Thomas A. Fudge: Jerome of Prague and the Foundations of the Hussite Movement, Oxford: Oxford University Press 2016, XV + 379 S., 9 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-049884-9, GBP 64,00
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Das 600jährige Jubiläum des Konzils von Konstanz (1414-1418) hat nicht zuletzt neue Aufmerksamkeit auf Jan Hus, den 1415 auf dem Scheiterhaufen verbrannten Prager Theologen, Prediger und Reformer, gelenkt. Ein Jahr nach Hus wurde dessen Mitstreiter Hieronymus von Prag ebenfalls durch das Konzil verurteilt und verbrannt. Die Hintergründe zu diesem tragischen Ereignis wären innerhalb der Forschung weniger präsent, hätte nicht Thomas A. Fudge, Professor für Geschichte des Mittelalters an der University of New England in Australien, rechtzeitig die Ergebnisse seiner langjährigen Quellenstudien, u. a. aufgrund von Forschungsaufenthalten in Konstanz, publiziert. Dadurch wird neben den tschechischen Werken auch die begrenzte, aber durchaus vorhandene Literatur in westeuropäischen Sprachen (Šmahel, Herold, Kaluza, Pilný, Betts, Watkins - siehe das ausführliche Archiv-, Quellen- und Literaturverzeichnis) in Erinnerung gerufen, nicht zu vergessen das eher populärwissenschaftlich gehaltene Bändchen "Hieronymus von Prag. Der Philosoph im Schatten von Jan Hus", das Jürgen Hoeren und Winfried Humpert 2016 im Südverlag herausgegeben haben. Die Publikation der Dissertation von Ota Pavliček, La dimension philosophique et théologique de la pensée de Jerôme de Prague, die 2014 gemeinsam von der Karls-Universität Prag und der Sorbonne in Paris angenommen wurde, wird hoffentlich bald die Kenntnisse über Hieronymus weiter bereichern. Das Textcorpus, das Hieronymus hinterließ, ist nicht übermäßig umfangreich und besteht neben einigen Briefen vor allem aus Disputationstexten. Einige dieser Texte sind dem Buch in einem 43seitigen Anhang in englischer Übersetzung beigefügt.
Fudge schreibt das Buch mit sichtlicher Sympathie für seinen Protagonisten. Mehrere Grundthesen jenseits aller historischen Einzelheiten durchziehen das Werk und können hier vorweggenommen werden: 1) Hieronymus ist zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Er war nicht einfach ein Anhänger oder Schüler von Hus; er ist in seinem eigenen, vorwiegend philosophischen Beitrag zu würdigen und war in vieler Hinsicht der kreativere und impulsivere Kopf. 2) Die Prager Reformer dürfen nicht auf "Vorläufer der Reformation" reduziert werden, sondern sind in ihrem geschichtlichen Kontext und Profil zu würdigen. 3) Letztlich war es Hieronymus, der die hussitische Bewegung in ihrer theologischen, kirchlichen und sozialen Gestalt entscheidend prägte. 4) Fudge, der nicht aus theologischer Perspektive urteilt, versteht unter Häresie ein soziales Konstrukt der Ausgrenzung von Menschen mit anderer Meinung - und stuft in dieser Hinsicht Hieronymus mit deutlicher Bewunderung in der Tat als "Häretiker" ein.
Der Band umfasst neun Kapitel, die eine chronologische Darstellung mit thematischen Schwerpunkten verbinden. Eine Landkarte zeigt den europaweiten Radius der Reisen, die Hieronymus nicht nur an die berühmtesten Universitäten seiner Zeit (Prag, Paris, Oxford, Heidelberg, Köln, Wien) führten, sondern vermutlich auch bis Polen (Krakau), Litauen (Vilnius) und Russland (Pskov, Vitebsk), wo er der ostkirchlichen Welt mit einer Sympathie begegnete, die ihm im westlichen Kontext Kritik eintrug. Viele Einzelheiten seines Lebenslaufs liegen im Dunkeln, und häufig präsentiert Fudge mit der gebotenen Zurückhaltung seine Annäherungen und Hypothesen. Mit Sicherheit wissen wir, dass Hieronymus Magistertitel der Universitäten Paris, Köln, Heidelberg und Prag innehatte und sich an den Orten seines Auftretens durch provokative Thesen und eine scharfe Kritik an kirchlichen Missständen viele hochrangige Feinde einhandelte - die später in Konstanz an seinem Prozess und seiner Verurteilung entscheidend mitwirkten. Dazu gehören auch die Gegner aus der Zeit, in der er sich zusammen mit Hus im universitätspolitischen Konflikt zwischen "deutschen" und "böhmischen" Professoren an der Universität Prag auf der Seite der Böhmen engagierte. So liest sich das Buch - trotz einer nicht sehr literarisch aufbereiteten Darstellung - streckenweise wie ein Kriminalroman, dessen Umstände sich immer unausweichlicher bis zum tragischen Ausgang verketten.
Nachdem die Einführung und das ersten Kapitel Hieronymus als intellektuellen "fahrenden Ritter" vorgestellt haben, steht ein erstes Bild des Hieronymus vor Augen: War Hus ein Priester und bei aller theologischen Kompetenz zunächst ein Prediger und Reformer, so ist Hieronymus ein Laie, bekannt für seinen markanten Bart, und ein Philosoph mit ausgeprägtem Interesse an Theologie und Kirchenreform, impulsiv und unnachgiebig in seinen Positionen. In verdienstvoller Weise wagt der Historiker Fudge in Kapitel 2 einen Blick auf das philosophische Denken des Hieronymus "in den Spuren von Wyclif". Obwohl der Autor selbst die These vom inneren Zusammenhang zwischen der Ideenlehre und den Reformimpulsen für eher fragwürdig hält, eröffnet er hier diskussionswürdige Forschungsperspektiven. Kapitel 3 und 4 begleiten Hieronymus bei seinen meist sehr kontroversen Auftritten in Paris, Köln, Heidelberg, Prag, Krakau und Wien, wo er sich wiederholt durch Flucht den Anklagen entzog. Kapitel 5 schildert die "ikonoklastische" Zerstörung von Bildern und anderen Symbolen des damaligen kirchlichen Lebens und die Beteiligung des Hieronymus an derartigen Aktionen. Die Kapitel 6-9 geben detailliert Einblick in den Prozess gegen Hieronymus in Konstanz. Dorthin war er trotz der offensichtlichen Gefahr zurückgekehrt, um Jan Hus zu unterstützen. Nach seiner Gefangenschaft unter folterähnlichen Bedingungen ließ er sich zunächst auf einen Widerruf und eine öffentliche Distanzierung von Hus ein. Kurz darauf nahm er diese Stellungnahme mit aller Entschiedenheit öffentlich zurück und besiegelte damit sein Schicksal. Kapitel 9 fügt Zeugnisse über Hieronymus aus dem späteren Gedächtnis in der hussitischen Bewegung, in Kunst und Liturgie hinzu und integriert einige repräsentative Darstellungen und Texte. Fudge schließt dieses Kapitel mit der pointierten Bilanz, die dem Untertitel des Buches sein Gewicht gibt: "It was he [Hieronymus] [...] who was the face and the force of the radical Hussite history" (300).
Gewisse Schwächen in der Darstellung, der Übersetzung der Quellentexte und der Referenzen in den Anmerkungen sind offensichtlich. Ota Pavliček als ausgewiesener Hieronymus-Experte gibt dazu (streckenweise wohl zu kritische) Kommentare in seiner Rezension. [1] Doch die Verdienste des Werkes überwiegen bei weitem die Kritik: Fudge hat Hieronymus - nicht zuletzt durch seine narrative Darstellung, die ein breites Publikum über die wissenschaftlich interessierten Fachkreise hinaus anspricht - gleichsam aus dem Reich der Vergessenheit befreit. Seine stets zurückhaltenden und selbstkritischen Urteile laden von Anfang an dazu ein, die begonnenen Untersuchungen in vielfältige Richtungen fortzusetzen, nicht zuletzt im Hinblick auf die philosophiegeschichtlichen Zusammenhänge und deren Einfluss auf die theologischen und reformerischen Optionen des Hieronymus. Auf jeden Fall durchzieht mit Recht ein Zitat von Anfang bis Ende das Werk von Thomas Fudge: Der Humanist Poggio Bracciolini, der Augenzeuge der letzten Tage im Leben des Hieronymus wurde und darüber in einem Brief berichtete (siehe Anhang 12), betont: "Dieser Mann ist der Erinnerung wert".
Anmerkung:
[1] KOSMOS: Czechoslovak and Central European Journal, 2017, 82-86.
Barbara Hallensleben