Philipp Demandt / Ilka Voermann (Hgg.): König der Tiere. Wilhelm Kuhnert und das Bild von Afrika, München: Hirmer 2018, 240 S., ISBN 978-3-7774-3128-4, EUR 39,90
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Die Retrospektive in der Schirn Frankfurt ist einem Maler gewidmet (1865-1926), der es als "Löwen-Kuhnert" zu einem gewissen Ruf, nicht aber zu nennenswertem kunstgeschichtlichen Ruhm brachte. Ausschlaggebend mag seine Biografie sein, in der beginnenden Moderne befremdete zudem sein akademisch geprägter Naturalismus und das Sujet afrikanischer Großtiere. Wurde er, der in der deutschen Kolonie Ostafrika Großwild jagte und tötete, um es in seinen bevorzugt großformatigen Bildern wiederauferstehen zu lassen, zu Recht vergessen? Die kunsthistorische Aufbereitung in einer so aufwändigen Schau, wie die Kunsthalle sie bietet, ist nur sinnvoll, wenn sie den gegenwärtigen breitgefächerten Debatten um das "deutsche koloniale Erbe" (63) auch die politische Dimension der Darstellung von Natur und Tier in den Kolonialgebieten öffnet.
Der umfangreiche, reich bebilderte Katalog spiegelt das gesamte Schaffen Kuhnerts. Die Gemälde der kolossalen Tiere, Elefanten, Büffel, Löwen, stehen, zusammen mit im Berliner Zoo und in Ostafrika entstandenen Zeichnungen, im Mittelpunkt. Hinzu kommen zahlreiche visuelle Materialien, die seine nicht zu unterschätzende Breitenwirkung belegen: seine Illustrationen für "Brehms Tierleben", Sammlerkarten der Firma Stollwerck, Schulwandtafeln zur Kolonialgeschichte. Die Gemälde sollte das zeitgenössische Publikum als authentische, wissenschaftlich korrekte Wiedergabe afrikanischer Tiere in ihrem Habitat, der Savanne, wahrnehmen.
Erstmalig hebt diese Publikation Kuhnerts Täterschaft hervor, z.B. seine Beteiligung am Maji-Maji-Krieg (1905-1907) mit mindestens 200 000 Toten (135). Aber dieses Wissen wird nicht für die Deutung der Gemälde herangezogen, wie auch vollständig fundierte kunstgeschichtliche Interpretationen einzelner ausgewählter Beispiele fehlen, die doch unverzichtbar sind, um Kuhnerts Konzept des kolonialen Tiers zu erkennen.
Philipp Demandt unterzieht die unpublizierten Tagebücher des "Profiteurs und Akteurs" des Kolonialismus (31) einer Analyse, die diesen nicht einseitig dem Nationalismus, Imperialismus und Rassismus anderer Protagonisten der Kunst und Zoologie um 1900 zuordnen (32), sondern seine Widersprüchlichkeit aufzeigen will. Die Freude des Malers über die durch Gewehr und Fallen errungenen Jagderfolge wechselt mit der Klage über die Ausrottung von Tierarten, an der auch er beteiligt ist. Seinen kulturpessimistischen Äußerungen über den beginnenden Tourismus stehen die verlockenden siedlungs- und menschenfreien Landschaftsbilder gegenüber.
Ilka Voermann untersucht die Präsentations- und Rezeptionsbedingungen der Kunst Kuhnerts. Entscheidend ist ihre Feststellung, dass die Tiergemälde weitaus öfters in Jagd- und Kolonial- als in Kunstausstellungen zu sehen waren, die das Interesse der deutschen Bevölkerung an der Ausbeutung außereuropäischer Länder stimulieren sollten. So präsentierte die "Deutsche Jagd- und Kolonialausstellung" (Karlsruhe 1903) landwirtschaftliche Produkte, Tiertrophäen, lokales Kunsthandwerk und 82 Gemälde und Zeichnungen Kuhnerts, welche den wirtschaftlichen Profit der kolonialstaatlichen Raubzüge ästhetisch rechtfertigten. Eine Serie von Fotografien beleuchtet grell die Übereinstimmung des Berliner Ateliers mit den genannten Ausstellungen. Neben Gemälden überschwemmen Relikte der eigenen jagdlichen Praxis - Trophäen, Skelette, Präparate - die Wände. Das traditionell zum Raum der Kunst überhöhte Atelier ist zu einem Ort geworden, an dem die den Tierdarstellungen impliziten Gewaltakte Sammler und Käufer anziehen sollten.
Die Ausführungen der Historikerin Felicitas Becker gelten dem vorkolonialen Ostafrika, besonders der von Gewalt bestimmten Geschichte im 19. Jahrhundert. Lokale Führer rivalisierten um Macht und Besitz, ehe das Kolonialregime mit Kriegen und Zwangsmaßnahmen der einheimischen Bevölkerung das Land, den Boden und den äußerst lukrativen Elfenbeinhandel entriss.
In dem wegweisenden Beitrag "Kunst als Trophäe" zeigt Bernhard Gißibl, dass der Kolonialismus konstitutiv für die Entstehung und die Rezeption der Tierbilder Kuhnerts ist. Grundlegend für sein Schaffen waren seine Kriegstaten und die durch bürokratische und logistische Unterstützung der Kolonialmacht ermöglichten Großwildjagden. "Andere Leute erschießen die Tiere, auch ohne jeglichen höheren Zweck" (170), so faselt er, der ein grausamer Fallensteller und Jäger wie viele andere war. 17 Elefanten erlegte er auf seinen Expeditionen, mehr als 50 einheimische Führer und Träger beauftragte er, ein Großwild zu suchen, zu töten und zu zerlegen - für ihre Verpflegung und als Objekt der Kunst. Seine in naturalistischer Manier gemalten Elefanten, Löwen, Büffel bereiteten gemäß der traditionellen akademischen Lehre Skizzen und Studien nach der Natur, dem toten, zerteilten Tierkörper vor. Auf einer Fotografie von 1911 posiert Kuhnert zwischen erbeuteten Elefantenzähnen in der Hand einheimischer Helfer und am Boden ausgebreiteter Ölstudien - seine Jagdtrophäen. Folgen wir Gißibls Argumentation, so erfordern die im kolonialen Gewaltkontext entstandenen Gemeinschaftswerke eine neue Definition des Künstlertums, die den etablierten Begriff des autonomen Künstlers ablöst.
Andere Medien, so die Illustrationen für das auflagenstarke, in bürgerlichen Haushalten weit verbreitete "Brehms Tierleben", werden nur gestreift. Eine Untersuchung des Text-Bild-Verhältnisses wäre notwendig, um Kuhnerts bisher unterschätzten Einfluss auf das populärwissenschaftliche Tierbild aufzudecken. Dagegen verdeutlicht Miriam Oesterreich am Beispiel der bei Kindern und Erwachsenen äußerst beliebten Sammelkarten der Firma Stollwerck eine äußerst wirksame kolonialwirtschaftliche Strategie. In Verbindung mit rudimentären taxonomischen Hinweisen warben die "belehrenden und geschmacksbildenden" bunten Bildchen über den Genuss von Kaffee und Kakao für die deutschen Kolonien. Wie in der Serie "Das Tier im Dienste des Menschen" (1910) afrikanisches Wild zum Nutztier mutiert - der Elefant vor dem Pflug - so verändert auch Kuhnerts Malerei die Modelle, bis sie einem zivilisatorischen Anspruch genügen. Wenn sie auch naturnah wirken, die immer gleiche künstlerische Strategie zielt darauf, das artspezifische Verhalten und damit auch das gefürchtete Gefahrenpotential zugunsten der Betonung imposanter Größe, Masse und Gewicht aufzuheben. Es ging dem Maler um "Naturdenkmäler" im Kolonialreich als Gegenpol zum industriell geprägten Europa. Nachdem die Schau am Beispiel Kuhnert Grundlagen geschaffen hat, ist die Weiterarbeit an der Beziehung zwischen Mensch und Tier im Zusammenhang mit kolonialen Praktiken der Domestizierung, der Zähmung und Kreuzung in künftigen Ausstellungen unverzichtbar. [1]
Anmerkung:
[1] Vgl. Bernhard Gißibl: Das kolonisierte Tier. Zur Ökologie der Kontaktzonen des deutschen Kolonialismus, in: WerkstattGeschichte (2010), H. 56, 7-28.
Ellen Spickernagel