Douglas A. Howard: Das Osmanische Reich 1300-1924. Aus dem Englischen von Jörg Fündling, Stuttgart: Theiss 2018, 480 S., 10 Kt., 45 s/w-Abb., ISBN 978-3-8062-3703-0, EUR 34,00
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Will Smiley: From Slaves to Prisoners of War. The Ottoman Empire, Russia, and International Law, Oxford: Oxford University Press 2018
Ethan L. Menchinger: The First of the Modern Ottomans. The Intellectual History of Ahmed Vâsιf, Cambridge: Cambridge University Press 2017
François Georgeon / Frédéric Hitzel: Les Ottomans et le temps, Leiden / Boston: Brill 2012
Haim Gerber: State and Society in the Ottoman Empire, Aldershot: Ashgate 2010
Dimitris J. Kastritsis: The Sons of Bayezid. Empire Building and Representation in the Ottoman Civil War of 1402-13, Leiden / Boston: Brill 2007
In deutscher Sprache gibt es nur wenige Werke, die die Geschichte des Osmanischen Reiches von seinen Anfängen bis zu seiner Auflösung darstellen. Längst in die Jahre gekommen ist Das Osmanische Reich - Grundlinien seiner Geschichte von Josef Matuz (1. Aufl. 1985), während Suraiya Faroqhis Geschichte des Osmanischen Reiches (1. Aufl. 2000) lediglich einen kursorischen Überblick bietet. Eine umfassende, den neueren Forschungsstand reflektierende Gesamtdarstellung bot bislang nur die Kleine Geschichte der Türkei von Klaus Kreiser und Christoph K. Neumann (1. Aufl. 2003). Die englischsprachige Geschichtswissenschaft ist in dieser Hinsicht produktiver. Und so war man als Dozent beim Unterrichten von Themen der osmanischen Geschichte oft auf englischsprachige "textbooks" angewiesen. Umso erfreulicher ist es, dass nun ein solches "textbook" bereits ein Jahr nach dem Erscheinen seiner Originalausgabe in deutscher Übersetzung vorliegt.
Douglas Howards Gesamtdarstellung ist in mehrerlei Hinsicht innovativ. Erstens verzichtet er darauf, die sechshundertjährige Geschichte des Osmanischen Reiches in Epochen aufzuteilen. Vielmehr strukturiert er sein Buch nach Jahrhunderten islamischer Zeitrechnung: Jedem Jahrhundert ist ein ungefähr gleich langes Kapitel gewidmet, denn, so Howard in der Einleitung, "keine Epoche ist wichtiger oder unwichtiger als eine andere" (18). Damit distanziert er sich von dem alten, mittlerweile überholten, aber in der konventionellen Wahrnehmung immer noch gültigen Narrativ, das die osmanische Geschichte in einer Abfolge von Aufstieg, Blütezeit (im 16. Jahrhundert) und Niedergang (ab dem 17. Jahrhundert) darstellt.
Der zweite innovative Aspekt von Howards Buch ist sein Interesse an der "osmanischen Weltsicht". Das Buch "erzählt die osmanische Geschichte als Geschichte dieser Weltsicht. Es sucht zu erklären, worin diese Weltsicht bestand, wie sie zustande kam und wie sie sich auflöste." (15) Diese Weltsicht begreift Howard als ein "dreischichtiges Phänomen" (15). Und aus diesem ergeben sich die inhaltlichen Schwerpunkte, die sich in jedem Kapitel wiederfinden: Politik (das ist die Sicht auf die Dynastie), Wirtschaft (die Sicht auf Wohlstand und Erfolg) und Religion (spirituelle Überzeugungen).
Innovativ - und für ein historisches Buch durchaus unkonventionell - ist drittens, dass Howard regelmäßig osmanische Poesie in seinen Text einbaut. Denn es ist diese Poesie, die er als Ausdruck der osmanischen Weltsicht interpretiert.
Eine Gesamtdarstellung der Geschichte eines politischen Verbandes, der vom späten 13. bis ins frühe 20. Jahrhundert Bestand hatte und sich von einem kleinen Grenzfürstentum in Nordwestanatolien zu einem Weltreich entwickelte, das sich von Algerien bis zum Kaukasus und von der ungarischen Tiefebene bis zum Jemen erstreckte, verlangt nach thematischen Beschränkungen und Gewichtungen. Das gilt auch für Howards Buch. Die Auswahl, die der Autor trifft, ist überzeugend, denn es gelingt ihm, politische Ereignisse, sozioökonomische Prozesse und kulturelle Entwicklungen in Beziehung zu setzen und zu einem Ganzen zu verbinden. Obwohl man gegen seinen Verzicht, epochale Grenzen oder Brüche zu markieren, einwenden mag, dass so Kontinuitäten zu stark hervorgehoben werden, wird dem Leser ein lebhaftes Bild des ständigen Wandels vermittelt.
Besonders hervorzuheben ist Howards kulturgeschichtlicher Ansatz. Er bietet nicht nur Einblicke in die Poesie, sondern auch in intellektuelle Entwicklungen, Wissenschaften, Architektur und Kunstpatronage, Elite- und Volkskultur sowie in religiöse Strömungen und Diskussionen. So beleuchtet Kapitel 1 "Osmanische Genese, 1300-1397" sehr anschaulich die synkretistischen, religiöse und soziale Grenzen vielfach konterkarierenden Glaubensvorstellungen im spätmittelalterlichen Anatolien und Südosteuropa. Der Zugang zur Kulturgeschichte wird durch zahlreiche Abbildungen und rund 30 Kastentexte erleichtert, die Schlaglichter auf Themen wie Zeitwahrnehmung, Sprachgeschichte, Wissenschaft und Alltagskultur werfen.
Howard behandelt politische Themen nicht nur als Abfolge von Ereignissen oder als Geschichte staatlicher Institutionen, sondern bindet sie an soziokulturelle Strukturen zurück. Im Kapitel zum islamischen 10. Jahrhundert "3. Eine Sicht auf die Welt, 1494-1591" erörtert er zum Beispiel die zentrale Stellung des Sultans, seiner Familie und seines Haushaltes nicht nur im Herrschaftsgefüge. Denn das "Netz der erweiterten Haushaltsbeziehungen der Osmanendynastie, gewoben aus Ehen und Erbschaften, Sklaverei und Klientel, wurde zum Muster für die gesamte osmanische Gesellschaft." (128)
Auch wirtschaftliche Themen wie Handelsbeziehungen, Handwerk und Landwirtschaft sowie der Wandel im Finanz- und Steuerwesen werden ausführlich dargestellt und mit Politik und Kultur in Beziehung gesetzt. So zeigt Howard in Kapitel 5 "Globales und Lokales, 1688-1785", wie die Ökonomisierung von politischen und sozialen Beziehungen die Grundlage für die Dezentralisierung des Reichsverbandes schuf. Eine weitere Stärke des Buches liegt in seinem ganzheitlichen Zugang, mit dem er auch aufzeigen kann, welche Auswirkungen Naturkatastrophen, Hungersnöte, Epidemien und klimatische Veränderungen auf politische Ereignisse und wirtschaftliche Prosperität hatten.
Der Schwerpunkt der Darstellung liegt, wie bei vielen anderen Überblicksdarstellungen auch, auf den anatolischen und südosteuropäischen Kerngebieten des Reiches. Die arabischsprachigen Provinzen treten demgegenüber zurück. Zwar werden die Entwicklungen im syrischen Raum und in Ägypten recht ausführlich beleuchtet, der Irak bleibt jedoch marginal, und der osmanische Maghreb fehlt fast ganz. Etwas lückenhaft ist die Darstellung des 19. Jahrhunderts im sechsten Kapitel ("Zusammenarbeit und Zusammenbrüche, 1785-1882"). Dort wird man ziemlich unvermittelt an die tiefgreifenden Umstrukturierungen durch die Reformmaßnahmen der tanzimat herangeführt. Das Edikt von Gülhane, das diesen Reformprozess 1839 initiierte, wird nur beiläufig erwähnt. Es hätte aber durchaus eine eingehende Diskussion verdient, markiert es doch den "Eintritt in eine neue Ära" (316).
Zu monieren sind einige Unzulänglichkeiten bei der Übersetzung und Redaktion. Man fragt sich, ob es sinnvoll ist, den Titel eines osmanischen Textes in Englisch mit in Klammern beigefügter deutscher Übersetzung anzugeben (87). In den Anmerkungen den Titel einer englischen Übersetzung eines osmanischen Werkes ins Deutsche zu übertragen, ist nicht hilfreich, denn das Werk "Katib Çelebi, Waage der Wahrheit" (424, Anm. 63) wird man nicht finden. Auf Seite 135 liest man, dass in gewissen Provinzen "die landwirtschaftlichen Erträge als Besitz an Beylerbeyis, Sancakbeyis, Kavallerie und Palästina 'paketweise ausgegeben'" wurden; zu lesen ist nicht "Palästina", sondern 'Palastpersonal' (palace servants). Sultan Mahmud II. ließ sich nicht "mit Frack und Fest" in einem Ölgemälde darstellen (319), sondern 'mit Gehrock und Fes', der in den 1820er-Jahren neu eingeführten roten Filzmütze. Die Übertragung englischer Begriffe ist manchmal etwas salopp und weckt falsche, im frühneuzeitlichen osmanischen Kontext anachronistische Assoziationen, so "Bürger" (307) für commoners und local Muslim gentry als "muslimischen Ortsadel" (269). Ärgerlich sind Druckfehler bei Jahreszahlen: Der iranische Schah Ismail I. starb nicht 1594 (120), sondern 1524; zu aufstandsartigen Kundgebungen in Zentralbulgarien kam es 1876, nicht 1846 (348).
Diese redaktionellen Schwächen tun der hoch informativen und gut lesbaren Darstellung Douglas Howards aber keinen Abbruch. Gekonnt synthetisiert er die Resultate der (englisch- und türkischsprachigen) osmanistischen Geschichtswissenschaft der letzten Jahrzehnte. Mit seinem erfrischenden kulturgeschichtlichen Zugang vermittelt er eine komplexe Materie in einer Art und Weise, die sie für alle historisch interessierten Leser gut zugänglich macht. Jenseits von Ereignis-, Politik- und Institutionengeschichte wird so die kulturelle Vielfalt des Osmanischen Reiches ebenso fassbar, wie sein steter Wandel. Allerdings, so muss man einschränken, gewinnt man dieses Bild erst mit der Lektüre des gesamten Textes. Die einzelnen Kapitel bilden nicht immer geschlossene Einheiten und referieren zum Teil zu allgemein auf die vorangegangenen. Das macht es schwierig, das Buch im Unterricht einzusetzen.
Felix Konrad