Nathanael J. Andrade: Zenobia. Shooting Star of Palmyra (= Women in Antiquity), Oxford: Oxford University Press 2018, XVIII + 284 S., eine Tbl, 3 Kt., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-0-19-063881-8, GBP 22,99
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In der Reihe "Women in Antiquity", in der bislang neben Kleopatra, Hypatia und Theodora auch einige antike Frauengestalten gewürdigt wurden, die in der Forschung weniger Aufmerksamkeit gefunden haben, so Arsinoe, Sabina oder die christliche Märtyrerin Perpetua, liegt nun auch eine Biographie zur palmyrenischen Königin Zenobia von Nathanael J. Andrade vor. Zu Zenobia und ihrer kurzzeitigen Herrschaft über den Osten des Römischen Reiches in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts gibt es zwar eine Reihe aktueller englischer Biographien, doch hatten die englischen Monographien der letzten zwei Jahrzehnte eher populärwissenschaftlichen Charakter und ließen nichtenglischsprachliche Forschungsarbeiten vielfach unberücksichtigt, so dass Andrades Studie, die sowohl eine hervorragende Erörterung zur Thematik auf hohem wissenschaftlichem Niveau gibt als auch umfänglich die Ergebnisse der jüngeren internationalen Forschung verarbeitet, sehr zu begrüßen ist. Der Autor, Associate Professor an der Binghamton University, ist zudem durch zahlreiche Arbeit zur Geschichte des antiken Syrien in Kaiserzeit und Spätantike als Experte für diese Region ausgewiesen. Seine Monographie richtet sich einerseits an Studierende, denen eine flüssig geschriebene Darstellung in lockerer Sprache geboten wird (in der der Autor etwa auf Diakritika verzichtet), andererseits aber auch an ein wissenschaftliches Fachpublikum, für das in einem umfangreichen Anmerkungsapparat (in der begrüßenswerten Form der Fußnote) die antiken Quellenbelege sowie die aktuelle Forschung und ihre unterschiedlichen Positionierungen präsentiert werden.
Eine regelrechte Biographie Zenobias kann man eigentlich nicht schreiben, da letztlich nur ihre Lebensjahre als Königin und kurzzeitige Augusta von 267 bis 272 ausführlicher dokumentiert sind. Dementsprechend beschreibt Andrade nicht nur die Regierung der Herrscherin, sondern zeichnet vielmehr in den einzelnen Kapiteln ein Gesamtbild der syrischen Oasenstadt Palmyra. Im einführenden Kapitel "Zenobia's Likeness" skizziert Andrade die kurze welthistorische Bedeutung der Königin und die problematische Quellenlage. In den ersten beiden Hauptteilen zur Stadt und Jugend Zenobias kann Andrade kaum mehr als biographische Spekulationen zur Königin bieten, [1] nutzt aber die Gelegenheit, um die Oase Palmyra und ihr Hinterland, die bedeutenden Gebäude entlang der Kolonnandenstraßen, die Gesellschaft aus Familien, "clans" und Stämmen, die munizipalen Strukturen der Stadt, den Handel durch die Oase, die Kultur und Religion Palmyras, die Rolle der Frau in der Gesellschaft, Ehe und Alltagsleben, Wohnen und Kleidung sowie die Erziehung in Palmyra in assoziativer Reihung vorzustellen. Immer wieder werden dabei auch die palmyrenischen Inschriften und Darstellungen auf den Grabskulpturen miteinbezogen.
Der dritte Hauptteil zum "Rising Star" Zenobia diskutiert vor dem Hintergrund der Krise in der Mitte des 3. Jahrhunderts Aufstieg, Karriere und Tod des Odaenathus, des Gatten Zenobias. Auch die Probleme der Kinder des Odaenathus werden hier erörtert: Aus erster Ehe habe er einen Sohn Hairan Herodianos gehabt, aus zweiter Ehe mit Zenobia sei nur Wahballath als Sohn sicher bezeugt. Für Andrade stieg Odaenathus 258 von einem Stadtoberhaupt zu einem consularis auf, wobei er den Titel als römischen "client king" (129) in Palmyra deutet. Ein Klientelkönig mit konsularischen Vollmachten in einer römischen colonia wie Palmyra ist aber kaum vorstellbar, naheliegender ist hier zweifelsohne die übliche Übersetzung des Begriffs consularis mit Statthalter von Syria Phoenice. Überzeugend wird dann von Andrade Odaenathus' Position nach 260 beschrieben: Als rector oder corrector habe er von Gallienus ein provinzübergreifendes Kommando bekommen, habe nach seinem Persersieg den Ehrentitel "König der Könige" angenommen, sei dann aber im Zuge einer Verschwörung im palmyrenischen Königshaus, die ein Beamter des Gallienus gesteuert habe, in Emesa ermordet worden. Die Verwicklung der Zenobia in den Mord, von der die Historia Augusta berichtet, sei Hofpropaganda der Kaiser Claudius und Aurelianus.
Die eigentliche Regierung der Zenobia ist dann Gegenstand des vierten Teils "Shooting Star", in dem Andrade konzis den schnellen Aufstieg und Fall der Königin beschreibt. Um ihr Leben zu retten, habe Zenobia die Macht im römischen Osten für ihren unmündigen Sohn ergriffen. Andrade vermutet sodann, dass die nur in der Historia Augusta berichtete angebliche Offensive der Truppen des Gallienus unter dem Befehl des Prätorianerpräfekten Heraclianus erst unter Claudius Ende 269 erfolgte (mitten in den Gotenkämpfen hatte Claudius dafür aber sicher keine Ressourcen frei). Nach dem Scheitern dieser Operation habe Zenobia 270 dann Ägypten besetzen lassen, für ihren Sohn aber nur den Titel imperator reklamiert. Erst mit dem Anmarsch Aurelians sei sie zur offenen Usurpation geschritten. Andrade widmet sich aber nicht nur der Ereignisgeschichte, er stellt auch Zenobias Verhältnis zu arabischen Beduinen, Juden, Christen und Manichäern im Orient dar, wobei seine hervorragenden Kenntnisse in Sprachen und Kulturen des Orients deutlich werden. Im Bürgerkrieg unterlag Zenobia 272 schließlich Kaiser Aurelian. Andrade vermutet unter Verweis auf eine problematische Passage in der Historia Augusta, dass Aurelian auch Ägypten militärisch besetzen ließ, und lehnt überzeugend die in den Quellen beschriebene Belagerung Palmyras als unhistorisch ab.
Im Epilog "Fallen Star" beschreibt Andrade kurz die Geschichte Palmyras in der Spätantike, um dann die unterschiedlichen Linien der Rezeption Palmyras und Zenobias im Westen und im Orient, in den arabischen Legenden und im modernen Staat Syrien, aufzuzeigen. Andrade beschreibt dabei, wie die archäologische Erkundung Palmyras durch westliche Forscher und die Stilisierung Zenobias als 'arabische Freiheitskämpferin' durch die Ideologie des Baath-Regimes in Syrien Zenobia und Palmyra für die Islamisten des IS zu verhassten Symbolen sowohl des Westens als auch des arabischen Nationalstaates machten, was zu den jüngsten Zerstörungen in der Ruinenstätte führte, die der Autor im Buch immer wieder ansprechen muss.
Andrade stellt dem Leser in seinem Buch auf breiter Materialgrundlage sowohl die Kultur Palmyras als auch die kurze Geschichte der Regierung Zenobias im römischen Orient vor. Er diskutiert in ausgewogener Weise die strittigen Punkte in der Forschung, die in ihrer ganzen Breite erfasst wird; gleichzeitig bleibt er in seiner Darstellung immer nah an den literarischen, epigraphischen und archäologischen Quellen, die er auch für den Einsteiger verständlich erschließt.[2] Seine Darstellung, die sicher zu einem englischsprachigen Standardwerk werden wird, sei allen Lesern, die an Palmyra und an der ausgewöhnlichen Gestalt der Königin Zenobia interessiert sind, zur Lektüre empfohlen.
Anmerkungen:
[1] Ohne Quellenfundament ist die Vermutung, Zenobia habe die Gentilnamen Iulia Aurelia getragen und sei erst später in Septimia umbenannt worden (42, 62 u. 135). In allen Quellen heißt sie nur Septimia.
[2] Sachliche Fehler sind selten: Der dreisprachige Tatenbericht Shapurs stammt aus Naqsh-i Rustam, nicht Bishapur; ob dies Shapurs "burial site" ist, kann nicht gesagt werden (114f.). Münzdatierungen setzen die Usurpation des Uranius Antoninus in Emesa eindeutig ins Jahr 253 (nicht 252, so 130 u. 137).
Udo Hartmann