Joyce E. Salisbury (ed.): Medieval Sexuality. A Research Guide (= Routledge Library Editions: History of Sexuality; Vol. 6), London / New York: Routledge 2019, XX + 210 S., ISBN 978-0-367-17446-0, GBP 90,00
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Seit langem bereits haben sich Kulturhistoriker mit dem Thema der Sexualität auseinandergesetzt, denn davon ausgehend enthüllt sich eine ganze Reihe von anderen Aspekten, die fundamental das Leben von Menschen betreffen. Wenn man so will, definiert sich jede Gesellschaft durch ihre Einstellung zur Sexualität, so wenn man fragen kann, wie diese öffentlich diskutiert oder präsentiert wurde, welche Wertschätzung man ihr entgegenbrachte, welche Ängste darüber zum Ausdruck kamen und wie vor allem die Kirche bzw. die Kulturträger darauf reagierten. Nicht von ungefähr haben sich Soziologen wie Norbert Elias und Anthropologen wie Hans Peter Duerr stark darin unterschieden, wie Sexualität in der Vergangenheit beurteilt wurde, ob mit Scham behaftet oder nicht, ob sie unterdrückt oder versteckt wurde, oder ob man anhand dieses Sujets kulturhistorische Entwicklungen nachverfolgen kann. [1]
Sexualität ist aber nicht nur ein moralisches oder biologisches Phänomen, sondern spiegelt in vielerlei Hinsicht gesellschaftliche Wertvorstellungen wider, die zu beurteilen allemal Historiker, Literaturwissenschaftler oder Archäologen aufgerufen sind. Die Forschung zu diesem Thema ist also umfassend und vielfältig, so dass sie kaum noch zu überblicken ist. Bereits vor fast dreißig Jahren bemühte sich daher Joyce E. Salisbury darum, eine einschlägige Bibliographie zu erstellen (1990), die der Verlag Routledge jetzt erneut im Druck vorgelegt hat. Man fragt sich allerdings sogleich, wieso nicht die seit damals entstandene Forschung eingearbeitet wurde und welchen Zweck diese Bibliographie heute noch haben mag. Es ist ein monographisch gestaltetes Hilfswerk, das selbst schon ziemlich in die Jahre gekommen ist und nicht unbedingt jedem zu empfehlen ist, wenn man nicht die neuere und neueste wissenschaftliche Literatur einfach übersehen möchte.
Wie aber ist diese Bibliographie gestaltet? Salisbury hat sie zunächst in Primär- und Sekundärliteratur aufgeteilt. In der ersten Gruppe gliedert sie weiter in die Aspekte Geschichte, Recht, Literatur, Religion und Wissenschaft. In der zweiten Gruppe differenziert sie nur zwischen Monographien und Aufsätzen. Besonders wertvoll ist und bleibt der Index, der nach Autoren/Herausgebern, Themen und Jahrhunderten unterscheidet. Eine Bibliographie ist vor allem dann wertvoll, wenn die einzelnen Einträge kommentiert werden, wie dies hier der Fall ist. Wie nützlich ist dies aber alles, wenn kaum sonderlich unterschieden wird zwischen wissenschaftlichen Studien, Enzyklopädien und Lexika, und wenn auch viele Arbeiten eingeschlossen wurden, die fast gar nichts mit dem Mittelalter zu tun haben? Salisbury schließt auch deutsche oder italienische Beiträge ein, unterlässt es dann aber meistens, tatsächlich auch einen Kommentar zu liefern, weil sie wohl dieser Sprachen nicht mächtig ist. Zu ca. 90% handelt es sich sowieso nur um englischsprachige Studien oder Editionen, die hier aufgenommen wurden.
Bei näherer Überprüfung erweisen sich aber selbst diese Kommentare nicht unbedingt als ganz verlässlich, denn die Autorin musste ja eine große Menge von Veröffentlichungen bearbeiten, was es fast unmöglich gemacht haben dürfte, jede Publikation wirklich so gründlich zu behandeln, dass der Inhalt konzise zum Ausdruck gebracht wird. Trotzdem wird man sich darüber freuen, so leicht in eine riesige Zahl von relevanten Studien eingeführt zu werden.
Der Index für Jahrhunderte scheint mir wenig nützlich zu sein, denn so geht man in der Forschung kaum vor. Der Sachindex ist umfangreich, aber wenn man genauer hinsieht, fehlt eine Menge von Lemmata, so z. B. Fellatio, Cunnilingus, Dildo, französischer Kuss, analer Sex etc. Dazu treten gravierende Fehler auf, so Niebelungenlied (sic); wichtige Namen wie Marie de France oder Gottfried von Straßburg werden nicht einmal erwähnt; die angeführte Studie zum Keuschheitsgürtel ist völlig wertlos. [2]
Man sollte aber nicht das sprichwörtliche Kind mit dem Bade ausschütten, denn die hier gebotene Information ist und bleibt durchaus wertvoll und erspart dem zukünftigen Forscher viel Arbeit, weil die Kommentare zu den einzelnen Einträgen doch ausreichend zusammenfassen, worum es entscheidend geht. Wenn man den Index geschickt einsetzt, wird man schnell fündig, auch wenn sehr vieles heute etwas veraltet erscheint - insgesamt also eine durchaus wertvolle Bibliographie. Nicht recht nachvollziehbar ist freilich, weshalb sie ein zweites Mal aufgelegt wurde. Wissenschaftliche Bibliotheken brauchen sie jedenfalls nicht; und solch ein Projekt sollte heute sowieso nur noch online zur Verfügung gestellt werden. Es handelt sich hier also um ein veraltetes, wenngleich immer noch nicht ganz überholtes Modell.
Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu jetzt Jean Verdon: Irdische Lust, Darmstadt 2001 (Orig. Paris 1996); Sexuality in the Middle Ages and Early Modern Times: New Approaches to a Fundamental Cultural-Historical and Literary-Anthropological Theme, ed. by Albrecht Classen, Berlin 2008; Albrecht Classen: Sex im Mittelalter, Badenweiler 2011.
[2] Victor Robinson: Encyclopedia Sexualis, New York 1936; vgl. hierzu jetzt Albrecht Classen: The Medieval Chastity Belt: A Myth-Making Process, New York 2007.
Albrecht Classen