen vier Teilen des Bandes sowie Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels ermöglichen dem Leser einen schnellen und zugleich komfortablen Zugang zu ausgewählten Aspekten.
Christoph Galle