Rezension über:

Nicola Reggiani (ed.): Digital Papyrology II. Case Studies on the Digital Edition of Ancient Greek Papyri, Berlin: de Gruyter 2018, VIII + 190 S., 12 Farb-, 25 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-053852-6, EUR 89,95
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Rezension von:
Kerstin Sänger-Böhm
Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Kerstin Sänger-Böhm: Rezension von: Nicola Reggiani (ed.): Digital Papyrology II. Case Studies on the Digital Edition of Ancient Greek Papyri, Berlin: de Gruyter 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 6 [15.06.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/06/31934.html


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Nicola Reggiani (ed.): Digital Papyrology II

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Der vorliegende Band "Digital Papyrology II. Case Studies on the Digital Edition of Ancient Greek Papyri" stellt die Fortsetzung der Monografie "Digital Papyrology I. Tools, Methods and Trends" (Berlin / New York 2017) des Herausgebers Nicola Reggiani dar. Der Inhalt des Bandes setzt sich aus insgesamt acht unterschiedlichen Projektberichten zusammen, die grob in die beiden Sektionen "Part 1: Platforms Between Theory and Practice" und "Part 2: Linguistic Perspectives" unterteilt werden.

Der erste und zugleich ausführlichste Beitrag des Bandes stammt von Nicola Reggiani selbst (The Corpus of the Greek Medical Papyri and a New Concept of Digital Critical Edition, 3-61). Nach allgemeineren Bemerkungen zur digitalen kritischen Edition und Papyrologie - so sieht Reggiani die Kernarbeit der Papyrologie in der Bereitstellung von vertrauenswürdigen kritischen Editionen (6) - geht er zunächst auf die Voraussetzungen für die online-Edition der medizinischen Papyri ein, deren Bearbeitung ein sehr spezielles technisches Wissen bedürfe. Sodann folgen ausführliche Erläuterungen zu den einzelnen Elementen der digitalen kritischen Edition der medizinischen Papyri (15-47): Metadaten (z.B. Datierung, Herkunft etc.), Bibliografie, Einleitung, Kommentar, Übersetzung, Material, Paläografie, Präsentation des Textes selbst mit all seinen differenzierten linguistischen Informationen (Lemmatisierung, Abkürzungen, linguistische Varianten und unterschiedliche Ebenen der Transtextualität, editorische Eingriffe) und schließlich die Abbildung des Objekts. Reggiani vermag mit seinem Beitrag nicht nur einen lebendigen Eindruck von der expliziten Arbeit am Corpus of the Greek Medical Papyri, sondern auch von den neuen Möglichkeiten der digitalen Edition (konkret veranschaulicht am Michigan Medical Codex, 47-54) zu vermitteln, die über die Darstellungsweise der Printedition hinausgeht und sie zu etwas völlig Neuem macht.

Rodney Ast und Holger Essler stellen die Initiative des Digital Corpus of Literary Papyri (DCLP) vor, eine papyrologische online-Ressource für klassische Literatur, die eine Textsuche wie bei Papyri.info sowie die Ergänzung von Korrekturen, Kommentaren, Übersetzungen, Bibliografien etc. erlaubt (Anagnosis, Herculaneum and the Digital Corpus of Literary Papyri, 63-73). DCLP wird zum einen durch die Datensätze der Herculaneum Papyri (117 Editionen) erweitert und zum anderen durch das Anagnosis-Projekt, das sich primär der Bildanalyse widmet, ergänzt. Das Ziel von Anagnosis ist letztlich die Verlinkung von Schrift- und Bildzone, um "in future projects as training data for machine learning" zu fungieren (73).

Lajos Berkes bietet einen Bericht über die Edition dokumentarischer Texte, die mithilfe des Papyrological Editor (PE) in die Datenbank Papyri.info eingepflegt werden (Perspectives and Challenges in Editing Documentary Papyri Online. A Report on Born-Digital Editions through Papyri.info, 75-85). Anhand von DDbDP 20151 (= P.Got. 54 descr.) illustriert Berkes exemplarisch den Aufbau einer solchen online-Edition: Das Layout entspricht den bereits publizierten Texten der DDbDP, der Unterschied liegt aber in der Ausführlichkeit der Einleitung und des Kommentars sowie in der Verlinkung aller relevanten Einträge mit anderen Datenbanken und der online abrufbaren Literatur. Die gebotene Abbildung des Textes lässt sich downloaden und zoomen und ermöglicht dadurch die bessere Überprüfbarkeit der Lesung. Neben all den neuen Möglichkeiten der online-Edition weist Berkes konkret auf noch bestehende Herausforderungen hin: Technische Probleme stellen etwa eine druckfähige PDF-Version der online-Edition sowie die Darstellung von Abkürzungen im Apparat, wie sie in einer Druckversion üblich sind, dar. Die Vorteile solcher online-Editionen sieht er in der "fluidity of these texts" (81), die open-access und peer-reviewed sind und durch Papyri.info schneller publiziert werden können. Ein Nachteil könne aber gerade darin liegen, dass einer Publikation in einer Datenbank ein geringerer Stellenwert als einer gedruckten Publikation (v.a. im Hinblick auf den CV des Forschers) beigemessen wird. Abschließend fragt Berkes grundlegend nach der Priorität von Papyri.info: Soll diese der raschen Integrierung bereits publizierter Texte in die Datenbank oder der Edition neuer Texte gelten (84).

Massimo Magnani diskutiert anhand von zwei unterschiedlichen Fallbeispielen (Mastronade's Scholia Euripidea und Homer Multitext Project) die Vor- und Nachteile der digitalen Edition innerhalb der Philologie (The Other Side of the River. Digital Editions of Ancient Texts Involving Papyrus Witnesses, 87-102): Die digitale Edition ermögliche zwar mithilfe von IT-Tools, die Manuskriptüberlieferung mit all ihren Textzeugen zu präsentieren und die Fülle an Daten besser zu evaluieren - wie etwa durch die leichtere und effizientere Kollationierung von Textvarianten -, dennoch sei vor der damit verbundenen "hypervalutation" (100) zu warnen, denn die Kernarbeit bleibe die Konstituierung des Textes durch den Philologen.

Marja Vierros bietet einen kompakten Überblick zum aktuellen Stand und den Plänen hinsichtlich des Sematia-Corpus und der Sematia-Plattform, wodurch die detaillierte linguistische Analyse der dokumentarischen Papyri ermöglicht werden soll (Linguistic Annotation of the Digital Papyrological Corpus: Sematia, 105-118).

Joanne Vera Stolk erörtert in ihrem stark methodischen Beitrag (Encoding Linguistic Variation in Greek Documentary Papyri. The Past, Present and Future of Editorial Regularization, 119-137) das bislang gängige editorische Regelungssystem der griechischen Sprache (Leidener System) und deren Anwendung in den digitalen Editionen des Papyrological Navigator (PN) (121-122). Danach erfolgt eine genaue Diskussion der kritischen Zeichen und Regelungen im kritischen Apparat in den Original- und in den digitalen Editionen (122-128) sowie eine Untersuchung der Kategorisierung von Varianten (Schreiberfehlern, linguistischen Varianten) in Papyrusdokumenten und der unterschiedlichen Standards (130-133), die die sprachlichen Regularisierungen entweder von "external sources" (Grammatiken, Wörterbüchern etc.) oder "internal sources" (Abgleich mit dem Text selbst bzw. Paralleltexten) ableiten. Stolk weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass "[...] guidelines describing a particular methodology for regularization in papyrus documents" (135) bislang ein Desiderat darstellen würden. Hier könnte die Entwicklung neuer digitaler Tools (z.B. die Schaffung einer "reference to a headword, i.e. a lemma, to every word that is attested on a papyrus" wie es in EpiDoc bereits verzeichnet werden kann, 135) Abhilfe schaffen und gleichzeitig die Qualität der Editionen verbessern, da dadurch ein realistischeres Bild der Sprache der Papyri gezeichnet werden könnte.

Giuseppe G. A. Celanos Beitrag bietet erste Überlegungen, anhand welcher bereits vorhandener technischer Tools morphologische Verzeichnungen und Lemmatisierungen automatisch in alle Papyri.info Dokumente integriert werden könnten (An Automatic Morphological Annotation and Lemmatization for the IDP Papyri, 139-147).

Isabella Bonati stellt die digitale lexikografische Datenbank Medicalia Online vor, die ein enzyklopädisches Nachschlagewerk für technische Termini darstellt, die in den griechischen medizinischen Papyri bezeugt sind (Digital Papyrological Editions and the Experience of a Lexicographical Database. The Case of Medicalia Online, 149-173). Ein besonderer Vorteil liege darin, dass Medicalia Online direkt mit dem Corpus of the Greek Medical Papyri Online (CPGM) verbunden und damit gleichzeitig mit dem Digital Corpus of Literary Papyrology (DCLP) verlinkt ist.

Am Ende des Bandes finden sich fünf Indizes (I. Keywords & names, 175-182; II. Papyrus texts, 182-185; III. Literary sources, 185-186; IV. Greek concordane, 186-189 und V. XML tags, 189-190).

Im Fokus des Bandes stehen die digitalen Tools und Methoden, deren Möglichkeiten aber auch Probleme im Kontext aktueller Projekte im Bereich der Digital Papyrology. Die acht gebotenen Beiträge sind inhaltlich sehr unterschiedlich gewichtet und bieten eine Auswahl an Initiativen im Rahmen der Digital Papyrology: Sie reichen von knappen Projektberichten, mitunter sehr techniklastigen Darstellungen bis hin zu methodisch komplexen und sehr aufschlussreichen Studien. Eine Einleitung des Herausgebers wäre wünschenswert gewesen, um die Beziehung der einzelnen Beiträge zueinander klarer zu formulieren. Die abschließende Frage, die sich aufdrängt, ist, welches Publikum mit dem vorliegenden Band angesprochen werden soll, denn die Lektüre der Beiträge könnte sich für den papyrologisch interessierten Leserkreis, der mit den technischen Aspekten der Digital Papyrology nicht oder noch nicht vertraut ist, doch als etwas anstrengend gestalten.

Kerstin Sänger-Böhm