Rezension über:

Jane Hathaway: The Chief Eunuch of the Ottoman Harem. From African Slave to Power-Broker, Cambridge: Cambridge University Press 2018, XVI + 323 S., 16 s/w-Abb., 6 Kt., 5 Tbl., ISBN 978-1-107-10829-5, GBP 75,00
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Rezension von:
Stephan Conermann
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Stephan Conermann: Rezension von: Jane Hathaway: The Chief Eunuch of the Ottoman Harem. From African Slave to Power-Broker, Cambridge: Cambridge University Press 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 1 [15.01.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/01/32261.html


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Jane Hathaway: The Chief Eunuch of the Ottoman Harem

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Jane Hathaway, die am Department of History der Ohio State University arbeitet, hat der interessierten Öffentlichkeit ein sehr schönes Buch über die Geschichte des Obersten Haremseunuchen im Osmanischen Reich vorgelegt. Schon seit langer Zeit arbeitet sie intensiv zu diesem Thema. Neben ihrer 2006 veröffentlichten Monographie zu el-Hajj Beshir Agha (ca. 1657-1746), einem der mächtigsten Personen im Topkapι Sarayι zu Beginn des 18. Jahrhunderts, [1] schrieb sie in den letzten zwölf Jahren eine ganze Reihe wichtiger Artikel zu diesem Thema. [2] Interessanterweise kam gleichzeitig mit Jane Hathaways Abhandlung eine weitere Studie zu den Obersten Haremseunuchen auf den Markt. Geschrieben hat sie George H. Junne, Professor für Africana Studies an der University of Northern Colorado. [3] Allerdings muss man sich nach der Lektüre doch dem ziemlich vernichtenden Urteil von Jane Hathaway über dieses von einem Nicht-Osmanisten auf der Basis von Sekundärliteratur verfasste Werk anschließen. [4] Wer etwas über diese Personengruppe erfahren möchte, sollte die Studie der ausgebildeteten Osmanistin vorziehen.

Jane Hathaways Buch ist grundsätzlich chronologisch aufgebaut, wobei sie mit zwei Kapiteln zu den Hintergründen der Institution anfängt. Zunächst geht es um die Frage, warum eigentlich beinahe alle Eunuchen des Osmanischen Reiches aus Afrika stammten. Zum einen waren Ostafrikaner nach der Eroberung und Eingliederung des Mamlukensultanates 1517 aufgrund der räumlichen Nähe direkt und leicht verfügbar geworden, zumal man auf einen regen und etablierten Menschenhandel in dieser Region zurückgreifen konnte. Zum anderen konnte man das religiöse Verbot, weder Muslime zu versklaven noch Kastrationen durchzuführen, dadurch umgehen, dass man auf die ostafrikanische christliche oder animistische Bevölkerung zurückgriff und die Entfernung der Geschlechtsteile in den koptischen Gebieten Unterägyptens druchführen ließ. Die Bevorzugung afrikanischer Männer lässt sich darüber hinaus auch auf Rassenvorurteile der Osmanen zurückführen. Außer den afrikanischen Eunuchen gab es allerdings noch zahllose weitere Eunuchen aus anderen Regionen, doch nur die Afrikaner wurden im Harem des Palastes in Istanbul eingesetzt. Hierbei markiert die Eroberung Konstantinopels 1453 und der anschließende Bau des Topkapι Sarayι einen Wendepunkt. Waren in dem neuen Gebäudekomplex anfangs als Konkubinen fungierende Sklavinnen untergebracht, so zog Hürrem Sultan (ca. 1502-58), die Frau von Süleyman I. (reg. 1520-66), mit ihrem gesamten Haushalt in den neuen Palast. Im Laufe des 16. Jahrhunderts wuchs der im dritten Hof gelegene Harem auf mehr als 1200 weibliche Personen an. Innerhalb des Topkapι Sarayι gab es neben den für den Harem zuständigen Eunuchen eine große Zahl weißer Eunuchen, deren Aufgabe es war, die Audienzräume des Sultans zu bewachen und die höfischen Pagen auszubilden. Wie ein roter Faden zieht sich bis zum 19. Jahrhundert die Rivalität zwischen den Pagen und den weißen Eunuchen auf der einen und den Haremsfrauen und den schwarzen Eunuchen auf der anderen Seite durch die Geschichte des Osmanischen Reiches. Nachdem Murad III. (reg. 1574-95) in den Haremsbereich übersiedelte, wurden zentrale Machtfragen im Herrschaftszentrum lange Zeit nur noch unter diesen Gruppen ausgehandelt. Mit der Ernennung von Habeshi Mehmed Agha 1574 durch Murad III. zum Leiter der Haremseunuchen (darüssaade ağasι) beginnt im Grunde die Geschichte dieses Amtes. Einen weiteren wichtigen Schritt hin zu seiner Institutionalisierung stellt das Jahr 1588 dar, in welchem der Sultan dem darüssaade ağasι offiziell die Aufsicht über die Stiftungen der heiligen Stätten in Mekka und Medina anvertraute.

Im weiteren Verlauf ihres Werkes verknüpft Jane Hathaway geschickt die Beschreibung der Karrierewege wichtiger Haremsaufseher mit den großen strukturellen Brüchen und zentralen gesellschaftlichen Veränderungen des Osmanischen Reiches. So geht es ihr etwa in dem 5. Kapitel darum, vor dem Hintergrund der allgemeinen (und auch der dynastischen) Krise am Ende des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts anhand der Lebensläufe der vier Obersten Haremseunuchen Osman Agha (1596-1603), al-Hajj Mustafa Agha 1605-20 und 1623-24), Sünbül Agha (1640-44) und Lala Süleyman Agha (1651-52) die Herausbildung einer ausgeprägten Parteibildung am Hofe zu zeigen. Die Konflikte spitzten sich zu, da neben den weiter oben genannten vier Gruppen auch die Janitscharen und Vertreter der Reiterei um die Kontrolle im Palast zu kämpfen begannen. Diese komplizierte und komplexe Konstellation veränderte sich, wie die Verfasserin plausibel zeigen kann, erst in den 1650er Jahren, als es Mitgliedern der Köprülü-Familie gelang, die Macht an sich zu reißen und Schlüsselpositionen auf allen wichtigen Ebenen zu besetzen. Mit Köprüllü Mehmed Pasha wurde das Großwesirat zur wichtigsten Position am osmanischen Hof. Die Reformen der Köprüllüs führten das Osmanische Reich aus seiner Krise. Dabei definierten und etablierten sie vor allem klare Karrierewege für die Religionsgelehrten, die zentrale Verwaltung, die Administration in den Provinzen und das Militär. So musste fortan auch der Oberste Haremseunuch erst als Haremsschatzmeister gedient haben, bevor er in das höchste Amt aufsteigen konnte. Köprülü Mehmed Pasha und Yusuf Agha (Oberster Haremseunuch von 1671 bis 1687) dienen Jane Hathaway dazu, diese Entwicklung konzise nachzeichnen zu können.

Der Posten des darüssaade ağasι wurde im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend diplomatischer. Um seinen Einfluss aufrechtzuerhalten oder zu vergrößern, musste er vor allem ein weitläufiges Netzwerk aufbauen und Kontakte zu zahlreichen bedeutenden Persönlichkeiten in Istanbul, aber auch in den Provinzen pflegen. Ferner erwartete man von ihm, dass er auch als Patron und Bauherr im öffentlichen Bereich tätig war. Zahlreiche fromme Stiftungen zur Einrichtung von religiösen Institutionen - in erster Linie Koranschulen, Medresen, Bibliotheken und Unterkünfte für Sufis - führen sich auf Oberste Haremseunuchen zurück. Sie unterstützten sichtbar den sunnitischen Islam, die offiziell genehmen Formen des Sufismus und die Verehrung des Propheten Muhammad. Immer wichtiger wurden offenbar aber auch Kontakte nach Ägypten, zumal es mittlerweile dazugehörte, auch dort einige Zeit tätig gewesen zu sein, bevor man nach Istanbul kam. Viele ehemalige Oberste Haremseunuchen ließen sich interessanterweise mit ihren Haushalten in Kairo nieder und bildeten dort einen festen Bestandteil der Gesellschaft. Jane Hathway führt uns diese Veränderungen am Beispiel von el-Hajj Beshir Agha (s.o.) und Moralι Beshir (1746-52) deutlich vor Augen.

Das vorletzte Kapitel des Buches ist der in zunehmendem Maße schwindenden Gestaltungsmacht der Obersten Haremseunuchen gewidmet. Der Verlust an Einfluss ging einher mit den bekannten Reformen der Sultane Selim III. (reg. 1789-1807) und Mahmud II. (reg.1808-1839). Als zentraler Faktor erwies sich allerdings der Verlust der Kontrolle über die Stiftungen in Mekka und Medina im Zuge der wahhabitischen Feldzüge im Hedschas zu Beginn der 19. Jahrhunderts und der anschließenden Rückeroberung der Region durch den osmanischen Gouverneur in Ägypten Mehmet Ali Paşa (gest. 1849). Zwar blieb das Amt des darüssaade ağasι noch bis 1909 erhalten, doch war es nur noch eine Position ohne Macht und Einfluss.

Jane Hatahway hat ein hochinteressantes, informatives und erfreulich lesbares Buch über eine für die osmanische Geschichte wichtige Institution geschrieben, das man gerne weiterempfiehlt.


Anmerkungen:

[1] Jane Hathaway: Beshir Agha, Chief Eunuch of the Ottoman Imperial Harem, Oxford 2006.

[2] "The Exalted Lineage of Rιdvan Bey Revisited: A Reinterpretation of the Spurious Genealogy of a Grandee in Ottoman Egypt." in: Baki Tezcan / Karl K. Barbir (eds.): Identity and Identity Formation in the Ottoman Middle East and the Balkans: A Volume of Essays in Honor of Norman Itzkowitz. International Journal of Turkish Studies 13/1-2 (2007), 97-111; "The 'Mamluk Breaker' Who Was Really a Kul Breaker: A Fresh Look at Kul Kιran Mehmed Pasha, Governor of Egypt 1607-1611." in: Jane Hathaway (ed.): The Arab Lands in the Ottoman Era, Minneapolis 2009, 93-109; "Eunuch Households in Istanbul, Medina, and Cairo during the Ottoman Era." in: Turcica 41 (2009), 291-303; "Habeshi Mehmed Agha: The First Chief Harem Eunuch (Darüssaade Ağasι) of the Ottoman Empire." in: Asad Q. Ahmed / Behnam Sadeghi / Michael Bonner (eds.): The Islamic Scholarly Tradition: Studies in History, Law, and Thought in Honor of Professor Michael Allan Cook, Leiden 2011, 179-95; "The Economic and Charitable Activities of the Ottoman Chief Harem Eunuch (Darüsaade Ağasι) in the Ottoman Provinces." in: Selim Karahasanoğlu / Deniz Cenk Demir (eds.): History from Below: A Tribute in Memory of Donald Quataert. Istanbul, distributed by Syracuse University Press, 2016, 199-205; "Out of Africa, Into the Palace: The Ottoman Chief Harem Eunuch." in: Kent Schull / Christine Isom-Verhaaren (eds.): Living in the Ottoman Realm, Bloomington 2016, 225-38; "The Chief Harem Eunuch of the Ottoman Empire: Servant of the Sultan, Servant of the Prophet." in: Almut Höfert / Matthew M. Mesley / Serena Tolino (eds.): Celibate and Childless Men in Power: Ruling Bishops and Eunuchs in the Pre-Modern World, London 2017, 211-25.

[3] George H. Junne: The Black Eunchs of the Ottoman Empire: Networks of Power in the Court of the Sultan, London 2016.

[4] In: Journal of the American Oriental Society 138/2 (2018), 459.

Stephan Conermann