Haidy Geismar: Museum Object Lessons for the Digital Age, London: University College London Press 2018, XXII + 141 S., 56 Abb., ISBN 978-1-78735-283-4, GBP 20,00
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Der Gegenstand des vorliegenden schmalen Bandes ist für Kunstmuseen und die Kunstgeschichte allgemein von Bedeutung, auch wenn die Autorin Anthropologin ist und sich in der Hauptsache mit ethnologischen Museen beschäftigt. Es geht um die Bedeutung der Digitalisierung für die museale Aufbereitung und Vermittlung, ein Thema, das insbesondere im angelsächsischen Bereich an die Spitze des Interesses getreten ist und zuletzt auch in Deutschland - wenn auch eher in einem pragmatischen Zusammenhang - verstärkt diskutiert wird.
Methodisch wird man die Studie, die aus einer umfangreichen Praxis der Autorin in dem Feld digitaler Vermittlungstechniken erwachsen ist, im Bereich von Postcolonial Studies, Material Culture Studies, Dekonstruktion und Akteur-Netzwerk-Studien ansiedeln dürfen. Im Zentrum steht dabei das Verhältnis von Digitalität und Materialität. Hauptinteresse ist es, die Digitalität weniger als eine körperlose Dimension der reinen Informationsspeicherung und -verarbeitung zu deuten, als sie vielmehr in ihrer konkreten Verortung in einer musealen Praxis zu betrachten, die ihr jeweils eine sehr eigene, von anderen, auch digitalen, Zugriffen unterschiedene Relevanz vermittelt. Das entspricht einer musealen Praxis, wie sie zurzeit etwa in dem meSch-Projekt erprobt wird, in dem sogenannte "smart objects" entwickelt werden, die den Rezeptionsprozess verdinglichen (http://www.mesch-project.eu/). Im Gegensatz zu gängigen, allerdings eher abstrakt aufgerufenen Vorstellungen sieht Geismar auch weniger den Bruch des Digitalen mit historischen Vorläufern, als vielmehr vielfältige Formen der Kontinuität. Dort etwa, wo sie sich mit der virtuellen Realität und digitalen Simulationsformen beschäftigt, wird man ihrer These, dass solche Dinge auch in Panoramen, Dioramen und anderen illusionistischen Kunstformen des 19. Jahrhunderts präformiert wurden, nur zustimmen können.
Die Autorin unternimmt keine generelle Bewertung des Digitalen in der musealen Praxis und kommt damit auch zu keinen allgemeinen Empfehlungen oder Ablehnungen. Vielmehr bewertet sie es genau wie andere, analoge Techniken nach seinem jeweiligen Einsatz und der Qualität von dessen Zielsetzung. Diese bemisst sie an seiner Fähigkeit, unterschiedliche Zugriffe auf den musealen Gegenstand zu ermöglichen und durchwegs transparent zu halten. Bei einer (Kultur-)Anthropologin, die es meistens mit Objekten zu tun hat, die in kulturell diversen Präsentationszusammenhängen der "westlichen Welt" vermittelt werden, liegt es in der Tat nahe, die Perspektive der Produzentenvölker mit zu berücksichtigen und diese über die vielfältigen Möglichkeiten des Digitalen zu integrieren. Dabei ergeben sich ab und an auch Seitenblicke auf die Diskussion über die Restitution von Raubkunst, die zuletzt ja durchaus vielschichtig geführt wird und auch die Digitalisierung in ihr Kalkül mit einbezieht. Profitieren davon kann aber auch ein eher traditionelles Kunstmuseum, vor allem dann, wenn es im Digitalen eine Möglichkeit erblickt, produktiv die Sichtweisen anderer als der im Museum selbst Beschäftigten mit einzubeziehen.
An diesem Punkt schließen sich die vielleicht interessantesten Passagen des Buches an (75ff.). Geismar erkennt in vielen digitalen Museumsprojekten eine Tendenz, die kritikwürdigen Vorgehensweisen einer herkömmlichen Museumspraxis fortzusetzen, anstatt die Möglichkeiten des Digitalen bei dem Aufbrechen solcher Vorgehensweisen konsequent zu verfolgen: "It is striking how the singular narratives and perspectives that have historically developed in museums are imported into digital projects" (77). Gerade in einer stark von technologieskeptischen Museumsrepräsentanten geprägten Situation wie auch der deutschen droht die Gefahr, dass dem Digitalen nur dort eine Bewährungsprobe konzediert wird, wo es sich möglichst stark mit dem Überkommenen identifiziert. Die Chance allerdings - und hier würde ich dem tendenziellen Pessimismus der Autorin widersprechen -, dass in der medialen Form des Digitalen schon von vorneherein und letztlich unhintergehbar die Überwindung solcher "singular narratives and perspectives" (77) angelegt ist, scheint mir nicht von der Hand zu weisen.
Das Plädoyer für Differenz und Multiperspektivität ist deutlich, es schlägt sich nur leider kaum im Literaturverzeichnis nieder. Von den 366 dort aufgezählten Titeln - an sich eine wertvolle Referenz auf teilweise entlegene museologische und digitalkritische Studien - sind genau 366 in Englisch verfasst. Sicher, ein paar davon sind Übersetzungen aus anderen Sprachen, aber wie in angelsächsischen Publikationen immer wieder zu beobachten, ist die Verarbeitung der Sekundärliteratur derartig einseitig am englischsprachigen Markt orientiert, dass einem Angst und Bange werden kann. An dem ansonsten ausgesprochen anregenden Charakter des Buches ändert das aber überhaupt nichts.
Hubertus Kohle