Julia Allerstorfer / Monika Leisch-Kiesl (Hgg.): "Global Art History". Transkulturelle Verortungen von Kunst und Kunstwissenschaft (= Linzer Beiträge zur Kunstwissenschaft und Philosophie; Bd. 8), Bielefeld: transcript 2017, 301 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-8376-4061-8, EUR 34,99
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Seit einigen Jahren tendieren Ansätze einer kritischen Selbstreflektion des Fachs Kunstgeschichte unter Begriffen des Globalen und Transkulturellen dazu, nicht allein den Gegenstandsbereich kunsthistorischer Betrachtungen zu erweitern, sondern auch Perspektiven und Zugänge zu vervielfachen und aus ihrer eurozentrischen Ausrichtung zu lösen. Der Sammelband "Global Art History". Transkulturelle Verortungen von Kunst und Kunstwissenschaft trägt zu dieser aktuellen Diskussion bei und vermittelt einen Eindruck vom europäischen, und insbesondere vom österreichischen Kontext dieser Debatte. Über eine postkoloniale Kritik an der Disziplin hinausgehend, thematisieren die deutsch- und englischsprachigen Beiträge verschiedene regionalspezifische, historische und methodische Zugänge, wie sich kunstwissenschaftliche Forschung dekoloniale und transkulturelle Perspektiven zu eigen machen kann.
Der Einleitungsteil, der vier Aufsätze der Herausgeberinnen Julia Allerstorfer und Monika Leisch-Kiesl umfasst, situiert den Band zunächst sowohl im Rahmen der allgemeinen kritischen Debatte um das Fach als auch innerhalb der Geschichte globalhistorischer Perspektiven in der deutschsprachigen Kunstwissenschaft. Die Autorinnen setzen sich zudem mit einzelnen Positionen transkulturell agierender Künstler und Künstlerinnen auseinander und zeichnen jüngste Veränderungen innerhalb der akademischen Forschungslandschaft Österreichs im Sinne einer transkulturellen Perspektivierung der Disziplin nach. Die einleitenden Texte machen deutlich, dass nicht allein der Kunstbegriff und entsprechend kunstwissenschaftliche Zugänge zur Debatte stehen, sondern auch der Begriff von Kultur und mögliche Verschränkungen von kunst- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen.
Den Hauptteil des Bandes bilden zehn Beiträge, die dominante Begriffe und Kategorien der Kunstgeschichte auf unterschiedliche Weise in Frage stellen und Interpretationen von künstlerischen Arbeiten bieten, die die Wege einer universellen, fortschrittsorientierten Geschichtserzählung verlassen. Der Beitrag von Monica Juneja kritisiert das eurozentrische Modell einer globalen Verbreitung von moderner und zeitgenössischer Kunst. Sie kontrastiert es mit dem Bild einer gemeinsamen Matrix, innerhalb derer sich die Moderne relational entwickelt - in geteilter Zeitlichkeit (coevalness); in dynamischer Verhandlung von Nähe und Distanz; durch Prozesse der Begegnung, Zirkulation, Aneignung, Ablehnung, Überschneidung oder Neuanordnung. Denkt man Kunstgeschichte und moderne Kunst im Rahmen eines solchen relationalen globalen Rasters, kann sie ausgehend von verschiedenen Punkten oder Linien, und anhand verschiedener Objekte, Akteure oder Praktiken in nicht-hierarchischer Weise erzählt und analysiert werden.
Hamid Keshmirshekan und Silvia Naef nehmen den Nahen Osten beziehungsweise die arabische Welt als Ausgangspunkt ihrer Kritik an einer oft zu allgemeinen und unhistorischen Darstellung von Kunst aus der Region. Im Rahmen eines Diskurses über globale zeitgenössische Kunst, so Silvia Naef, finde die Geschichte von lokal spezifischen Entwicklungen der Moderne in der arabischen Welt kaum Beachtung. Zum einen liege dies an der dünnen und prekären Quellen- und Forschungslage; zum anderen an Schwierigkeiten, die zeitgenössischen Arbeiten interpretieren und ihre historischen Referenzen lesen zu können. Die moderne und zeitgenössische Kunst in arabischen Ländern habe jedoch ihre eigene Geschichte, die von Überschneidungen, Übernahmen, Anpassungen und Ablehnungen westlicher Modelle geprägt ist, ohne in ihnen aufzugehen. Auch wenn diese Geschichte meist nicht offensichtlich gegeben und von Mythen und Fiktionen nicht zu trennen ist, sollte sie als konstituierender Teil einer globalen Kunstgeschichte untersucht werden. Mit Blick auf den Iran kritisiert auch Hamid Keshmirshekan die verbreitete Vereinfachung von nahöstlicher Kunst als Imitation westlicher Modelle oder als politisch vereinnahmt. Anders als die westliche Moderne gründe die neuere Kunstgeschichte des Nahen Ostens nicht auf einem Bruch mit Vergangenheit und Tradition, sondern reflektiere diese als zentrale Erfahrungsgrundlage. Vor diesem Hintergrund ist zeitgenössische Kunst nicht allein kunstgeschichtlich, sondern auch kulturwissenschaftlich und kulturhistorisch zu interpretieren.
Die wechselseitige Bereicherung von Kunstgeschichte, Kulturwissenschaft und Kulturgeschichte bestimmt auch den Beitrag von Christian Kravagna über Hale Woodruffs Wandgemälde-Zyklus "The Art of the Negro" (1950-51). Dieser Zyklus stelle Kunstgeschichte aus einer transkulturellen Perspektive und mit einem Fokus auf 'schwarze' Kunst dar, indem er Genealogien der Moderne mit 'schwarzer' Geschichte, und Abstraktion mit Erfahrungen von Gewalt, Segregation und Ermächtigung in Beziehung setzt. Durch seine Hervorhebung afrikanischer beziehungsweise 'schwarzer' Kunst als universelle Erfahrung von Differenz erweitere Woodruff das Verständnis eines Universalismus der Moderne um eine andere Geschichte globaler Kunst aus schwarzer, postkolonialer und transkultureller Perspektive.
Eine solch andere Kunstgeschichte, die sich an der Arbeit einzelner Künstler(innen) orientiert, ist auch Gegenstand des Beitrags von Birgit Hopfener. Sie untersucht die Bedeutungsebenen in den ikonoklastischen Arbeiten Ai Weiweis aus unterschiedlichen Perspektiven, die sie zu einem transkulturellen Interpretationsrahmen von Kunst im globalen Kontext verdichtet. Ausgehend von "Dropping a Han urn" (1995) geht Hopfener zum einen Ai Weiweis Werkbezügen zu verschiedenen Auffassungen vom Ikonoklasmus im Zen-Buddhismus und in der westlichen Avantgarde nach. Zum anderen deutet sie die Arbeit in verschiedenen institutionellen und diskursiven Rahmen, beispielsweise als Kritik an der Kulturrevolution und der Modernisierungsagenda Chinas; an der kapitalistischen Vermarktung von Kunst, an eurozentrischen Kunstinstitutionen oder an der musealen Repräsentation asiatischer Kunst. Ikonoklasmus dient hierbei als ein verbindendes Element und "travelling concept", durch das getrennte Orte und Zeiten im Kunstwerk zusammenfinden. So wie Kunst getrennte Zeitlichkeiten in einer geteilten 'Zeitgenossenschaft' zu vereinen mag, kann ein transkultureller Ansatz ein multi-dimensionales Geschichtsbild global verwobener Geschichten erfassen.
Bei aller Vielfalt der Methoden und Untersuchungsbereiche ist den Beiträgen des Bandes die Forderung nach konkreten historischen und kontextspezifischen Fallstudien zu eigen, als Voraussetzung dafür, getrennte Geschichten transkulturell verbunden zu denken. Im Mittelpunkt steht vielfach ein Dialog zwischen künstlerischer Praxis und kunstwissenschaftlicher Forschung, wobei eine bessere Qualität und grafische Einbettung der Abbildungen hierbei wünschenswert gewesen wäre. Die Ausweitung der Perspektiven auf zeitlich und regional verschieden positionierte Kunstgeschichten und historische Prozesse transkultureller Aneignungen und Abgrenzungen geht einher mit einer kritischen Selbstreflexion der Disziplin, die sich hauptsächlich auf den deutschsprachigen Raum und den österreichischen institutionellen Kontext richtet. Die zentrale Bedeutung des Bandes kann genau darin gesehen werden, mit den Fallstudien an einer Praxis globaler Kunstgeschichte und ihrer transkulturellen Verschränkungen teilzuhaben und zugleich die wissenschaftshistorische Bedeutung von lokal und zeitlich situierten Analysen zu betonen. Zwar bleiben diese beiden zentralen Anliegen des Bandes mitunter wenig aufeinander bezogen, dennoch kann er als ein richtungsweisender Beitrag gelesen werden, die Geschichte der Kunstgeschichte selbst transkulturell zu verstehen. Eine globale Kunstgeschichte wäre dann - ebenso wie eine westliche oder eurozentrische - von partikularen diskursiven und institutionellen Rahmen ausgehend zu analysieren, die sich historisch im Kontakt mit anderen politischen wie auch disziplinären Kontexten - in Verbindung, Auflösung und Abgrenzung - formiert.
Sarah Dornhof