Jason B. Johnson: Divided Village. The Cold War in the German Borderlands (= Routledge Studies in Modern European History; 44), London / New York: Routledge 2017, X + 233 S., 15 s/w-Abb., ISBN 978-0-415-79377-3, GBP 110,00
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Das Dorf Mödlareuth wird von der thüringisch-bayerischen Grenze in zwei Teile geteilt, was vor 1990 bedeutete, dass die innerdeutsche Grenze mitten durch den Ort verlief. Zwischen 1945 und 1949 grenzte hier die sowjetische Besatzungszone an die amerikanische, dann die DDR an die Bundesrepublik. Ab 1952 begann die DDR diese Grenze mit Sperrzonen und Grenzanlagen abzuschotten, 1966 auch mit einer Betonmauer, sodass die in der angrenzenden Region stationierten amerikanischen Soldaten das Dorf "Little Berlin" tauften. Zu dieser Zeit wohnten im nördlichen, zur DDR gehörigen Teil rund 50 Einwohner, während der südliche, bayerische Teil ganze acht Haushalte zählte. Mödlareuth bildete demnach einen miniaturhaften Mikrokosmos der deutschen Teilung.
Die vorliegende Studie basiert auf einer Doktorarbeit, die an der Northwestern University (Illinois) eingereicht wurde. Sie unterstreicht das große Interesse der angelsächsischen Forschung an "Borderland Studies" und speziell auch am entsprechenden deutsch-deutschen Gegenstand, bei dem die brachiale Teilung sozial und kulturell eng verwobener Regionen untersucht werden kann.
Johnson wählt eine klassische Periodisierung seiner Darstellung entlang den naheliegenden Zäsuren: Das erste Kapitel ("Calamity") behandelt die Phase der Besatzungszeit und der ersten Jahre nach der doppelten Staatsgründung bis Sommer 1952, als die DDR ihre Grenze nach Westen abriegelte. In dieser Zeit waren die Verbindungen noch nicht gekappt. So gingen die Kinder aus dem bayrischen Ortsteil auf der Thüringer Seite zur Schule, gleichzeitig war das Grenzgebiet eine Zone der Unsicherheit, in der insbesondere Angehörige der sowjetischen Truppen mit Übergriffen in Erscheinung traten.
Das zweite Kapitel ("Elimination") befasst sich ausführlich mit den Ereignissen vom Sommer 1952: der Einrichtung der gestaffelten Sperrzonen und Grenzanlagen sowie vor allem mit der Zwangsaussiedlung der als unzuverlässig eingeschätzter Personen. Es wird deutlich, dass die Auswahl der Auszusiedelnden in hohem Maße willkürlich erfolgte und die Durchführung der Aktion ziemlich dilettantisch war. Ein Drittel der Betroffenen konnte in den Westen fliehen.
Im dritten Kapitel ("Fighting mood") behandelt der Autor die Phase von 1952 bis 1960 hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der landwirtschaftlichen Kollektivierung, die in der Region sehr schleppend voranschritt und insbesondere in Mödlareuth auf anhaltenden Widerstand stieß. Der durch die Verschärfung des Grenzregimes bedingte harsche Umgang mit den Einwohnern förderte ganz offensichtlich nicht deren Offenheit gegenüber den gesellschaftspolitischen Verheißungen des SED-Regimes. Erst während der Vollkollektivierungskampagne im Frühjahr 1960 ließen sich die Mödlareuther Bauern in die örtliche LPG zwingen.
Das vierte Kapitel ("Admonition") thematisiert vor allem die zweite Zwangsaussiedlungsaktion vom Oktober 1961, die geordneter und weniger rabiat verlief und nur drei Familien betraf, gleichwohl aber den Bewohnern des nördlichen Mödlareuth vor Augen führte, dass sie hier gleichsam nur auf Abruf lebten. Der sich anschließende Ausbau der Grenzanlagen, die 1966 zur Errichtung einer 3,60 Meter hohen Betonmauer führte, wird im fünften Kapitel ("Bleak") behandelt. Jetzt wurde der bayerische Ortsteil zum bevorzugten Ziel des expandierenden westlichen "Grenztourismus". Auch der damalige US-amerikanische Vizepräsident George H.W. Bush besuchte 1983 Mödlareuth und steigerte so die Bekanntheit von "Little Berlin".
Im sechsten Kapitel "Ass of the world" werden die fünf inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit, die im ostdeutschen Teil Mödlareuths tätig waren, ausführlich vorgestellt. Dabei wird deutlich, dass die DDR-Geheimpolizei ausschließlich Personen rekrutieren konnte, die in der Dorfgesellschaft nicht verwurzelt waren, für staatliche Organe arbeiteten und der SED angehörten: Postangestellte, Bürgermeister, Volkspolizisten, Lehrer. Primäre Beobachtungsziele waren alteingesessene Familien, die (vermeintlich) Verbindungen in den Westen unterhielten und der SED-Politik distanziert gegenüberstanden.
Johnsons Studie konterkariert die vergleichbar angelegten Arbeiten von Sheffer [1] und Schaefer [2], in denen die Teilung als sozialer Prozess beschrieben wird, an dem die betroffene Gesellschaft in Form von lokalen Akteuren beteiligt war. Die Einwohner Mödlareuths erscheinen dagegen weithin als Objekte machtstaatlichen Handelns der DDR. Diese "klassische" Perspektive erinnert immerhin daran - und das ist zweifellos ein Verdienst dieser Arbeit -, dass Herrschaft, zumal diktatorische, einen Zwangscharakter und eine Top-down-Struktur aufweist. So kann der Autor bereits einleitend feststellen, "the building up of the border was conducted largely by outsiders" (3).
Johnson bezieht sich in seiner Einleitung zwar auf Alf Lüdtkes Ansatz, "Herrschaft als soziale Praxis" zu betrachten, seine Studie bleibt jedoch weitgehend konventionell-deskriptiv. Die räumliche und soziale Überschaubarkeit seines Gegenstandes wäre wohl geeignet gewesen, diktatorische Machtausübung als konkrete soziale Interaktion zu rekonstruieren und zu analysieren. Das gelingt aber allenfalls in Ansätzen, über weite Strecken präsentiert der Autor dagegen den bereits vorhandenen allgemeinen Forschungsstand mit Mödlareuther Lokalkolorit. Johnson stellt kaum Fragen an seinen Forschungsgegenstand, die außerhalb der ausgetretenen Bahnen gängiger Interpretationen liegen. Es dominiert das Narrative, die gelegentlichen analytischen Ansätze sind unsystematisch und von geringer Reichweite. Da zu Mödlareuth offenbar immer wieder das Material fehlt, weicht der Autor bei der Beschreibung von Vorgängen und Sachverhalten oft auf benachbarte Orte und übergeordnete regionale Einheiten aus. Auf ihrem ureigenstes Terrain, der Betrachtung und Deutung dörflicher Interaktion, bleibt die Studie dagegen überraschend schwach. Zumindest im sechsten Kapitel, in dem der Autor die Akten der örtlichen inoffiziellen Mitarbeiter auswertet, ahnt man, dass auch auf der vorhandenen Quellengrundlage mehr möglich gewesen wäre.
Anmerkungen:
[1] Edith Sheffer: Burned Bridge. How East and West Germans Made the Iron Curtain, Oxford, Mass. / New York 2011.
[2] Sagi Schaefer: States of Division. Border and Boundary Formation in Cold War Rural Germany, Oxford 2014.
Roger Engelmann