Rezension über:

Andreas Kötzing (Hg.): Bilder der Allmacht. Die Staatssicherheit in Film und Fernsehen, Göttingen: Wallstein 2018, 336 S., 1 Tbl., 37 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-3284-3, EUR 34,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Jens Gieseke
Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Jens Gieseke: Rezension von: Andreas Kötzing (Hg.): Bilder der Allmacht. Die Staatssicherheit in Film und Fernsehen, Göttingen: Wallstein 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 5 [15.05.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/05/32442.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Andreas Kötzing (Hg.): Bilder der Allmacht

Textgröße: A A A

Dieser Band enthält Beiträge einer Tagung des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung Dresden, die sich überwiegend mit der Darstellung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Film- und Fernsehproduktionen beschäftigen. Zunächst werden die staatlich gelenkten Präsentationen in Filmen und Fernsehserien der DDR bis 1989 untersucht. Im zweiten Teil werden Produktionen aus den 1990er Jahren bis zur Gegenwart analysiert.

Der kalte Bürgerkrieg der 1950er Jahre war, wie Daniela Münkel und Elke Stadelmann-Wenz sowie Sigrun Lehnert beschreiben, durch klassische Propaganda geprägt. Das MfS trat mit Schauprozessen, Ausstellungen und Ministerreden in Betrieben öffentlich auf und "entlarvte" Feinde wie die Agenten der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit. Ab 1956 verschwanden solche stalinistischen Inszenierungen. Die Feindbilder wurden nun vorzugsweise in das aus dem Westen importierte Unterhaltungsgenre des Spionagefilms implantiert (zu letzterem schreibt Christoph Classen materialreich in diesem Band). Die westlichen Geheimdienstler waren in den DEFA-Agentenfilmen wie "For Eyes only" aggressiv, korrupt, zynisch und lieferten ihre eigenen Leute ans Messer. Die Ermittler des MfS hingegen traten professionell, sachlich-korrekt und in Sorge um die DDR-Bevölkerung auf. Dahinter stand offenbar auch das Bestreben, nicht nur Furcht zu verbreiten, sondern den (verdeckten) Aufbau des poststalinistischen Überwachungsstaats beim Publikum zu legitimieren, wie Andreas Kötzing herausarbeitet. MfS-Offiziere fragten in den Filmen nun: "Warum vertrauen Sie uns eigentlich nicht?" (100) Und: "Ist es nicht gut, dass wir viel wissen?" (102)

Mit der Verbreitung des Fernsehens und damit der direkten Konkurrenz westlicher Produktionen wie "James Bond" verstärkte sich dieser Trend noch, wie Andy Räder herausarbeitet. Jetzt verschwanden auch die öffentlichen Hinweise auf die (bis 1989) intensive Einflussnahme der MfS-Abteilung Agitation. Dies galt auch für das wohl bekannteste Produkt von MfS und DDR-Fernsehen, die Serie "Das unsichtbare Visier", die Michael Grisko als "politische[n] Abenteuerfilm" (136) charakterisiert. Und beim DDR-Fernsehen wuchs das Unbehagen, wenn es um "Abwehrprobleme" ging, also Überwachung und Verfolgung nach innen.

In den 1980er Jahren schließlich litt die "diskursive Konstruktion von (Un-)Sicherheit" (Sebastian Haller, 146) darunter, dass sich Parteiführung, Fernsehchefs und Staatssicherheit nicht mehr einig waren. Das DDR-Fernsehen läutete nach dem deutlich antizionistischen Atomspionagefilm "Feuerdrachen" von 1981 das Ende der "Kundschafterfilme" ein, was wohl auf das Bemühen Honeckers zurückzuführen war, im Westen Kredite und Anerkennung zu bekommen. Auch eine Reihe zur MfS-Tätigkeit zwischen 1950 und 1956 stieß auf Widerstand: Wie Haller zitiert, seien die MfS-Filmspezialisten davon ausgegangen, "dass diese Stoffe zurzeit nicht gewollt sind [...]. 'Man sei nicht an einer Aufarbeitung des Kalten Krieges interessiert, dies störe die gegenwärtige Politik.'" (150) Die Beziehungen zwischen Geheimdienst und Fernsehen seien "seit etwa Mitte der 1980er Jahre zunehmend zerrüttet" gewesen (150).

Die Befunde lassen erahnen, dass die Staatssicherheit in ihrer Selbstdarstellung gerade nicht "allmächtig" war, sondern sich an Sehgewohnheiten anpassen musste, über die sie keine Kontrolle hatte. Und je größer der Überwachungsstaat, desto weniger galt es als opportun, ihn sichtbar herauszustellen. Als besonders offensive Strategie wird man das kaum werten können, eher als schleichender Weg in die Legitimationskrise.

Allerdings ist die eigentliche Wirkungsgeschichte kaum erforscht, wie auch Andreas Kötzing betont. So bleiben Adressaten und Wirkung in den (durchaus aufschlussreichen) Werkanalysen weitgehend unausgeleuchtet - abgesehen von Vermutungen: "Gerade Wochenschauen scheinen als besonders authentisch wahrgenommen worden zu sein, weil sie suggerierten, das Geschehen realistisch abzubilden" (Lehnert, 73). Man kann bezweifeln, dass das für ostdeutsche Kinobesucher jener Zeit in toto galt.

Die titelgebenden "Bilder der Allmacht" sind tatsächlich eher in den Dokumentar- und Spielfilmen sowie Fernsehserien seit 1990 zu finden. Sie sind bis in die Gegenwart so wirkmächtig, dass führende Bürgerrechtler zur Illustration von MfS-Aktivitäten gerne nicht etwa auf reale historische Fälle, sondern auf den Oscar prämierten Film "Das Leben der Anderen" verweisen. Die Vermischung von historischer Realität und ihrer medialen Repräsentation hat so tiefe Furchen hinterlassen, dass auch Kötzing eigens betont: "Vereinfacht gesagt erscheint Geschichte im Film daher zwangsläufig nie so, wie sie 'wirklich war', sondern so, wie wir sie uns heute vorstellen und individuell rezipieren." (12) Das ist in der Tat vereinfacht gesagt, weil die Filme ja nicht zeigen, wie das Publikum die Stasi sieht, sondern sie bilden die Perspektive der Autoren (und ihrer staatlichen oder kommerziellen Geldgeber) ab. Diese vermarkten ihre Produktionen als "authentische" Geschichte - und zwar umso lautstarker, je weniger ihr DDR-Bild aus eigener Anschauung und je mehr es aus dem Aufarbeitungsdiskurs nach 1990 gespeist ist. Die Filmemacher drehen vorzugsweise an Originalschauplätzen in Stasi-Büros und -Gefängnissen. Sie lassen sich ihre Narrative durch die unangreifbare Autorität früherer Bürgerrechtler beglaubigen. Mehr noch, wie Myriam Naumann verblüfft feststellt: Sie inszenieren auch die Akteneinsicht nach 1989 oft als dramatischen Wendepunkt, der erst die Stasi-Allmacht offenbar werden lässt. Auch sie wird idealerweise am Originalschauplatz und unter Mitwirkung echter Behördenmitarbeiter gedreht: "Archiv- und post-Archivszenen werden zum modus vivendi der Aktualität des Vergangenen in der Gegenwart" (231f.).

Dahinter steckt eine tiefe Verunsicherung darüber, wie das Leben von Menschen in der DDR heute bewertet werden soll. Die Bilder der Stasi-Allmacht identifizieren klar und komfortabel Gut und Böse und bieten Orientierung, welche Rolle die einst "unsichtbare" Staatssicherheit im Leben der DDR-Bürger spielte. Diese Fixierung auf die Stasi hat ihren Preis, etwa wenn in der TV-Serie "Weissensee" alle dramatischen Konflikte kurioserweise in die Familie eines MfS-Generals hineingeschrieben werden, während etwa die SED und ihre Funktionäre gar nicht vorkommen.

Wie Ilka Brombach, Hélène Camarade und Sandra Nuy zeigen, kehrte sich das Stasi-Bild gegenüber der Selbstdarstellung vor 1989 damit vollständig um: von der Abwehr externer Feinde zum Eindringen der Staatssicherheit in den sozialen Nahraum. Am Anfang standen eindringliche Dokumentarfilme, die die Bespitzelung durch Freunde und Verwandte in den Mittelpunkt rückten. Damit war der Weg geebnet für die später auch in fiktionalen Produktionen dominierenden Narrative von Verrat und totaler Observation. Zum bevorzugten Genre wurde das Melodram. Eine Fokussierung auf zerstörte oder gefährdete Liebesbeziehungen von "Frauen der Mittelschicht und ihre[n] Konflikte[n]" (Nuy, 265) fesselt die Zuschauer emotional, sei es in dem schon erwähnten Blockbuster "Das Leben der Anderen" oder der Erfolgsserie "Weissensee". Damit einher geht häufig das Auftreten eines an seiner Aufgabe zweifelnden MfS-Offiziers. Überraschenderweise sieht Kötzing darin ein Bemühen um "historische Differenzierung" (10) gegenüber dem Bild vom unbelehrbaren Überzeugungstäter. Die Befunde seiner Ko-Autorinnen legen eher nahe, dass auch diese Figur ein Produkt des Nach-Wende-Diskurses ist. Eine weitere typische "Zutat" der Stasi-Melodramen mit wenig realer Entsprechung sind die (von Udo Grashoff untersuchten) Suizide, die (neben den Mauertoten) für die Zuspitzung auf Leben und Tod stehen.

Eine komplementäre Funktion zu diesem Bild erfüllt das Auftreten der Stasi im Krimi, wie Anita Krätzner-Ebert anhand von 17 "Tatort"-Folgen von 1970 bis 2011 zeigt. Die Staatssicherheit taucht dort typischerweise als mafia-artige Seilschaft auf, ihre Mitarbeiter erscheinen als skrupellose Killer, intelligente Strippenzieher oder Spießbürger. Den eigentlichen Thrill liefert der Gegenwartsbezug: "Besonders herausgestellt wird die Aussage, dass die Stasi immer noch aktiv ist und in ihren geheimen Verbindungen auch weiterhin operiert." (260)

Die Erzählungen vom Eindringen in den persönlichen Nahraum oder sogar die "Seele" der DDR-Einwohner und der Unterwanderung des Westens bzw. der Nachwendegesellschaft weisen der DDR-Erinnerung, wie schließlich Tobias Ebbrecht-Hartmann herausarbeitet, einen eigenen Platz neben dem Holocaust in der negativen historischen Identität des vereinten Deutschlands zu: "Die DDR-Staatssicherheit ist als filmische Erzählfigur zu einem negativen Prisma geworden, das die unterschiedlichen Stränge west- und ostdeutscher Geschichte gleichsam bündelt und in einer geteilten Erzählung verwebt." (318)

Alles in allem liefert der Band eine Fülle anregender neuer Einblicke, sowohl in die mediale Präsenz der Staatssicherheit in der DDR-Öffentlichkeit als auch in den Stasi-Diskurs im vereinten Deutschland. Viele Beiträge eröffnen frische Zugänge, die es ermöglichen, die vermeintliche Allmacht der Staatssicherheit vor und nach 1989 kritisch zu analysieren.

Jens Gieseke