Peter Gautschi / Armin Rempfler / Barbara Sommer Häller (Hgg.): Aneignungspraktiken an ausserschulischen Lernorten. Tagungsband zur 5. Tagung Ausserschulische Lernorte der PH Luzern vom 9. und 10. Juni 2017 (= Ausserschulische Lernorte - Beiträge zur Didaktik; Bd. 5), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2018, 278 S., 32 s/w-Abb, 2 Tbl., ISBN 978-3-643-80274-3, EUR 19,80
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Der vorliegende Tagungsband ist bereits der fünfte aus der Reihe 'Außerschulische Lernorte' der PH Luzern. Nach den Schwerpunkten 'Forschung' (erste und zweite Tagung), 'Best Practice' sowie 'Ausstellungen und Museen' stehen dieses Mal die Schülerinnen und Schüler selbst im Mittelpunkt: Wie lernen sie am außerschulischen Lernort? Auf welche Weise nutzen sie die Lernumgebung und wie kann der Lernprozess gefördert werden?
Beispiele dazu finden sich in den 27 Beiträgen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen, wobei der Schwerpunkt auf den MINT-Fächern und den Gesellschaftswissenschaften liegt. Sie bieten vielfältige Einblicke in aktuelle oder abgeschlossene Forschungsvorhaben. Die Mehrzahl der Autorinnen und Autoren stellt empirischen Studien vor, doch gibt es auch Erfahrungsberichte oder Praxisbeispiele. Neben fünf längeren, aus den Plenarvorträgen rührenden Texten beinhaltet der Band 22 Kurzbeiträge.
Insgesamt erhält man einen guten Überblick über die aktuellen Forschungsfragen und -methoden. Unklar bleibt allerdings, warum die beiden in der Einführung erwähnten Vorträge zu qualitativen Forschungsmethoden (Grounded Theory und Biografisches Interview), denen "großes Potential attestiert" wurde (13), nicht in den Tagungsband aufgenommen worden sind.
Aufgrund der disziplinären Vielfalt wird eine große Bandbreite außerschulischer Lernorte vorgestellt. Neben den realen Orten (Museum, Bauernhof, Science Center, Schülerlabor, Stadtviertel, Parlament oder andere) widmet sich etwa ein Drittel der Beiträge virtuellen Lernorten oder der Kombination aus beiden, zum Beispiel in Form von Tablet-Nutzung, Augmented Reality oder der Nutzbarmachung von Objekten aus dem 3D-Drucker. Damit bestätigt diese Tagung, dass die Bedeutung der virtuellen Lernorte immer mehr zunimmt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob man außerschulische und virtuelle Lernorte noch lange unter einem Oberbegriff fassen kann oder ob zukünftig eine genauere Abgrenzung nicht sinnvoller wäre, um einen eindeutigen Zugriff zu erlauben. Dies war allerdings nicht Thema der Tagung.
Der Band fokussiert begrifflich interessanterweise nicht das 'Lernen', sondern 'Aneignungspraktiken am außerschulischen Lernort'. Die noch wenig gängige Bezeichnung ist, das räumen die Herausgeberin und die Herausgeber ein, terminologisch unscharf (9). Celestine Caruso, Tobias Hasenberg und Kornelia Müller konstatieren gar: "Im wissenschaftlichen Bereich gibt es bisher keinen Konsens über die Definition von Aneignung" (130). Die Herausgebenden verstehen darunter die "mehr oder weniger eigensinnige oder eigentätige Auseinandersetzung des Individuums mit dem, was sich ihm bietet" (12).
Eigentätigkeit der Lernenden ist besonders an nicht vorstrukturierten Lernorten zu beobachten, doch auch die meisten vorstrukturierten Lernorte verfolgen einen konstruktivistischen Ansatz und fordern die Schülerinnen und Schüler zum Forschen und Experimentieren auf. Kerstin Michalik betont in ihrem Beitrag zu Recht, dass "außerschulisches Lernen auch offen sein [muss] für das Unerwartete, nicht didaktisch Inszenierte, nicht Vorausgeplante", dass es also "Erfahrungslernen" bedeutet (65).
Diese Offenheit für Erfahrungslernen findet sich jedoch nur selten im schulischen Alltag wieder. Es ist dennoch kein Widerspruch, dass sich viele Beiträge nicht auf die Tätigkeiten am außerschulischen Lernort beschränken, sondern sich - mit den Worten von Nadia Lausselet und Ismaël Zosso gesprochen - fragen, "wie sich draußen gemachte Erfahrungen und schulisches Wissen miteinander verbinden lassen" (177). Tatsächlich ist dieser weiter gefasste Blick auf Lernprozesse eine der Stärken des Bandes und kann dazu dienen, schulisches und außerschulisches Lernen nicht mehr so stark voneinander abzugrenzen. Auch wenn gewisse Rahmenbedingungen unterschiedlich bleiben werden, so zeigen viele Beiträge des Bandes doch, dass Lernerfolge oft auf dem gut abgestimmten Zusammenspiel der Institutionen beziehungsweise auf der erfolgreichen Zusammenführung der unterschiedlichen Lernprozesse basieren.
Aufgrund der Kürze der meisten Beiträge können diese natürlich nicht umfassend über Forschungsfrage, -design und -ergebnisse berichten. So bleiben die Leserinnen und Leser nach manchem Beitrag mit offenen Fragen zurück - oder positiv formuliert: man möchte gerne noch mehr erfahren. In Bezug auf das historische Lernen betrifft das zum Beispiel den Text von Jens Aspelmeier und Matthias Opitz zum digitalen Projekt ZEIT.RAUM Siegen (91-98) oder jenen von Andrea Brait über die App #myFerdinandeum (115-119). Allein die Skizzierung der Projekte umfasst (notwendigerweise) mehrere Seiten, sodass die Autoren und die Autorin nur noch postulieren, aber nicht mehr erläutern können, dass für Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit bestehe, auf einer Online-Plattform "neue Deutungsvarianten konstruktiv mitzugestalten" (94) oder, für Besucherinnen und Besucher, sich "bewusst mit der Konstruktion von Museumsnarrativen auseinander[zusetzen]" (118). Man hätte hier gerne genauer gewusst, woran die Autorin und die Autoren dies festmachen und wie der Prozess des historischen Lernens in diesen Beispielen genau verläuft. Auf der Tagung bietet sich die Möglichkeit, mit den Forschenden darüber ins Gespräch zu kommen, ein Tagungsband jedoch bleibt leider an dieser Stelle stumm.
Dass man sich manchmal tiefergehende Analysen wünscht, bedeutet jedoch im Umkehrschluss, dass der Band viele anregende Impulse liefert und Fragen generiert. Die Vielfalt der aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengetragenen Forschungsprojekte ist beeindruckend und belegt, dass außerschulische Lernorte die Bildungslandschaft nachhaltig prägen. Der 'Versuchsballon' der Tagungsleitung, mit dem Begriff der Aneignung zu arbeiten, hat sich trotz einiger unterschiedlicher Auslegungen in den verschiedenen Disziplinen als äußerst vielversprechend erwiesen. Er sollte in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung geschärft und für weitere Studien nutzbar gemacht werden.
Berit Pleitner