Duan Kováč / Milo Řezník / Martin Schulze Wessel (Hgg.): Erinnern - Ausstellen - Speichern: Deutsch-tschechische und deutsch-slowakische Beziehungsgeschichte im Museum (= Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte im östlichen Europa; Bd. 47), Essen: Klartext 2017, 248 S., ISBN 978-3-8375-1689-0, EUR 24,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Martin Schulze Wessel: Der Fluch des Imperiums. Die Ukraine, Polen und der Irrweg in der russischen Geschichte, 4. Auflage, München: C.H.Beck 2023
Martin Schulze Wessel / Jörg Requate (Hgg.): Europäische Öffentlichkeit. Transnationale Kommunikation seit dem 18. Jahrhundert, Frankfurt/M.: Campus 2002
Daniel Schönpflug / Martin Schulze Wessel (eds.): Redefining the Sacred. Religion in the French and Russian Revolutions, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2012
Museen haben in den letzten Jahren zunehmend die Aufmerksamkeit der Geisteswissenschaften auf sich gezogen. Die Einrichtungen, in denen hauptsächlich dingliche Quellen verwahrt und der Forschung zur Verfügung gestellt wurden, gerieten zusehends selbst in den Fokus der Wissenschaft und wurden zum zentralen Untersuchungsgegenstand. Ihre Bedeutung als eher passiv erscheinende, Kulturgut bewahrende "Gedächtnisinstitutionen" und Wissensvermittler steht seitdem zur Diskussion. Auf einer Tagung der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission, die bereits im Jahr 2010 stattfand und auf die der vorliegende Band zurückgeht, fassten die Organisatoren Miloš Řezník und Martin Schulze Wessel das Museum einerseits als Medium und andererseits als Akteur im Kontext von Geschichtspolitik und Erinnerungsdiskurs auf. In ihrer Einleitung, die eine kenntnisreiche Übersicht bietet, charakterisieren sie Museen als kommunikative, konstruierende und interaktive Einrichtungen, in denen Geschichte eben nicht nur ausgestellt, sondern gleichzeitig auch hergestellt wird (12). Die Herausgeber sprechen ihnen eine gewisse Handlungsfähigkeit zu, und folglich stehen die Beziehungen zwischen Menschen und Institutionen tschechischer, slowakischer, deutscher und jüdischer Zugehörigkeiten sowie die Wirkung von Umbrüchen und Wandel im Mittelpunkt.
In dieser Hinsicht liefern Elena Kurincová und Elena Mannová den spannendsten Beitrag. Sie legen am Beispiel des Stadtmuseums Bratislava sehr differenziert und zugleich anschaulich dar, wie politisches Geschehen und gesellschaftliche Umbrüche sich über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren auf die Präsentationen, die Narrative, die Menschen und ihre Tätigkeiten im Museum auswirken. Der Lokalpatriotismus in Bratislava blieb beispielsweise stets ausgeprägt, während auf nationaler Ebene gewissermaßen Büsten politischer Herrscher hinzukamen, aber auch wieder verschwanden und die Sammlungen Rekontextualisierungen unterworfen wurden. Im Laufe der Jahre änderten sich Zugehörigkeiten und Loyalitäten auf verschiedenen Ebenen, doch blieb eine gewisse Persistenz bei gleichzeitiger Anpassung an die neuen Verhältnisse erkennbar.
Zum "Jüdischen Zentralmuseum" in Prag in den Jahren 1941 bis 1945 stellt der Historiker und Journalist Jan Björn Potthast die zentralen Ergebnisse seiner bereits 2002 veröffentlichten Dissertation vor, ergänzt um aktuelle Literaturverweise. Eine der wohl weltweit größten Sammlungen an Judaika entstand unter der Leitung der Prager Zentralstelle für jüdische Auswanderung, deren Mitarbeiter gleichzeitig für die Deportation der jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner Böhmens und Mährens verantwortlich waren. In perfider Weise wurden hier jene kulturellen Objekte zusammengetragen, die zurückblieben, als die Menschen, die sie besaßen, verschleppt und ermordet wurden und an denen sich die Nationalsozialisten nicht direkt bereichern konnten. Potthast vermutet, dass das Museum für Schulungszwecke im Sinne der so genannten "Gegnerforschung" der Nationalsozialisten entstand. Zugleich war es das Anliegen der jüdischen Kultusgemeinde in Prag, durch Verhandlungen mit der NS-Administration die Wertgegenstände zu retten.
Aus einer anderen Perspektive widmet sich Katalin Deme der jüngeren Geschichte des Jüdischen Museums Prag, das bereits 1906 gegründet und im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört worden war. Vergleichend zieht sie das Jüdische Museum Bratislava hinzu und stellt die Konzepte beider Museen mit Blick auf die tschechisch- und slowakisch-jüdische(n) Geschichte(n) in den Ausstellungen seit den 1990er Jahren einander gegenüber. Deme kommt zu dem Schluss, dass in Prag eine "ethnozentrisch-elitäre" und in Bratislava eine "ethnozentrisch-folklorisierende" Tendenz (58) der Komplexität der Beziehungen zwischen Minderheits- und Mehrheitsbevölkerung kaum Rechnung getragen habe. Da der Fokus auf der Darstellung der Vergangenheit und einer objektzentrierten Darstellungsweise lag, ohne die Entstehung der Sammlungen sowie die Verflechtungen und transkulturellen Einflüsse ausreichend zu kommunizieren, seien zwar Museen für Minderheiten entstanden, die gleichzeitig aber gegenüber der Mehrheitsgesellschaft abgrenzend gewirkt hätten.
Boris Böhm stellt die Initiative zum Gedenken an die "Euthanasie"-Opfer im Protektorat Böhmen und Mähren vor. Die Aufarbeitung dieser Verbrechen begann erst in den 1980er Jahren und wurde mit dem Aufbau einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe 2007 intensiviert, zu der Böhm selbst gehört. Sein Bericht vermittelt erschütternde Einblicke in die Verfahrensweise der Tötungseinrichtung Pirna-Sonnenstein und ihrer benachbarten Kliniken, aus denen die Patienten kamen. Als Ergebnis der Zusammenarbeit konnten neue Ergebnisse zu den Morden im Reichsgau Sudetenland und im Protektorat Böhmen und Mähren 1939-1945 veröffentlicht und über eine Wanderausstellung vermittelt werden.
Einen Einblick in die deutsch-tschechischen Museumsdiskussionen nach 1990 geben Kristina Kaiserová und Miroslav Kunštát. Sie skizzieren die politischen Hintergründe zur Idee eines Museums der Deutschen in Böhmen. Erkennbar wird, dass unter anderem kompetitive Logiken zu neuen Museumskonzepten wie in zum Beispiel in Ústí nad Labem führen, wo ein "Gegenbild" (138) oder eine Ergänzung zum geplanten Sudetendeutschen Museum in München entstehen soll. Beide Projekte gerieten in den letzten Jahren ins Stocken, auch wenn oder vielleicht gerade weil mit ihnen, wie Kaiserová und Kunštát ausführen, neue Wege beschritten und Zugänge perspektivisch erweitert werden sollten.
Die einzelnen Beiträge des Bandes greifen spannende Themen auf, sind aber - wie oft in Sammelbänden - qualitativ sehr unterschiedlich. Nachteilig wirkt sich der zeitliche Abstand zwischen den Forschungen, der Tagung und der Publikation aus. So liegt seit 2017 eine neue Version der hier abgedruckten Konzeption für die Arbeit der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" von 2012 vor. Die "Konzeptionellen Überlegungen für Ausstellungen" der vorgenannten Stiftung wurden zudem seit 2010 mehrmals online publiziert. Wie rasch Konzeptionen ersetzt oder nicht umgesetzt werden, zeigt der Beitrag von Marita Krauss zum Sudetendeutschen Museum in München. Insofern übernimmt die vorliegende Publikation auch die Funktion, Museumsideen zu Beginn des 21. Jahrhundert zu dokumentieren.
Cornelia Eisler